und Liebhaber des No-Theaters zu beschreiben, denn ihn als Asiaten oder Japaner zu bezeichnen. Nicht die Herkunft, sondern die gelebte Praxis bestimmt, wer der Einzelne ist. Der Gedanke bleibt aber auf halbem Wege stehen, wenn man statt der Kulturen nun die verschiedenen Lebensformen als wesenhaft bestimmt versteht. Dann wäre die eben beschriebene Person zwar nicht durch das Wesen der asiatischen Kultur, wohl aber durch die Wesensgehalte von Heterosexualität, Reichtum, Kinderliebe, Fußball und No-Theater geprägt. Gegenüber dem von Welsch als traditionell bezeichneten Kulturverständnis wäre damit eine größere Auswahl an Lebensformen gewonnen, an der Traditionsbezogenheit der verschiedenen Lebensformen aber würde sich nichts ändern. Der Einzelne würde nicht mehr in die große Schublade des ›Asiatisch-seins‹ passen, er würde dafür aber in eine Vielzahl kleinerer Schubladen gesteckt. An die Stelle der kulturellen Kugeln träten lebensformende Kügelchen.
Die Annahme einheitlicher Lebensformen aber widerspricht der Wirklichkeit der Phänomene massiv. Kinderliebe ist nicht gleich Kinderliebe. Die Beziehung zu Kindern hat sich in den letzten hundert Jahren stark gewandelt (und sie war auch davor keinesfalls unveränderlich). Kinder haben heute einen anderen gesellschaftlichen Stand, als dies noch vor hundert Jahren der Fall war. Unsere ganze Gesellschaft ist zunehmend auf Jugend ausgerichtet; wir achten sehr viel mehr auf die Kindesentwicklung als früher; die Familienstruktur ist eine andere geworden und vieles andere mehr. Zudem stellt sich die Liebe zu Kindern bei der einen Person u.U. ganz anders dar als bei der anderen. Kinderliebe kann dazu führen, selbst viele Kinder haben zu wollen; sie kann aber ebenso gut zu politischem Engagement für die Rechte und das Wohl von Kindern führen. Was Kinderliebe im Einzelnen bedeutet, hängt an der jeweiligen Person und an der historischen Situation und den aktuellen Gegebenheiten, in denen diese Person lebt. Was Kinderliebe genau bedeutet, bestimmt sich sehr viel mehr durch die von der einzelnen Person gelebte Praxis, als dass umgekehrt die Person durch das Wesen einer kinderlieben Lebensform geprägt wäre. Gleiches gilt selbstverständlich für alle anderen Lebensbereiche. Schon der Begriff der Lebensform weist darauf hin, dass es auf die gelebte Praxis und nicht auf das Wesen einzelner Lebensformen ankommt. Lebensformen können also keinesfalls aus einer anderen Kultur einfach übernommen und in die eigene integriert werden. Die Übernahme einer Lebensform bedeutet deren praktischen Vollzug und damit immer auch deren Vernetzung mit anderen Lebensformen, wodurch die Lebensform gleichsam neu kontextualisiert und dadurch eben immer auch angepasst und verändert wird. Die Freiheit des Einzelnen besteht eben nicht allein darin, sich seinen Lebensstil nach dem Baukastenprinzip aus verschiedenen Komponenten zusammenzusetzen, sondern vor allem darin, die verschiedenen Lebensbereiche individuell zu gestalten. Solche Freiheit ist zugleich Aufgabe; der Einzelne übernimmt Verantwortung für die Gestaltung seines Lebens – ein Zug, der in WelschsWelsch, Wolfgang Konzept der Transkulturalität merkwürdig unterbelichtet bleibt.
Die individuelle Lebensgestaltung findet allerdings nicht im luftleeren Raum statt, sondern muss sich den jeweiligen historischen und aktuellen Gegebenheiten stellen. Ich kann nicht beschließen, reich zu sein, wenn ich es nicht bin; ebenso wenig kann ich wählen, schwarz zu sein, wenn ich doch weiß bin. Wohl aber kann ich den Umgang mit Wohlstand und Hautfarbe gestalten, ich kann nach Wohlstand streben und ich kann mich für die Gleichberechtigung der Hautfarben einsetzen. Ob ich das tun werde, hängt dabei nicht allein von persönlichen Vorlieben, sondern immer auch von der jeweiligen geschichtlichen und konkreten Situation ab. In den Südstaaten der USA spielt die Hautfarbe eine viel größere Rolle als in Italien; und auch in den USA hat das Thema vor hundertfünfzig Jahren noch eine andere Brisanz gehabt als heute. Das wird Einfluss darauf haben, ob Hautfarbe für den Einzelnen eine Rolle spielt oder nicht. In der Kindererziehung kann man heute nicht einfach frei wählen, sein Heil in der körperlichen Züchtigung zu suchen, und das eben nicht nur deshalb nicht, weil das Gesetz es verbietet, sondern weil die Sittlichkeit dagegen steht. Wenn wir heute sagen, dass ›man Kinder nicht schlägt‹, dann ist dies keinesfalls bloße Traditionsgebundenheit, sondern in erster Linie eine sittliche Errungenschaft, der wir selbst uns verpflichtet fühlen. An diesem einfachen Beispiel wird deutlich, dass wir selbstverständlich Kinder unserer Zeit sind und uns über das geschichtlich gestaltete Lebensumfeld, in dem wir uns bewegen, nicht einfach hinwegsetzen können. Gestalten und verändern können wir es aber, und das auch durch Einführung von Lebensformen anderer Kulturen. Gestaltung der eigenen Kultur freilich ist etwas grundlegend anderes als deren Auflösung.5
Weitere Ungereimtheiten in WelschsWelsch, Wolfgang Ansatz seien hier nur angedeutet. So schließt Welsch aus der Zentriertheit des traditionellen Kulturmodells auf Ausschließlichkeit und Abgrenzung gegenüber anderen Kulturen. Ich will hier keinesfalls ein Kugelmodell der Kulturen verteidigen, aber die Problemlage ist doch sehr viel komplexer, als Welsch sie darstellt. So liegt die besondere Stärke des traditionellen Kulturverständnisses gerade in der integrativen Kraft der auf ein wesenhaftes Zentrum hin ausgerichteten Kultur. Fremdkulturelle Phänomene werden grundsätzlich auf dieses Zentrum bezogen und so in die eigene Kultur integriert. Dabei werden die fremdkulturellen Phänomene natürlich verändert und häufig genug auch einfach als unpassend oder irrelevant verworfen; sie bleiben aber nicht außerhalb der Kultur stehen, sondern werden auf die eine oder andere, zustimmende oder ablehnende Weise aufgenommen. Diese Form der Integration wird den fremdkulturellen Phänomenen häufig nicht gerecht, Vertreter anderer Kulturen fühlen sich missverstanden. Das integrierende Verstehen versteht aber nicht, dass es missversteht. Das Besondere des traditionellen Kulturverständnisses ist gerade diese Form der Universalität, alles, auch das Fremde, in der eigenen Perspektive zu sehen. Konflikte entstehen nicht durch Abgrenzung gegenüber anderen Kulturen, sondern umgekehrt gerade durch den Anspruch, alles, auch fremdkulturelle Phänomene, nach einer einheitlichen Struktur ordnen zu können. Während die Abgrenzung anderen kulturellen Lebensformen ja gerade ihren eigenen Raum belassen würde, führt der Universalitätsanspruch des traditionellen Kulturverständnisses zur Ausgrenzung einer Vielzahl von Lebensformen innerhalb der eigenen Kultur. Das Problem ist nicht so sehr, dass sich eine weiße gegen eine schwarze Kultur abgrenzt, sondern dass die weiße Kultur die schwarze aufnimmt (die schwarze Bevölkerung in den USA hat ihre Wurzeln schließlich im Sklavenhandel), dann aber ausgrenzt. Ähnliches gilt für die innerkulturelle Vielfalt von Lebensformen. Die heterosexuelle Gesellschaft grenzt sich eben keinesfalls einfach gegen eine homosexuelle ab, sondern grenzt diese aus. Für solche Aus- statt Abgrenzung gibt es viele weitere Beispiele. Der Universalanspruch, den jede einzelne Kultur für sich erhebt, macht eine Verständigung zwischen den Kulturen einerseits sehr viel schwieriger; andererseits darf man solchen Universalanspruch nicht vorschnell aufgeben, bildet er doch auch die entscheidende Grundlage für die Möglichkeit, Kritik aneinander zu üben. Gibt man den Universalismus zugunsten eines Relativismus auf, dann verliert man damit die Rechtfertigung, anderen kulturellen Lebensformen kritisch zu begegnen. Das ist sicherlich nicht die Absicht des transkulturellen Kulturverständnisses. Im Gegenteil, die Pluralisierung der Lebensformen soll die gegenseitige Kontrolle und Kritik gerade befördern. Das geht aber eben nur, wenn die universale Geltung bestimmter Rahmenbedingungen vorausgesetzt wird. Diese Rahmenbedingungen liegen in so etwas wie einer liberalen Rechtsstaatlichkeit (s.o.), und die entspringt selber einer »kämpferischen Weltdeutung«. Transkulturalität bleibt eine universalistische Konzeption.
Schließlich sei auf die unklare Rolle hingewiesen, die dem Subjekt in der transkulturellen Konzeption zukommt. WelschWelsch, Wolfgang betont immer wieder, dass es in der transkulturellen Gesellschaft Aufgabe des individuellen Subjekts ist, seine eigene Identität aus einer Vielzahl von Komponenten (gemeint sind verschieden kulturelle Lebensformen) zusammenzustellen. Das suggeriert, dass wir es zunächst mit einem a-kulturellen und damit letztlich a-sozialen Subjekt zu tun haben, das sich im Laufe seines Lebens eine den eigenen Vorlieben entsprechende Identität bastelt. Aber was soll das sein – ein a-kulturelles, gar a-soziales Subjekt? Das reale, leiblich verfasste menschliche Wesen ist jedenfalls schon aus biologischen Gründen immer ein soziales Wesen. Gemeint sein kann deswegen nur ein vorgängiges, ein transzendentales Subjekt; ganz allgemein die Vernunft. Aber woher gewinnt ein solches Subjekt seine Vorlieben? Und wieso unterscheiden sich die Vorlieben dann von Mensch zu Mensch? Das ergibt keinen Sinn. Dass die Konzeption der Transkulturalität dennoch von einem allgemeinen Subjekt ausgeht, sieht man aber daran, dass sie auf der Idee basiert, dass der Einzelne frei ist, global unter allen kulturellen Lebensformen die für ihn passenden auszuwählen. Die Motivation dieser Wahl darf darum natürlich nicht ihrerseits kulturell beeinflusst sein.