Niels Weidtmann

Interkulturelle Philosophie


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nicht wirklich ernst genommen. Das mag ein Grund für die vielfältigen Schwierigkeiten sein, die im Zusammenleben verschiedener Kulturen in einer Gesellschaft immer wieder zu beobachten sind.6

      BedorfBedorf, Thomas macht auf eine weitere Schwierigkeit aufmerksam.7 Die Konzeption der Multikulturalität hängt an der Anerkennung verschiedener kultureller Gruppen als gleichberechtigt innerhalb einer Gesellschaft. Anerkannt werden können aber immer nur konkrete Ausdrucksformen dieser kulturellen Gruppen, etwa ihre Sprachen, ihre Religionen, ihre Lebensstile. Darin gehen die Gruppen selber aber nicht auf. Im Prozess der Anerkennung werden die verschiedenen kulturellen Gruppen sozusagen notwendigerweise auf bestimmte Erscheinungsweisen festgelegt, die zwar möglicherweise wichtig sind für diese Gruppen, die aber bloße Erscheinungsweisen darstellen und das ›Wesen‹ der Gruppen darum niemals treffen können. Jede Form der Anerkennung führt zwangsläufig zu einer verkürzenden Sichtweise auf die anerkannten Gruppen. Bedorf spricht deshalb von »verkennender Anerkennung«. Ein ungewöhnliches, aber sehr anschauliches Beispiel dafür bietet der Konflikt über den Schutz der frankophonen Kultur Quebecs, von dem TaylorTaylor, Charles berichtet.8 In Quebec wurden in den späten 1970er Jahren eigene Sprachgesetze erlassen, die darauf abzielen, das Französische dem Englischen nicht nur gleichzustellen, sondern aktiv zur Bewahrung der französischsprachigen Tradition beizutragen.9 So ist es Eltern der französischsprachigen Bevölkerung Quebecs beispielsweise untersagt, ihre Kinder auf englischsprachige Schulen zu schicken. Damit wird, so die Kritik Bedorfs, die frankophone Kultur Quebecs auf die französische Sprache reduziert und das mit einer unglaublichen Konsequenz, so dass sich die Mitglieder dieser Kultur nun völlig unabhängig davon, wie wichtig ihnen selbst das Französische für ihr kulturelles Selbstverständnis tatsächlich ist, dem Diktat des Französischen ausgesetzt sehen. Ungewöhnlich ist das Beispiel vor allem deswegen, weil es im Falle Quebecs die Bevölkerungsmehrheit (bezogen auf ganz Kanada handelt es sich freilich um eine Minderheit) selbst ist, die diese Bestimmungen und damit eine auf die Sprache reduzierte Form ihrer eigenen Anerkennung festschreibt.

      Um das Paradox einer verkennenden Anerkennung zu reflektieren, diskutiert BedorfBedorf, Thomas nun (unter Bezugnahme auf LévinasLévinas, Emmanuel, DerridaDerrida, Jacques und WaldenfelsWaldenfels, Bernhard) die Frage, worin eigentlich die Erfahrung der Andersheit gründet, die jeder Anerkennung vorausgehen muss. Etwas verkürzt könnte man sagen, dass das Entscheidende dieser Erfahrung darin liegt, dass der andere Mensch grundsätzlich als eigenständiges Subjekt erfahren wird. Der Andere taucht zwar in meiner Erfahrungswelt auf und ich kann ihn in der Rolle, die er in meiner Erfahrungswelt spielt, auch verstehen; er geht darüber aber weit hinaus, er ist immer unendlich viel mehr als in dieser Rolle zum Ausdruck kommt. Der Andere geht grundsätzlich in keiner meiner Erfahrungen und in keiner Rolle, die er einnimmt oder die ich ihm zuschreibe, auf, weil er selber Erfahrungen macht und deshalb jede konkrete gesellschaftliche Rolle, die er einnimmt und die ich erfahren kann, nur eine Momentaufnahme darstellt. Der Andere ist derjenige, der in den verschiedenen Rollen erscheint, selbst aber jenseits dieser Rollen für uns unerreichbar bleibt. »Radikal anders – unendlich – ist der Andere genau in dem Sinne, daß sein Erscheinen als solches, das Daß seines Auftretens, mit dem Wie der Rollen und Milieus nicht in eins zu setzen ist.«10 Auch wenn wir uns in den gleichen Kontexten bewegen, bleibt es deshalb eine dauernde Aufgabe, uns untereinander über unsere Erfahrungen zu verständigen. Nur so können wir eine geteilte Erfahrungswelt aufbauen. Diese wird aber immer vorläufig und begrenzt bleiben, und vor allem wird sie ständig auf dem Spiel stehen und der weiteren Verständigung bedürfen.

      Der Andere widersetzt sich meiner Erfahrung also dadurch, dass ich ihn als selber Erfahrenden erfahre. Ich erfahre den Anderen als jemanden, der sich meiner Erfahrung entzieht. Darin liegt das Paradox der verkennenden Anerkennung begründet.11 In Anlehnung an LévinasLévinas, Emmanuel spricht BedorfBedorf, Thomas mit Blick auf dieses Paradox von der »primären« Andersheit, die er als »absolut« und »unendlich« kennzeichnet. Der Andere ist nicht lediglich vorübergehend oder in Bezug auf einzelne Aspekte anders, sondern entzieht sich meiner Erfahrung dadurch grundsätzlich, dass er selbst Erfahrender ist. Von der primären unterscheidet Bedorf nun eine »sekundäre, soziale Andersheit«, mit der jene Rollen gemeint sind, die der Andere in meiner mit ihm geteilten Erfahrungswelt einnimmt. Es ist diese sekundäre Andersheit, die anerkannt werden kann. Im Akt der Anerkennung liegt deshalb grundsätzlich eine Reduktion der primären Andersheit auf eine bestimmte Form sekundärer Andersheit. ›Die‹ frankophone Kultur Quebecs lässt sich nicht anerkennen, weil es sie als abgeschlossene oder wesensmäßige Entität gar nicht gibt. Sie ist grundsätzlich erfahrungsoffen und entzieht sich dadurch jeder Form von Festlegung. Diese primäre Andersheit lässt sich nun aber beispielsweise auf die Sprache als einer prominenten Form der sekundären Andersheit reduzieren. Und die Sprache, ihre Gleichberechtigung, ihr Erhalt und die ihr eigene Würde lassen sich nun sehr wohl anerkennen.

      Auch wenn in jeder Form der Anerkennung also eine Verkennung liegt, so weist BedorfBedorf, Thomas doch darauf hin, dass uns dies nicht der Aufgabe, andere kulturelle Gruppen anzuerkennen, enthebt. Vielmehr sieht er gerade darin, dass wir in der Anerkennung primäre auf sekundäre Andersheit reduzieren, den Keim für unsere Verantwortung dem Anderen gegenüber liegen. Wir sind es, die den Anderen auf eine bestimmte Erscheinungsform festlegen, um seiner Forderung nach Anerkennung nachkommen zu können. Diese Festlegung haben wir zu verantworten und das in einem durchaus wörtlichen Sinn – nämlich so, dass wir die anerkennende Festlegung als eine Antwort auf die Forderung nach Anerkennung verstehen, nicht aber glauben, damit den Anderen erkannt zu haben. Eine solche Antwort bleibt sich ihrer Vorläufigkeit bewusst, die Anerkennung muss also immer wieder von neuem und auf neue Weise gestiftet und geleistet werden.

      Es ist leicht ersichtlich, dass sich eine derart prozedural verstandene Form der Anerkennung umso leichter verwirklichen lässt, desto enger Menschen zusammenleben und desto mehr Erfahrungen sie teilen. Darin dürfte der Grund dafür liegen, dass Anerkennung innerhalb einer kulturellen Gruppe – in der sie zwischen den einzelnen Individuen selbstverständlich ebenso gefordert ist – leichter funktioniert als zwischen verschiedenen kulturellen Gruppen.

      Zusammenfassung

      Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Multikulturalität das Zusammenleben verschiedener kultureller Gruppen in einer Gesellschaft beschreibt. Dabei werden bestimmte gesellschaftliche Rahmenbedingungen vorausgesetzt, die von allen Gruppen gleichermaßen akzeptiert werden müssen. TaylorTaylor, Charles nennt als entscheidende Prämissen einerseits die in der Würde des Einzelnen gründende Gleichberechtigung aller Menschen in einer Gesellschaft und andererseits das Recht auf Differenz (Einmaligkeit). Die jeweilige Gewichtung dieser beiden u.U. gegenläufigen Prämissen muss in der Gesellschaft immer wieder von neuem ausgehandelt werden. Multikulturalität ist Taylor zufolge darum letztlich nur in einer liberalen Gesellschaft möglich. Der Liberalismus steht aber selbst nicht jenseits aller Kulturen, sondern verdankt sich einer eigenen kulturellen Tradition. »Der Liberalismus«, so Taylor, »ist nicht die Stätte eines Austauschs aller Kulturen, er ist vielmehr der politische Ausdruck eines bestimmten Spektrums von Kulturen und mit einem anderen Spektrum anderer Kulturen unvereinbar«.1 Er bezeichnet ihn darum auch als »kämpferische Weltdeutung«.2

      BedorfBedorf, Thomas macht zudem darauf aufmerksam, dass jede Form der Anerkennung zu einer Reduzierung der Andersheit der verschiedenen kulturellen Gruppen auf bestimmte Lebensformen in einer multikulturellen Gesellschaft führt. Multikulturalität als die Idee eines gleichberechtigten Nebeneinanders verschiedener kultureller Gruppen in einem gemeinsamen Staat stößt demnach an grundsätzliche Grenzen. Ein multikulturelles Miteinander erfordert klare gesetzliche Regelungen, die sich, wie am Beispiel der Sprachgesetze Quebecs gesehen, ihrerseits aber immer nur auf konkrete Ausdrucksformen der verschiedenen kulturellen Gruppen beziehen können und damit deren Eigenständigkeit (im Sinne der primären Andersheit) zwangsläufig auf bestimmte Besonderheiten (sekundäre Andersheit) reduzieren. Um einer solchen Reduktion zu begegnen, muss jede Form der Anerkennung vorläufig bleiben und laufend erneuert und verändert werden. Anerkennung ist nur im wechselseitigen Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen und in kontinuierlicher Entwicklung möglich.

      1.2 Transkulturalität

      In den 1990er Jahren hat Wolfgang WelschWelsch, Wolfgang