weist die Notwendigkeit zu kommunizieren darauf hin, dass sich dem einzelnen Subjekt andere Subjekte und ihre Erfahrungen von der Welt nicht ohne weiteres erschließen. Mit dem Universalsubjekt geht auch die Einheit der Welt verloren. Dadurch, dass die Welt nicht mehr von einem Universalsubjekt, sondern nun von einer Vielzahl von Einzelsubjekten angeschaut und erfahren wird, bilden sich eine Vielzahl verschiedener Welterfahrungen aus. SartreSartre, Jean-Paul spricht von den Subjekten als verschiedenen Zentren, auf die hin die Dinge der Welt ausgerichtet sind.2 Wie die Welt von einem anderen Zentrum als dem eigenen Selbst her gesehen aussieht, bleibt uns im Letzten immer verborgen. Damit bricht die Frage nach dem Anderen und Fremden auf und wird zu einer der bestimmenden in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Mit der Frage nach dem Anderen und Fremden wächst natürlich auch die Sensibilität anderen Kulturen gegenüber. Nun kommt eine zweite Entwicklung in der Philosophie des 20. Jahrhunderts hinzu, durch die die Problematik noch verschärft wird. Gemeint ist die Besinnung auf das Phänomen der Welt, wie sie in erster Linie HeideggerHeidegger, Martin in seiner ontologischen Wende der Phänomenologie vollzogen hat. Alle Erfahrung setzt immer schon ein Verstehen von Welt voraus. Dieses Verstehen mag vage sein und es kann sich auch ändern, Erfahrung ist aber grundsätzlich nur auf dem Boden eines Weltverständnisses möglich. Damit macht Heidegger darauf aufmerksam, dass die einzelnen Subjekte nicht nur verschiedene Zentren in der einen Welt darstellen, so dass sie durch weitere Erfahrungen und vor allem durch Kommunikation untereinander die gemeinsame Welt nach und nach entdecken können. Vielmehr können die Subjekte Erfahrungszentren nur sein, weil sie Welt immer schon – auf je eigene Weise – verstanden haben. Dann aber ist die Kommunikation unendlich erschwert. Nun kann man natürlich mit gutem Recht hinterfragen, ob es richtig ist, die Subjekte als alleinige ›Erfahrungszentren‹ anzunehmen. Immerhin teilen wir doch auch Erfahrungen mit anderen und müssen darum auch die Welt mit ihnen teilen. Tatsächlich leben wir in intersubjektiv geteilten Erfahrungszusammenhängen, die ein gemeinsames Weltverstehen voraussetzen. Es ist deshalb kein Zufall, dass Heidegger versucht, an griechische Grunderfahrungen anzuknüpfen, bricht dort doch erstmals so etwas wie die Erfahrung von Welt als Welt auf. Die Philosophie ist Ausdruck dieser Erfahrung und damit zugleich Garantin der Kommunikationsmöglichkeit. Damit ist die Schwierigkeit freilich nur verschoben, nicht beseitigt. Auf interkultureller Ebene taucht sie mit großem Nachdruck wieder auf.
Gemeinsam machen die Entdeckung der Fremderfahrung und die Besinnung auf das Weltverstehen deshalb auf eine grundsätzliche Schwierigkeit aufmerksam, vor die sich die Philosophie im 20. Jahrhundert gestellt sieht. Kann es eine Kommunikation von Welten geben? Das ist die entscheidende Frage interkultureller Philosophie. Es ist klar, dass die interkulturelle Begegnung in dieser Dimension die Philosophie, die ja – wie wir gesehen haben – mit der Entdeckung von Welt anhebt, im Ganzen betrifft.
Ich werde die hier genannten sowie einige weitere aktuelle Ansätze interkultureller Philosophie in Kapitel 2 ausführlich diskutieren. Dabei geht es mir darum zu zeigen, dass die verschiedenen Ansätze einander nicht ausschließen, sondern insofern alle etwas zu zeigen vermögen, als sie die philosophische Begegnung zwischen den Kulturen in unterschiedlichen Dimensionen beschreiben. Kulturen sind ja keine monolithischen Blöcke, ja sie sind überhaupt keine Entitäten oder Subjekte; stattdessen sind sie sehr lebendige Geflechte von sich fortlaufend wandelnden Erfahrungszusammenhängen. Entsprechend können einzelne Erfahrungen einer anderen Kultur, die sich in Überlieferungen und Texten, aber auch in Praktiken und Überzeugungen niederschlagen, in der Philosophie auf Interesse stoßen, ohne dass deshalb notwendiger Weise immer auch der andere Erfahrungszusammenhang im Ganzen berücksichtigt wird. Eine solche Begegnung findet immer wieder statt und hat auch erheblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Kulturen. Das Interesse kann sich aber auch darauf beziehen, inwiefern das den jeweils anderen kulturellen Erfahrungszusammenhängen zugrunde liegende Weltverständnis in den Texten und Überlieferungen, in den Praktiken und Überzeugungen oder in den Äußerungen des philosophischen Gesprächspartners zum Ausdruck kommen. In dieser interkulturellen Dimension wird nach dem eigenen Weltcharakter gefragt, der in den anderen Erfahrungen zum Tragen kommt.
Wege
Philosophie ist ein Weg, und zwar ein Weg des Menschen, Mensch zu sein. Griechisch verstanden ist sie gar der einzige Weg, auf dem der Mensch wahrhaft Mensch ist. Das macht interkulturelle Philosophie zu einem Desiderat. Es geht ihr darum zu zeigen, dass es verschiedene Wege gibt, wie der Mensch wahrhaft Mensch sein kann. Interkulturelle Philosophie ist deshalb zunächst einmal stärker an Differenzen als an Überlappungen und Ähnlichkeiten zwischen den Kulturen interessiert. Zugleich geht es ihr aber wie der griechischen Philosophie um Wege des Menschseins, also um die Klärung des Menschlichen und, in kritischer Hinsicht, um die Einforderung von Menschlichkeit.
Menschlichkeit, so die These, gibt es nur dort, wo das Menschsein als Weg verstanden wird. Wird das Menschsein dagegen jenseits aller Wege als wesensmäßig geklärt angenommen, droht jede Menschlichkeit verloren zu gehen. Der Mensch ist dann nämlich dies oder das, aber er erfindet und gestaltet sich nicht mehr selbst und kann darum auch nicht für sich selbst verantwortlich sein. Es greift deshalb viel zu kurz, die Gleichheit und die Gleichberechtigung aller Menschen auf der Grundlage des natürlichen Wesens des Menschen einzufordern. Der Mensch beweist seine Menschlichkeit gerade darin, dass er sich sein natürliches Wesen auf bestimmte Weise aneignet, es interpretiert und damit umgeht. Das Gleiche gilt für die Welt, in der der Mensch lebt. Er nimmt sie nicht einfach hin, sondern geht mit ihr um, interpretiert und gestaltet sie und gewinnt dadurch auch sich selber immer wieder neu. Kurz, der Mensch ist ein kulturelles Wesen und er lebt in einer kulturellen Welt. Damit ist zugleich gesagt, dass es vielfältige menschliche Welten gibt, die sich zudem fortlaufend verändern, wechselseitig beeinflussen, ineinander verschränken oder auch differenzieren. Diese Vielfalt zu leugnen, wäre »intellektuell enttäuschend, weil sie die faktische Verschiedenheit übergeht, die sich der Beobachtung aufzwingt«, wie Lévi-StraussLévi-Strauss, Claude – freilich in einer ethnologischen Perspektive – sagt.1 Wenn sich die Menschen in ihrer kulturellen Vielfalt begegnen, geht es deshalb zunächst keineswegs um Vereinheitlichung und Reduktion der Wege auf einen einzigen. Stattdessen geht es – oder sollte es gehen – um einen Wettstreit der Menschlichkeit. Wenn Menschen erfahren, dass eine andere Kultur menschlicher ist als ihre eigene, werden sie grundsätzlich versucht sein, diese zu übernehmen oder nachzuahmen. Zumindest aber werden sie versuchen, von ihr zu lernen. De facto mögen sowohl ein solcher Wettstreit als auch die Bereitschaft, voneinander zu lernen, durch machtpolitische Interessen vereitelt werden; das muss zu scharfer Kritik führen, darf aber nicht die Konsequenz haben, deswegen der globalen Durchsetzung einer einheitlichen kulturellen Gestaltung der menschlichen Welt das Wort zu reden.
Philosophisch lässt sich eine Begegnung der Kulturen in der interkulturellen Dimension, die jenseits aller machtpolitischen Gegebenheiten anzustreben bleibt, vermutlich am besten als ein Gespräch verstehen. Allerdings ein Gespräch, das nicht unverbindlich bleibt, sondern in das sich die Kulturen so einbringen, dass sie vom Gespräch her auch Korrekturen erfahren. Das Besondere des Gesprächs ist es ja gerade, das Gemeinsame, um das es im Gespräch geht, voranzubringen und zugleich die eigenen Positionen der Gesprächspartner schärfer zu profilieren. Das geht nur, weil das Gemeinsame, um das es im Gespräch geht, kein Drittes ist, das die Positionen der Gesprächspartner vermittelt oder subsumiert. Stattdessen taucht das Gemeinsame nur in den verschiedenen Positionen auf, aber so, dass es darin jeweils im Ganzen getroffen ist. Das bedeutet, dass die Gesprächspartner jeweils die vom anderen vertretene Position bzw. das vom anderen Gesagte auf ihre Weise mitsagen müssen. Sie müssen es aufnehmen und zugleich dadurch, dass sie es von ihrer Position her sagen, profilieren. So klären die Gesprächspartner im Hin und Her des Gesprächs das Gemeinsame, um das es im Gespräch geht, und treiben sich zugleich wechselseitig zu immer deutlicherer Profilierung ihrer eigenen Positionen an. Würden sie die Position des anderen einfach übernehmen, käme das Gespräch zum Erliegen; weder könnte das Gemeinsame geklärt noch die eigene Position profiliert werden.
Das Gemeinsame, um das es im Gespräch der Kulturen geht, ist wie angedeutet die Menschlichkeit. Jede Kultur ist irgendwie menschlich, schließlich ist sie vom Menschen gemacht. Im interkulturellen Gespräch aber reicht es nicht aus, ›irgendwie‹ menschlich zu sein. Die anderen Kulturen können auf eine Klärung der Menschlichkeit drängen und einfordern, dass die geklärte Form der Menschlichkeit auch kulturell