Wolfgang Müller-Funk

Theorien des Fremden


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Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger schreibt mit Blick auf die sozialen Netzwerke unserer Tage:

      In Karikaturen werden die der Globalisierungskritik latent innewohnenden Weltverschwörungstheorien schon manifester. Die alles umschlingende Krake versucht die ganze WeltWelt zu verschlingen und erhält allerorts Gegenwehr der „produktiven“ ArbeiterArbeiter usf. Hier gleichen sich die Illustrationen linker wie rechter GlobalisierungsgegnerInnen zusehends. Manch linke Gruppierung kann dabei nicht einmal auf die obligate Hakennase verzichten, die dem zigarrerauchenden und zylindertragenden Unternehmer angedichtet wird und damit ebenso aus dem Stürmer wie aus einer trotzkistischen, maoistischen oder Attac-Publikation stammen könnte.19

      Abb. 2

      Zerrspiegel der globalisierten WeltWelt

      Darüber hinaus haben derartige Feindbilder noch eine ganz andere Stoßrichtung, wenden sie sich doch gegen die zunehmend abstrakter werdenden FormenForm der VergesellschaftungVergesellschaftung und der transnationalen kulturellen KommunikationKommunikation.20 Der, die und das bedrohliche Fremde werden mit dem GeldGeld gleichgesetzt. Insofern lebt die AmbivalenzAmbivalenz vormoderner KulturenKultur gegenüber der Figur des fremdenfremd HändlersHändler in der hypermodernenhypermodern Ära der GlobalisierungGlobalisierung fort, als Unbehagen an den transnationalen Akteuren etwa der Geldwirtschaft und des Welthandels. Was sich an der Kritik an Ungleichheit und Ungerechtigkeit entzündet, ist stets, rechts wie links, in Gefahr, sich in Feindschaft gegen ein bedrohliches AußenAußen zu verdichten.

      Erstaunlich bleibt, dass SimmelsSimmel, Georg Analyse des Fremden zumindest vier Modi von Migrationen und Migranten unberücksichtigt lässt:

      1 Das politische ExilExil;

      2 die Flucht infolge der VerfolgungVerfolgung von Menschengruppen, die minoritär und fremdfremd bleiben wie die JudenJuden Europas und des Nahen OstenNaher Ostens;

      3 MigrationMigration aus ökonomischen und sozialen Gründen;

      4 die binnen- und transnationalen Wanderungen, die sich grosso modo vom peripheren, oftmals ruralen Raum in die urbanen Kristallisationspunkte der IndustrialisierungIndustrialisierung und Postindustrialisierung vollziehen.

      Diese FormenForm von Wanderung mögen sich zum Teil mit dem von SimmelSimmel, Georg fokussierten Typus des fremdenfremd HändlersHändler überlagern, sind aber nicht mit ihm identisch. Obschon die GrenzenGrenze zwischen freiwilliger und erzwungener Wanderschaft fließend sein mögen, so divergiert die Position des fremden Teilnehmers an einem fremden Markt beträchtlich von jener, der vor GewaltGewalt und VerfolgungVerfolgung fließen und gegebenenfalls Hab und Gut zu Hause lassen muss. Der klassische Händler befindet sich, verglichen mit vielen anderen armen Migrantinnen und Migranten, die sich damals wie heute als Fremde für geringen LohnArbeitslohn abrackern, in einer vergleichsweise privilegierten Position. Deshalb träumen nicht wenige MenschenMensch mit Migrationshintergrund davon, einmal vom Ersparten ein eigenesEigentum Geschäft oder ein eigenes Lokal aufmachen zu können, um in den von Simmel beschriebenen Status aufsteigen zu können.

      6.3. Der Fremde als FeindFeind: Carl SchmittSchmitt, Carl

      Es liegt nahe, an dieser Stelle eine kurze Lektüre eines Autors einzufügen, der in so mancher Hinsicht SimmelsSimmel, Georg Befunde aufgreift und zuspitzt: Carl SchmittSchmitt, Carl (1888–1985). Simmels kulturelle und soziale Verortung des Fremden basiert vor allem darauf, dass der Fremde nicht das ausgeschlosseneAusschluss ‚Element‘ einer GruppeGruppe ist, sondern gerade durch seine Deplatzierung am RandeRand oder außerhalbAußerhalb des ‚heimischen‘ Raums eine wichtige Position einnimmt. Die Figur des Fremden nimmt insofern eine Schlüsselfunktion für eine GemeinschaftGemeinschaft oder GesellschaftGesellschaft ein: Die Gruppe konstituiert sich nämlich durch ihn und begreift sich als seine NegationNegation. Der Fremde nimmt dabei nolens volens die gleiche Position ein wie der Arme oder der innere FeindFeind. Carl Schmitt, der berüchtigte Gegner und Kritiker der modernenmodern liberalen politischen OrdnungOrdnung, hat diesen Sachverhalt in seiner einflussreichen Streitschrift Der Begriff des Politischen (1932) zugespitzt: Dort wird die der PolitikPolitik angemessene Unterscheidung als eine von FreundFreund und Feind bestimmt.1 Der KriegKrieg bildet dabei „die äußerste Realisierung der Feindschaft“2 und wird „als das extremste politische Mittel“3 angesehen. Eine Gruppierung sei von daher dann und nur dann politisch, wenn sie „sich an dem Ernstfall orientiert“.4

      Dem LiberalismusLiberalismus, dem PazifismusPazifismus und dem mit ihm einhergehenden HumanismusHumanismus hält SchmittsSchmitt, Carl ‚realistische‘ Theorie nun vor, die dramatische Härte des Politischen, das in seiner Struktur dem KriegKrieg, in dem FreundFreund und FeindFeind auf LebenLeben und TodTod aufeinander treffen, ähnlich ist, zu unterlaufen. Der Liberalismus versuche, das Politische nicht im Sinne der strukturellen Feindschaft, sondern im Sinne der Konkurrenz zu fassen und die Freund-Feind-Struktur, die dem Politischen inhärent sei, durch die OppositionOpposition von nützlich und schädlich zu ersetzen. Diese vom Liberalismus betriebenen ökonomischen „Neutralisierungen und Entpolitisierungen“5 nicht nur des Politischen haben „einen politischen Sinn“, der nicht zuletzt darin besteht, die HerrschaftHerrschaft eines „ökonomisch fundierten ImperialismusImperialismus“ zu legitimieren.6 So produziert der Liberalismus aus dieser Warte eine Illusion, die Schmitt zufolge gleichzeitig ungeheuer mächtigkeitswirksam ist, nämlich als globale Herrschaft eines kapitalistischen Imperialismus über die ganze WeltWelt.

      An einer entscheidenden Stelle, an der SchmittSchmitt, Carl seine Definition des Politischen als eines KampfesKampf zwischen FreundFreund und FeindFeind ausbreitet, nimmt der Text nun eine Gleichsetzung des Feindes mit dem Fremden vor, wenn es heißt:

      Der politische FeindFeind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetischÄsthetik häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß es in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen Dritten‘ entschieden werden können.7

      Die Konstituierung und KonstruktionKonstruktion des Fremden hat also ihren entscheidenden Sinn darin, dass erst die Figur des Fremden jene FormForm von PolitikPolitik ermöglicht, die ihrem Wesen entspricht. Es ist nicht notwendig, den FeindFeind zu hassen, er muss sich nur in einem radikalen Sinne ‚außerhalbAußerhalb‘ von uns befinden, damit ein Moment nicht wirksam werden kann: die EmpathieEmpathie mit ihm. Es genügt eben jene DistanzDistanz, die der FremdheitFremdheit, die ihn für uns auch emotional unerreichbar macht, innewohnt. Insofern sind Feind und Fremder logisch miteinander verbunden. Ausdrücklich betont SchmittSchmitt, Carl, dass die christlicheChristentum Feindesliebe, die ja nur eine private sei, für das abstrakte Verhältnis der Politik keine Gültigkeit besitze. Schmitt macht diese Unterscheidung von ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ an einem Beispiel, das heute auf ganz besonders grelle Weise wieder aktuell ist, deutlich, wenn er schreibt:

      Auch ist in dem tausendjährigen KampfKampf zwischen ChristentumChristentum und IslamIslam niemals ein Christ auf den Gedanken gekommen, man müsse aus LiebeLiebe zu den Sarazenen oder den Türken EuropaEuropa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern. Den FeindFeind im politischen Sinne braucht man nicht persönlich zu hassen, und erst in der Sphäre des Privaten hat es einen Sinn, seinen ‚Feind‘, d.h. Gegner, zu lieben.8

      Es lässt sich also extrapolieren, dass der private FeindFeind, andersAndersheit als der politische, sich nicht in der Position der FremdheitFremdheit befindet. Drastisch gesprochen kann man privat mit dem Vertreter einer ‚fremdenfremd‘ Minderheit Mitleid haben, während man sich mit der GruppeGruppe, zu der er gehört, in einem leidenschaftslosen, aber heroischen KampfKampf auf LebenLeben und TodTod befindet.

      Carl SchmittsSchmitt, Carl Theorie führt tatsächlich zu einer sich erfüllenden Prophezeiung, deren prophetischer Sprecher er 1933 werden wollte und sollte: Als der deutschedeutsch Verfassungstheoretiker seine Streitschrift