und Täter, der sich als reiner Autor seiner Reden und Taten aufspielen könnte, es gibt kein Reden oder Tun, das nicht auch ein AntwortenAntwort wäre.“3
Der zweite Halbsatz des Zitats liefert eine Erklärung für die Behauptung des ersten. Wir sind nicht die Urheber und Erfinder unserer Sätze, unsere FreiheitFreiheit ist stets relational zu sehen. Wir befinden uns, ob wir wollen oder nicht, immer in jener Beziehung, die WaldenfelsWaldenfels, Bernhard als „AntwortenAntwort“ bezeichnet. Programmatisch heißt es an anderer Stelle: „Was hier in Zweifel rückt, ist die Vorstellung eines Cogito, das aus sich heraustritt, um nach den bestandenen Abenteuern der AndersheitAndersheit zu sich selbst zurückzukehren.“4
Das ist in der Tat ein klassisches NarrativNarrativ der okzidentalen Philosophie und LiteraturLiteratur. Die OdysseeOdyssee des HomerHomer führt das klassisch vor: Das Ausfahrt-Abenteuer mit all seinen spannenden, amüsanten und gefährlichen Irrungen und Wirrungen dient letztendlich nur einem Telos, einem tieferen Sinn und Zweck: in der HeimatHeimat anzukommen. Dieses narrative MusterMuster entspricht jenen Typen früher Prosa, die BachtinBachtin, Michail als Chronotopoi bezeichnet hat: dem Abenteuerroman und der AutobiographieAutobiographie.5 Der klassischen Narration liegt eine MatrixMatrix zugrunde, deren Kern darin besteht, ein kompaktes Ich zu konstituieren.
Auch HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist folgt einem narrativen MusterMuster, das, wie wir gesehen haben, dem der OdysseeOdyssee durchaus verwandt ist. Auf seinem Weg von der sinnlichen Gewissheit hin zur absoluten VernunftVernunft durchläuft der Geist die verschiedensten Stadien, bis er bei seiner ‚wahren‘ Bestimmung in der Vernunft endet (→ Kapitel 2).
Im Unterschied zu dieser klassischen Meistererzählung bekommt hier ein gespaltenes Ich seinen Auftritt, das nie bei sich ankommt und das sich selbst immer tendenziell fremdfremd bleibt. Dadurch werden aber Termini wie „EnteignungEnteignung“ und „AneignungAneignung“ eigentümlich relativiert, aber keineswegs völlig annulliert. Folgende Theoriebezüge werden von WaldenfelsWaldenfels, Bernhard aufgerufen, um die Verflechtung von Eigenem und Fremden, von Ich und Anderem zu unterstreichen:
Die Sozialtheorie von G.H. MeadMead, Gerorge Herbert, in der die GespaltenheitGespaltenheit von I and Me im RahmenRahmen einer Theorie des Selbstgesprächs in den Mittelpunkt rückt.
Philosophische Überlegungen von Daniel LagacheLagache, Daniel (zum PhänomenPhänomen der verbalen Halluzination) und Merleau-PontyMerleau-Ponty, Maurice (Chiasma), die den Kern der Ent-Persönlichung im Ich selbst ins ZentrumZentrum ihrer Überlegungen stellen.
Die von Freud (Jenseits des Lustprinzips) und Melanie KleinKlein, Melanie ausgehende Theorie des englischen Psychoanalytikers D.W. WinnicottWinnicott, Donald Woods vom „Übergangsobjekt“, das die abwesende MutterMutter ersetzt und repräsentiert. Parallel dazu hat René SpitzSpitz, René das symbiotische Verhältnis von Mutter und KleinkindKleinkind als eine FormForm des DialogsDialog interpretiert.6
Die von LacanLacan, Jacques in seinem Aufsatz über das SpiegelstadiumSpiegelstadium (→ Kapitel 7) erstmals herausgearbeitete Spaltung des SubjektsSubjekt, „das sich nur auf dem Umweg über imaginäre Spiegelungen und symbolische Ordnungen aufbaut“. „Auch hier tritt die AndersheitAndersheit bereits in der intrasubjektiven Sphäre auf, so bei der frühkindlichen IdentifizierungIdentifizierung mit dem eigenenEigentum SpiegelbildSpiegelbild, in dem das KindKind sich zugleich wieder erkennt und verkennt.“7
Mit Blick auf (LévinasLévinas, Emmanuel und) DerridaDerrida, Jacques heißt es: „Die Zeitlichkeit des eigenenEigentum Daseins bedeutet, daß das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein als die Urstätte des Sinnes immer schon sich selbst gegenüber im Verzug ist; die GegenwartGegenwart ist immer schon mit Nicht-Gegenwart, das Selbe mit Anderem durchsetzt.“8 Der/die/das Andere trägt ein Moment des Inkommensurablen in sich.
BachtinsBachtin, Michail Theorie der Vielstimmigkeit der SpracheSprache. Das (eigeneEigentum) Wort befindet sich immer schon auf der GrenzeGrenze zwischen Eigenem und Fremdem. Die Redevielfalt im RomanRoman ist ein (Wechsel-)SpielSpiel zwischen beiden, miteinander verflochtenen Momenten. Im Zwischenreich eines solchen DialogsDialog sind als dramatische Personen ein idealer Autor und ein idealer LeserLeser angesiedelt.9
5.4. Das Fremde als Springpunkt von ErfahrungErfahrung
Wenn also das Eigene und das Fremde im Sinne dieser und anderer Theorien miteinander untrennbar verflochten sind, so bildet dieses „Feld“ die Bedingung der Möglichkeit der ErfahrungErfahrung des bzw. mit dem Fremden. WaldenfelsWaldenfels, Bernhard spricht in diesem Zusammenhang von „Erfahrungsbereichen“ und „Erfahrungsgehalten“. Eine zentrale TheseThese ist, dass das Fremde und das Fremdartige – diese Unterscheidung adaptiert Waldenfels von Alfred SchützSchütz, Alfred’ Unterscheidung zwischen Neuem und Neuartigem1 (→ Kapitel 6) – Erfahrung in einem existentiellen Sinn eröffnen. Gerade darin bestehen Reiz und Risiko des Fremden als eines Neuen, Ungewohnten und Unbekannten, dem sich schon die klassischen HeldenHeld von MythosMythos und Sage zu stellen haben. Ohne die Konfrontation mit Unvertrautem gibt es keine Erfahrung. Waldenfels’ Untersuchung liefert mehrere Definitionen des Fremden und des Fremdartigen, aber alle haben miteinander gemeinsam, dass sie das Moment der Erfahrung in sich tragen.
In diesem Kontext ist die so genannte „Kette des Fremden“ von Wichtigkeit. Der Autor bedient sich zweier literarischer Beispiele für seine Definition dieser Formulierung: Eduard MörikesMörike, Eduard Gedicht Peregrina und Albert CamusCamus, Albert’ L’Etranger. In beiden steht die ErfahrungErfahrung der Entstehung von FremdheitFremdheit im ZentrumZentrum, wenn wie bei Mörike die Geliebte zur wilden unverständlichen Fremden wird oder der HeldHeld sich in einem symbolischen RaumRaum (symbolisch) verliert, der ihn von sich zu entfernen scheint: „Diese Kette [des Fremden, A.v.m.] ist dort festgemacht, wo Lebensbereiche und Lebenswelten im Persönlichen wie im Gesellschaftlichen ihre VertrautheitVertrautheit verlieren.“2 WaldenfelsWaldenfels, Bernhard unterstreicht die prekäre Rolle der Wissenschaft, die alles vertraut zu machen trachtet. Wie könnte, fragt der Autor, ein „Wissen und Handeln aussehen […], das sich Fremdem aussetzt, ohne es einzugemeinden“.3
Das Fremde wird also in dieser Konzeption nicht ethnischEthnie substanzialisiert und ‚verdinglicht‘, sondern wie bei Alfred SchützSchütz, Alfred lebensweltlich und sozial gedacht (→ Kapitel 6) als das, was eine scheinbar selbstverständliche OrdnungOrdnung durchbricht: „Das Fremdartige, das die GrenzenGrenze bestimmter Ordnungen überschreitet, setzt eine bestimmte FormForm der NormalitätNormalität voraus.“4
Der Fremde wird als „abartig“, als abweichend, eben als deviant wahrgenommen–diese Wahrnehmung ist immer soziokulturell gerahmt. Fremd, das können unter bestimmten Umständen das KindKind, der ‚Wilde‘, der ‚Irre‘, der ‚Narr‘, die FrauFrau, aber auch das anthropoide TierTier, der AutomatAutomat sein: „Diese exemplarischen Figuren bevölkern auch das Unbewußte und suchen den MenschenMensch auf vielfache Weise im privaten und öffentlichen LebenLeben heim.“5
Ein solches Verständnis von Fremdem schafft die Möglichkeit, die westliche ModerneModerne – und WaldenfelsWaldenfels, Bernhard tut dies unter Berufung auf Robert MusilsMusil, Robert epochalen RomanRoman Der MannMann ohne Eigenschaften – als jene FormForm der KulturKultur zu beschreiben, in der jedwede ‚normalenormal‘ OrdnungOrdnung ihre Selbstverständlichkeit eingebüßt hat. Gleichzeitig ist jeder Versuch, eine solche zu re-etablieren, zum Scheitern verurteilt. Der von Musils Romanfigur propagierte „Möglichkeitssinn“ wird dabei zum programmatischen Erfahrungsmodus, mit Fremdem umzugehen. Mit Möglichkeitssinn meint Waldenfels im Anschluss an Musil, dass die WirklichkeitWirklichkeit ganz andersAndersheit sein könnte, als es die normalisierte Wahrnehmung des Gegebenen, der Sinn fürs Wirkliche, annimmt. In gewisser Weise lässt sich sagen, dass Möglichkeitssinn und Wirklichkeitssinn ihre Plätze tauschen. Moderne wäre also eine dynamische, aber auch fragile prozessuale Anordnung von Kultur, eine Infragestellung des Bekannten und Vertrauten, in der das Fremde auf der Tagesordnung steht, und zwar nicht nur in Gestalt der Andersartigkeit der Anderen, sondern vor allem auch in der Andersartigkeit des Eigenen.6
5.5. AneignungAneignung