unter Bezugnahme auf Freuds Aufsatz über das UnheimlicheUnheimliche, das ausführt (→ Kapitel 3).4
WaldenfelsWaldenfels, Bernhard begreift FremdheitFremdheit aber auch – und hier kommt er sozialwissenschaftlichen Konzepten beträchtlich nahe (Kapitel 6) – als etwas, das durch bestimmte soziale und symbolische Ordnungen und die von ihnen generierten NormenNorm erzeugt wird. In diesen Bereich gehören auch Andersheiten wie KrankheitKrankheit, BehinderungBehinderung und ‚Fremdsprache‘ (das sind alle SprachenSprache, die nicht die Muttersprache sind).
5.2. Der Stachel des Fremden. FrageFrage und AntwortAntwort
Im Folgenden werden drei Abschnitte des Buches Der Stachel des Fremden, die unter der Kapitelüberschrift „Eigenes und Fremdes“ stehen, einer eingehenden und intensiven Lektüre unterzogen. Sie behandeln das (neue) Verständnis von DialogDialog, die LogikLogik von FrageFrage und Fragen, das Modell der Verflechtung von Fremdem und Eigenem, und eine Logik jenseits des klassischen SubjektSubjekt-Prinzips: Bei all diesen Prozessen gehe es mit MusilMusil, Robert gesprochen darum, die „FestungFestung Ich“ zu „schleifen“.1 In den folgenden Abschnitten werden diese einzelnen Elemente WaldenfelsWaldenfels, Bernhard’ Philosophie vorgestellt.
Der DialogDialog spielt eine zentrale Rolle bei Überlegungen zum Eigenen und Fremden. Üblicherweise wird in der philosophischen TraditionTradition der Dialog zumeist als ein „MonologMonolog mit verteilten Rollen“ verstanden.2 In der klassischen Denkfigur der dialektischenDialektik SyntheseSynthese von EinheitEinheit und Vielheit verschwindet, so lautet die Diagnose des Philosophen, zumeist die DifferenzDifferenz und die unifizierende IdentitätIdentität obsiegt. Die Synthese ist dabei lediglich eine gedankliche Operation, die die bleibende Differenz neutralisiert. „Die Versöhnung nimmt Züge des Gewaltsamen“ an.3 Dabei wird der Dialog zumeist als ein KampfKampf oder als ein Streitgespräch mit einem anderen verstanden. Zwischen Sieg und Niederlage gibt es nichts Drittes: „Das Widerspiel von Rettung und Abdankung läßt die Möglichkeiten einer Wandlung außer acht.“4
WaldenfelsWaldenfels, Bernhard möchte hingegen FormenForm des Dialogischen neu denken, und zwar von einer Theorie des Anderen her. Zunächst gibt es zwei ‚klassische‘ Variationen in eine KonversationKonversation einzutreten: wechselseitige diplomatische monologische Verlautbarung und agonaler diskursiver Wettbewerb. Darüber hinaus konstatiert Waldenfels die Dimension, dass das Gespräch mich verändert. Der DialogDialog wird dabei nicht so sehr als ein Mittel des Mit- und Gegeneinander-Sprechens verstanden, sondern er ist selbst ein Zweck, in dem ein ethischesEthik Moment enthalten ist. Die Unterhaltung bedeutet über eine diplomatische Höflichkeit hinaus, die mit dem RitualRitual der GastfreundschaftGastfreundschaft korrespondiert, wechselseitige AnerkennungAnerkennung und verändert meine Gesprächssituation insofern, als meine Position relational auf den anderen bezogen wird. Meine Meinung ist nicht länger der einzig mögliche Standpunkt in meiner Lebenswelt. Was uns, über alle Differenzen hinweg, gemeinsam ist, das ist die dialogische Situation selbst, in der wir uns befinden. Die Unterredung ist also ein Zwischen, das durch den Anderen seine Rahmung erhält. Nicht nur der Dialog zwischen zwei Personen impliziert die Möglichkeit von Veränderung, sondern auch zum Beispiel der inter- oder transkulturelletranskulturell Dialog. Das Gespräch bedeutet also, sich auf das Abenteuer und die ErfahrungErfahrung eines solchen WandelsWandel einzulassen. Durch dieses Verständnis des Dialogischen wird die „FestungFestung Ich“ geschliffen.
Auch die FrageFrage möchte WaldenfelsWaldenfels, Bernhard neu thematisiert wissen, nicht im Sinne einer rhetorischen Frage oder der traditionellen Vorstellung, wonach alle Fragen automatisch zu beantworten seien. Frage soll nicht in diesem ‚zwanghaften‘ Sinne verstanden werden, nämlich dass sie AntwortAntwort einfordert, erzwingt oder gar erpresst, wie das Roland BarthesBarthes, Roland nahegelegt hat: „Es gibt stets […] einen Terrorismus der Frage; jede Frage impliziert eine MachtMacht. Die Frage bestreitet das Recht auf Nichtwissen, das Recht auf ein unschlüssiges BegehrenBegierde […].“5 Etwas mit einem Fragezeichen zu versehen, heißt auch, etwas im Status des Offenen zu belassen. Vielmehr enthält die Frage einen kommunikativen Überschuss. Dieser besteht darin, dass sie einen diskursiven und symbolischen RaumRaum (symbolisch) öffnet, „daß sie die Selbstverständlichkeit dessen, was auf der Hand liegt, durchbricht und Bezugsstellen schafft, wo Antworten anknüpfen können. Nicht der Zustand des Nichtwissens ist entscheidend, sondern der gezielte Umgang mit dem Wissen und Nichtwissen, bei sich und beim Andern“.6
Die FrageFrage ist jene sprachliche GesteGeste, die sich, wenigstens in der Diktion WaldenfelsWaldenfels, Bernhard’, dem Anderen zuwendet und ihn in eben diesem Status bestätigt. Frage und AntwortAntwort sind indes strukturell verschieden. Während erstere stets etwas offen hält, bedeutet letztere zumeist einen mehr oder weniger endgültigen Schluss. Über Waldenfels hinaus gesprochen ist die Antwort potentiell mit der MachtMacht verschwistert. Wer Antworten geben kann, der befindet sich in einem Modus sprachlicher und auch praktischer Selbstermächtigung, darauf beruht die Attraktivität des Antwortens. Im Gegensatz dazu kann ich mich auch in der Situation befinden, antworten zu müssen. Dann befinde ich mich in einer unterlegenen Situation. Alle traditionellen FormenForm der PolitikPolitik basieren im Grunde genommen auf dem Primat und der Notwendigkeit, Antwort zu geben.
Die ‚echte‘, das heißt die nicht besserwisserische rhetorische FrageFrage, ist demgegenüber ausweichend und von eigentümlicher „Widerspenstigkeit“. Anders als die AntwortAntwort erhebt sie überdies keinen Wahrheitsanspruch. Die Suggestivfrage ist demnach, ähnlich wie und andersAndersheit als die Inquisition, ein Sonderfall: Sie stellt eine Antwort dar, die sich als Frage maskiert, weil sie die Antwort bereits kennt. Wie wäre es, ein Buch mit lauter Fragesätzen zu schreiben? Das Fragen ist gegenüber dem Selbstverständlichen und der NormalitätNormalität subversiv. Mit unüberhörbarem kritischen Seitenblick auf die Kommunikationstheorie von Jürgen HabermasHabermas, Jürgen, die Wahrheit als intersubjektive Übereinstimmung bestimmt, heißt es bei WaldenfelsWaldenfels, Bernhard: „Das Fragen durchlöchert die großen, auf Fragen der Wahrheit, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit zugeschnittenen Geltungssphären.“7
5.3. Die Figur der Verflechtung
Das neue Verständnis von DialogDialog und die positive Akzentuierung des FrageFrage-Modus leiten fast unvermeidlich zur Bestimmung des Verhältnisses von Eigenem und Fremdem über. Denn beide kommunikativen Elemente implizieren eine andere RelationRelation zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Sie überschreiten die binäre Dyade, jene FormForm der AbhängigkeitAbhängigkeit, die auf dem Prinzip der zweiteiligen OppositionOpposition beruht.
‚Verflechtung‘ ist jene von Norbert Elias forcierte Denkfigur,1 die die polare Gegenüberstellung, die ja auch ein Abhängigkeitsverhältnis beinhaltet, modifiziert und überschreibt. Sie ist, wie WaldenfelsWaldenfels, Bernhard unter Berufung auf Merleau-PontyMerleau-Ponty, Maurice hervorhebt, weder eine „Verschmelzung“ noch eine „TrennungTrennung“, sondern vielmehr eine „Abhebung im gemeinsamen Feld“.2 Mit der DekonstruktionDekonstruktion DerridasDerrida, Jacques hat sie gemein, dass sie die Binarität von Oppositionen überhaupt hinterfragt, in diesem Fall die zumeist für selbstverständlich genommene Trennung von Eigenem und Fremdem. Das Fremde, das Waldenfels an dieser Stelle mit dem Anderen in eins setzt, und nicht automatisch mit einer spezifischen kulturellen DifferenzDifferenz gleichsetzt, ist immer schon im Eigenen gegeben und vorausgesetzt.
Es gibt in dieser Verflechtung immer eine VorgängigkeitVorgängigkeit des Anderen (→ Kapitel 4). Bei Sich-SeinSein ist immer schon ein Bei-sich-Sein im Anderen. Diese AsymmetrieAsymmetrie ist indes reziprok: Sie hebt sich insofern auf, als sich jeder MenschMensch in der gleichen asymmetrischen Situation befindet. Die „FestungFestung Ich“ ist insofern als ein höchst prekärer SelbstschutzSelbstschutz gegenüber jener Zumutung zu sehen, die durch die AnwesenheitAnwesenheit des Anderen gegeben ist. Um bei MusilsMusil, Robert Metapher zu bleiben, ließe sich sagen: Während also die Festung Ich sich gegen den Anderen als einen FeindFeind eben dieses Ichs wappnet, ist dieser längst in den Innenraum eingedrungen, der durch die Festung verteidigt werden sollte.
Die Formel von der AndersheitAndersheit des Ichs hat mindestens zwei Bedeutungen. Die eine bezieht sich auf die fragile Beschaffenheit jenes Ichs, das eben anders ist als das klassische SubjektSubjekt der idealistischen Philosophie;