hört auf, eine zu sein, wenn sie sich für irgend einen Preis weggibt.“ (Kant, MdS A 197) Zudem versucht der Moralapostel, die Bewohner Sadomasochiens für die Werte sensibel zu machen, die sie seiner Meinung nach „übersehen“ haben. Aber vergebens: Die unglücklichen Sadisten und Masochisten träumen an ihren Lagerfeuern von der schönen Vergangenheit. Ist die Intervention zu rechtfertigen? Zeigt das Beispiel nicht, dass Gerechtigkeit und Menschenwürde nur abgeleitete Werte zweiter Ordnung sind, die nur normativen Gehalt haben, wenn sie sich in Interessenbefriedigung |37|widerspiegeln? Das Beispiel könnte dazu zwingen, einige Intuitionen auf den Prüfstand zu stellen, selbst wenn man meint, „Sadomasochien“ sei eine traurige Welt, in der man sich keinen Platz im Neubaugebiet suchen würde.
3. Konsequenzialismus: Alle moralischen Fragen sind mit Blick auf ihre Konsequenzen in Hinsicht auf die Maximierung des an sich wertvollen Gutes Glück zu bewerten und zu entscheiden. Gibt es nur ein an sich wertvolles, also intrinsisches Gut, dann müssen alle weiteren Güter extrinsisch sein, also von ihren Konsequenzen für die Vermehrung des einzig intrinsischen Gutes abgeleitet werden.
4. Aggregierbarkeit: Ein weiterer Pfeiler des Utilitarismus besteht darin, dass Nutzen messbar, interpersonal vergleichbar und anhäufbar sein soll. Man geht davon aus, dass der Nutzen jeder Einzelperson messbar und mit dem Nutzen jeder anderen Person verrechenbar ist, so dass durch das Aufaddieren des Individualnutzens aller Personen eine Summe des Gesamtnutzens erstellt werden kann. Die Güte eines Zustands kann demnach durch die Größe dieser Gesamtsumme (oder entsprechend selteneren Spielarten in Bezug auf den Durchschnittsnutzen pro Kopf) bestimmt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem Nutzenkalkül, in dem solche Berechnungen vollzogen werden sollen. Sieht sich ein Handelnder einer Handlungsalternative gegenüber, sollte er berechnen, wie viel Glück durch die verschiedenen Handlungen wohin fließen wird. Im Anschluss sollte er jene Alternative wählen, die den größten Betrag an Glück für alle Betroffenen produziert. Dieses Kalkül wird in der Regel kardinal[28] verstanden, aber es könnte auch untersucht werden, wie die Chancen für einen ordinalen Utilitarismus stehen. Immerhin scheint es nur ordinaler Angaben zu bedürfen, um zu entscheiden, ob Partei a oder b mehr nutzen aus dem Gut G zieht. Das Prinzip vom abnehmenden Grenznutzen auf die Nord-Süd Problematik anzuwenden, wäre so möglich. Es reicht zu wissen, dass der Nutzen von zusätzlichen Gütern für sehr arme Menschen den von Gütern für reiche Menschen deutlich übersteigt. Um wie viel er das tut, ist erst einmal nicht relevant. Jedes Nutzenkalkül wird jedoch von einer Vagheit der Nutzeneinschätzungen überlagert, worauf wir gegen Ende dieses Kapitels ausführlich zu sprechen kommen werden.
|38|III. Eine heilige Kuh der Ökonomie: Pareto-Optimalität
Nachdem ich das normative Fundament dieser Arbeit erläutert und mich somit zum utilitaristischen Wirtschaftszweck und dem Postulat der Glücksmaximierung bekannt habe, müssen wir beachten, dass sich in den Wirtschaftswissenschaften eine andere häufig vertretene Auffassung von Optimierung findet: Die Pareto-Optimalität. Dieses Denkmodell will ich in diesem Kapitel erläutern und kritisieren. Zwar gibt es viele Ökonomen, die es nicht mehr als hinreichendes wohlfahrtsökonomisches Modell verstehen, aber es findet z.B. in den Lehrbüchern der Ökonomie regelmäßig Verwendung (Varian 2009, Kpt. 1.9; Pindyck und Rubinfeld 2009, 763–792) und zwar auch in Zusammenhang mit der These, dass interpersonale Nutzenvergleiche nicht möglich seien (z.B. Wiese 2014, 267, Endres und Martiensen 2007, 67). Viele konzipieren die Wohlfahrtsökonomie weiterhin so, dass Wohlfahrtsveränderungskriterien nicht hinter die Einsichten Paretos, z.B. in puncto Nutzenvergleiche zurückgehen dürfen (Kleinewefers 2008, 45f.). Ich setze mich vor allem deshalb mit dem Pareto-Weltbild auseinander, weil es den Utilitarismus in puncto Nutzenvergleiche in Frage stellt, was geklärt werden muss, will man den Utilitarismus vertreten. Viele Paretianer gingen ursprünglich vom utilitaristischen Wirtschaftszweck, von der Maximierung des Wohls insgesamt aus, hielten aber Messung und Vergleich des Nutzens bei verschiedenen Personen für unmöglich. Der vierte Pfeiler des Utilitarismus, der sogenannte Aggregationismus, wird abgelehnt. Damit scheiden auch egalitaristische und viele andere „Wohlfahrtsfunktionen“ aus, für die man auch interpersonale Vergleiche braucht (Hammond 1991, 201). Dann bleibt zur Vermehrung des Wohlergehens nur noch übrig, pareto-optimale Zustände zu erzielen: Pareto-superiore Zustände sind Zustände, in denen wenigstens eine Person ökonomisch bessergestellt werden kann, ohne dass eine andere schlechtergestellt wird. Ein pareto-optimaler Zustand s liegt vor, wenn kein anderer Zustand erzielbar ist, der pareto-superior zu s ist.[29] Diese Zielvision hat sich im Laufe der Zeit zur Hochburg der Effizienz bei den Ökonomen entwickelt: Die Zustände in einer Gesellschaft können dann und nur dann effizienter gemacht werden, wenn es möglich ist, |39|die Situation von mindestens einer Person zu verbessern, ohne die einer anderen zu verschlechtern.
Der Übergang von der utilitaristischen Wohfahrtsökonomie zum Pareto-Weltbild resultiert meist aus messtheoretischen Problemen. Die interpersonale ordinale oder kardinale Messung von Nutzen wird von vielen Ökonomen als gescheitert angesehen; es wird ein „empirischer Kollaps“ der klassischen Wohlfahrtsökonomie diagnostiziert (Kleinewefers 2008, 277). Woher soll man wissen, dass zehn Nutzeneinheiten für dich dasselbe bedeuten wie zehn Nutzeneinheiten für mich? Insbesondere dann, wenn wir verschiedenen Kulturkreisen angehören? Wie sind interpersonelle Nutzenmessungen möglich, wenn kein gemeinsamer Nutzennullpunkt und kein gemeinsames Ende der Nutzenskala bekannt sind? Das sind die Gründe, aus denen heraus der Aggregationismus abgelehnt wird. Damit ist der Weg zu einem vertragstheoretischen Verständnis des Pareto-Weltbilds geebnet:
Wenn jeder nur seinen eigenen Nutzen (…) kennt (…), dann ist der einzige operationalisierbare Test, ob eine bestimmte Handlung den Gesamtnutzen der Menschen erhöht, (…) die Zustimmung der Betroffenen. Menschen äußern ihre Zustimmung, indem sie freiwillige Verträge abschließen. (…) Wenn alle zustimmen, erwarten alle für sich Vorteile, ist der Erwartungswert (…) positiv. (Vaubel 2007, 111)
So wird angenommen, dass der Nutzen des Einzelnen nur durch freiwillige Tauschverträge nachweislich erhöht wird. Es gibt nicht ein Pareto-Optimum wie es ein Nutzenmaximum gäbe, sondern die Individuen realisieren verschiedene pareto-optimale Zustände abhängig von ihren Präferenzen und den Ausgangsbedingungen beim Tausch (Pindyck und Rubinfeld 2009, 766f.). Dabei werden nur intrapersonale Präferenzen in ordinaler Ordnung als bekannt vorausgesetzt, die sich durch Tauschhandlungen nach außen hin manifestieren (Kleinewefers 2008, 64). Wie Vaubel oben schon sagte: Jeder kennt nur seinen Nutzen. Aussagen über Präferenzen (stated preferences) werden hingegen als nicht verlässlich eingestuft, da die Subjekte bei Befragungen den Anreiz haben könnten, die Unwahrheit zu sagen, um sich Vorteile zu verschaffen. Es zählen Taten, nicht Worte.
Der paretianische Ansatz fragt nur noch: Holt der Einzelne sein persönliches Maximum an Nutzen aus den Gütern heraus (Kleinewefers 2008, 43)? Aber es kann relativ zu den Grundausstattungen verschiedene Optima geben, das nützlichste oder gerechteste Optimum für alle ist nicht ermittelbar. Umverteilung kommt nur noch zustande, wenn niemand durch sie schlechtergestellt wird. Für jede diese Pareto-|40|Bedingung verletzende Umverteilung wird man die Zustimmung des durch sie schlechtergestellten Individuums nicht erhalten: „Niemand wird freiwillig in einen Tausch einwilligen, wenn er dadurch schlechter gestellt wird.“ (Kleinewefers 2008, 65, vgl. 21) Und: „Da die Marktverträge (…) freiwillig abgeschlossen werden, also die Zustimmung der Beteiligten voraussetzen, ist die Marktwirtschaft ein herrschaftsfreier Koordinationsmechanismus.“ (Vaubel 2007, 113)
Wenn alle Verträge freiwillig eingegangen worden sind, die zu einem Status Quo geführt haben, an dem nicht weiter getauscht wird, kann man diesen Status eben durch diese Eigenschaft moralisch rechtfertigen: Da alle Tauschhandlungen freiwillig zustande kamen und so zu diesem bestimmten Status quo führten, ist dieser Status quo durch den Wert der Freiheit gerechtfertigt. Von diesem Status quo abzuweichen, ist nur im Konsens möglich, sonst kann man nicht ausschließen, dass sich der gute, da von den Tauschpartnern frei hergestellte Status quo verschlechtert. H. Kleinewefers bringt das auf den Punkt: „Würde man normativ verlangen, dass politische Entscheidungen die Wohlfahrt nach dem Pareto-Kriterium erhöhen, so käme dies einem absoluten Schutz der jeweiligen Besitzstände bzw. einem Vetorecht für jeden einzelnen möglicherweise negativ Betroffenen gleich.“ (Kleinewefers 2008,