dieses Vorgehen lassen sich bis zum Abschluss des dritten Kapitels bereits zahlreiche Unterschiede von Theorien der Sozialen Arbeit skizzieren, die wir in Kap. 4 zusammenfassen werden. Es lassen sich aber auch bereits Gemeinsamkeiten von Theorien der Sozialen Arbeit erahnen. Dies gilt in Hinsicht auf das, was die Theorien im Ergebnis als Soziale Arbeit präsentieren. Vor allem aber gilt es in Hinsicht darauf, wie Soziale Arbeit durch Theorien der Sozialen Arbeit als Gegenstand hergestellt wird. Diese Gemeinsamkeiten des „Wie“ innerhalb der durch Theorien der Sozialen Arbeit durchschrittenen Theoretisierungsprozesse werden wir entsprechend in Kap. 5 darstellen. Wir hoffen, damit den LeserInnen dieses Buches ein systematisches Orientierungswissen zur Debatte um Theorien der Sozialen Arbeit an die Hand zu geben.
Die in den 2010er Jahren vorgelegten Lehr- und Einführungsbücher zum Thema (May 2010; Lambers 2013; Borrmann 2016; Hammerschmidt et al. 2017) haben aus unserer Sicht wichtige erste Schritte in Richtung einer systematisierenden Perspektive auf Theorien der Sozialen Arbeit unternommen, ebenso wie die regelmäßig überarbeiteten Handbuchartikel zu Theorie(n) der Sozialen Arbeit (Rauschenbach/Züchner 2012; Thole 2012a; Füssenhäuser/Thiersch 2015). In Hinsicht auf eine von Vornherein systematisch angelegte Erörterung von Theorien der Sozialen Arbeit besteht aber unseres Erachtens noch Ausbaubedarf. Auf diesen Ausbaubedarf wollen wir mit der vorgelegten Einführung reagieren.
Zugleich bedarf es dafür aus unserer Sicht einer gewissen kritischen Distanz gegenüber bestimmten Selbstverständlichkeiten, die im Aufbau von Theorien der Sozialen Arbeit und der Diskussion über sie bisher gepflegt und nur selten hinterfragt worden sind (Dollinger 2013; Sandermann/Neumann 2014). Diese kritische Distanz werden wir durchweg, und besonders in Kap. 5 einnehmen.
In Kap. 6 werden wir abschließend den jüngsten Stand der Diskussion um Theorien der Sozialen Arbeit skizzieren. Hier werden wir die These aufstellen, dass Theorien der Sozialen Arbeit, wie sie sich vor allem in ihrer „großen Zeit“ der 1980er und 1990er Jahre entwickelt haben, wenig zeitgemäß sind. Dies hat verschiedene Gründe, die wir kurz illustrieren werden. Wie wir aber auch zeigen werden, gibt es genauso gute Gründe davon auszugehen, dass Theorien der Sozialen Arbeit in Zukunft eine wieder höhere Relevanz gewinnen könnten. Inwiefern diese Theorien dann allerdings noch so werden aussehen können, wie diejenigen, die im Mittelpunkt des vorliegenden Einführungsbuches stehen, wollen wir abschließend problematisieren.
Das vorliegende Buch baut auf einer langjährigen Beschäftigung mit Theorien der Sozialen Arbeit auf. Während dieser Beschäftigung war es nie unser Anspruch, selbst eine Theorie der Sozialen Arbeit zu entwerfen. Es war aber immer ein Anspruch, Theorien der Sozialen Arbeit – jede für sich genommen und im Vergleich zueinander – durch die Beschäftigung mit ihnen besser zu verstehen. Was dabei in hohem Maße zur Entwicklung unserer eigenen Verstehensperspektive, der wir im vorliegenden Buch folgen, beigetragen hat, waren Gespräche zum Thema mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen. Gedankt sei in diesem Zusammenhang insbesondere Petra Bauer, Georg Cleppien, Kai Dierkes, Bernd Dollinger, Gabriel Eichsteller, Nicole Hekel, Reinhard Hörster, Michael-Sebastian Honig, Bettina Hünersdorf, Onno Husen, Kerstin Jergus, Magdalena Joos, Fabian Kessl, Stefan Köngeter, Randolf Körzel, Martina Lütke-Harmann, Veronika Magyar-Haas, Sebastian Manhart, Marcel Meier Kressig, Johanna Mierendorff, Richard Münchmeier, Christian Niemeyer, Mareike Patschke, Hans Thiersch, Christiane Thompson, Maren Zeller sowie Ulrike Urban-Stahl, die zugleich Herausgeberin dieser Einführungsreihe ist und in diesem Zuge eine besonders unterstützende Rolle für das Zustandekommen des vorliegenden Buches gespielt hat. Darüber hinaus möchten wir den vielen Studierenden und denjenigen Promovierenden danken, mit denen wir im Laufe der letzten Jahre immer wieder zum Thema diskutieren konnten.
Neben Gesprächen und Diskussionen haben gerade auch die Handlungserfahrungen, die wir selbst als „Praktiker“ gemacht haben, zur schrittweisen Erarbeitung unserer Verständnisperspektive beigetragen. Wie bei vielen Kolleginnen und Kollegen war „die Praxis der Sozialen Arbeit“ in unserem Fall vornehmlich die Kinder- und Jugendhilfe. Gerade hier drängte sich uns beiden unabhängig voneinander immer wieder der Eindruck auf, dass eine Perspektive produktiver Distanz zu vorfindbaren Theorien der Sozialen Arbeit dabei helfen kann, die Art und Weise, in der Theorien der Sozialen Arbeit „ihre“ Praxis konstruieren, besser begreifen zu können.
Wir wünschen den LeserInnen der vorliegenden Einführung, dass die hier eröffnete Verstehensperspektive sie darin unterstützen möge, einen wissensbasierten Überblick zu Theorien der Sozialen Arbeit zu entwickeln oder auch zu vertiefen. Wo sich bei der Lektüre Kritik an unserem Blick regt, sind wir dankbar für Rückmeldungen. Denn – so unsere Überzeugung – Theorien lassen sich am besten im Dialog entwickeln. Theorien über Theorien bilden dabei keine Ausnahme.
1 Was sind Theorien der Sozialen Arbeit?
Das Ziel dieses Kapitels ist es zu klären, was Theorien der Sozialen Arbeit sind. Dafür ist es zunächst wichtig zu verdeutlichen, inwieweit Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit logisch eng miteinander zusammenhängen. Im ersten Unterkapitel 1.1 werden wir der Ausgangsthese folgen, dass sich Theorien immer auf etwas beziehen, was sie als „real“ ansehen. Umgekehrt gilt damit zugleich, dass die Beschäftigung mit Theorie immer auch eine Auseinandersetzung darüber einschließt, worauf sich Theorie bezieht. Im Falle der Sozialen Arbeit ist dieser Bezugspunkt üblicherweise „die Praxis“. Welchen Auftrag Theorien genau haben, darüber gibt es allerdings – gerade in den Sozial- und Geisteswissenschaften – nicht nur Konsens, sondern auch entscheidende Kontroversen und Differenzen. Dies gilt auch im Bereich von Theorien, welche das Ziel haben, Wissen über die Soziale Arbeit zu generieren. Strittig ist dabei vor allem, was als „wertvolles“ Theoriewissen zur Sozialen Arbeit anzusehen ist. Eine entscheidende Dissenslinie verläuft z. B. zwischen Positionen, die Theorien in der Pflicht sehen, normatives Handlungswissen bereitzustellen, und Positionen, die diese Möglichkeit bestreiten oder sie zumindest der Aufgabe von Theorien unterordnen, reflexives, analytisches Wissen zu produzieren. Weitgehende Einigkeit besteht jedoch darin, dass sich theoretische Erkenntnisse über die Praxis, die durch Theorien der Sozialen Arbeit generiert werden, nicht einfach „in die Praxis“ übertragen oder für eine Veränderung von Praxis „benutzen“ lassen. Warum das so ist, werden wir in Kapitel 1.2 erläutern. In Kapitel 1.3 werden wir noch einmal zusammenfassen, warum es wertvoll ist, sich innerhalb des Studiums mit Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit zu beschäftigen – zumal man sich reflektierterweise gar nicht für nur eines von beidem entscheiden kann. Abschließend werden wir noch einmal verdeutlichen, welchen theoretischen Blick dieses Buch auf Theorien der Sozialen Arbeit richtet.
1.1 Zum konstitutiven Zusammenhang von Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit
Theorie interessiert mich nicht, denn ich will ja in die Praxis!“ Diesen Satz hört man von Studierenden der Sozialen Arbeit immer wieder. Nachfolgend verdeutlichen wir, warum es Sinn macht, diesem Satz mit äußerstem Misstrauen zu begegnen.
Aus dem Alltagsverständnis, dass es sich bei Theorie und Praxis um zwei unterschiedliche Dinge handelt, wird gelegentlich geschlussfolgert, dass Theorie und Praxis eigentlich nichts oder jedenfalls nicht unmittelbar etwas miteinander zu tun haben (können). Wir werden im Folgenden zeigen, dass sich zwar die erste Annahme („Theorie und Praxis sind etwas Unterschiedliches“) durchaus gut begründen lässt. Das heißt jedoch gerade nicht, dass Theorie und Praxis zwei völlig unterschiedliche oder gar unvereinbare Sachverhalte sind.
Aber der Reihe nach: Zunächst einmal macht es tatsächlich einen Unterschied, ob man über Theorie spricht