‚Probeleserin‘ sowie bei der Einrichtung der Beiträge und der Literaturverzeichnisse eine große Hilfe, Katharina Gerhardt hat das Buch sorgfältig lektoriert. Auch ihnen sei dafür herzlich gedankt.
1. Literatur um 1200. Hartmanns Dichtung im literaturhistorischen Kontext
Timo Felber
Hartmann von Aue ist der bedeutendste deutschsprachige Dichter des 12. Jahrhunderts. Seine außerordentliche schriftstellerische Vielseitigkeit findet ihren Niederschlag in einem Werk, das verschiedene groß- und kleinepische sowie lyrische Gattungen umfasst. Unter Hartmanns Namen überliefert sind die Artusromane ‚Erec(k)‘ und ‚Iwein‘, die legendarischen Erzählungen ‚Gregorius‘ und der ‚Arme Heinrich‘, die Dialogdichtung ‚diu Klage‘ sowie ein Korpus von 18 Liedern. Er greift auf Vorbilder in der traditionellen lateinischen Dichtung (Legende, Vita, selbstbetrachtender Dialog), v.a. aber auf zeitgenössische Formen und Prätexte der RomaniaRomania (roman courtoisroman courtois) sowie der Germania zurück (MinnesangMinnesang). Als einer der ersten profilierten volkssprachigen Dichter steht er für das Aufblühen der sogenannten höfischen Kultur, aus der sein Werk hervorgeht und die es zugleich maßgeblich prägt. Zahlreiche Autoren des 13. Jahrhunderts preisen Hartmann als einen Autor, der das Erscheinungsbild der deutschen Literatur dieses Zeitraums mitgeprägt habe. Obwohl seine literaturgeschichtliche Bedeutung mithin immens ist und er sich zudem in all seinen Texten wenigstens kurz über sich selbst äußert, verfügen wir – wie auch bei anderen Autoren der Zeit um 1200 – kaum über gesichertes biographisches Wissen. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels soll daher der Frage nachgegangen werden, wie Hartmann unter den Bedingungen des Literaturbetriebs um 1200 überhaupt als Autorperson greifbar wird und wie ein solcher Zugriff unser Textverständnis befördern kann. Der in dieser Einführung angestrebte differenzierte wissenschaftliche Zugang setzt darüber hinaus die Rekonstruktion der kulturellen und literarischen Kontexte seines Œuvres voraus. Aus diesem Grund widmet sich der zweite Abschnitt des Kapitels dem hochmittelalterlichen Bildungswesen, der Wechselwirkung von geistlicher und weltlicher Kultur sowie den Wissenshorizonten von Dichter und Publikum und ordnet das Werk Hartmanns in die grundlegenden Linien der literaturgeschichtlichen Epoche der sogenannten höfischen Dichtung ein.
1.1. Wer war Hartmann von Aue? Biographischer Autor und literarische Autorbilder
Auch wenn die poststrukturalistische Kritik den Autor als Interpretationskategorie wirkmächtig in Frage gestellt hat, bleibt das wissenschaftliche Verständnis literarischer Texte auf den AutorAutorschaft als Produktionsinstanz bezogen. Das Wissen um die biographische Existenz des Autors hilft, Texte gesellschaftlich sowie wissensgeschichtlich zu kontextualisieren, nicht zuletzt mit dem Ziel, Interpretationen zu plausibilisieren (Jannidis 1999:25). Dies müsste auch und gerade für die mittelalterliche Literaturpraxis gelten, doch entziehen sich deren Akteure aufgrund der desaströsen Quellensituation zumeist einem wissenschaftlichen Zugriff: „Wir kennen im Mittelalter in der Regel nicht den Autor, der den Text hervorgebracht hat, sondern nur den Text, der den Autor hervorbringt“ (Wenzel 1998:5). Dies lässt sich beispielhaft an Hartmann von Aue zeigen. Unser gesamtes Wissen über ihn stammt aus literarischen Texten. Andere Quellen (Tauf- oder Sterberegister, Urkunden o.ä.), die Aufschluss über sein Leben geben könnten, gibt es nicht. Bei einer biographischen Rekonstruktion, die sich auf die Lektüre literarischer Texte des Mittelalters stützt, begegnen deshalb einige unhintergehbare methodische Probleme. Anders als in modernen Textausgaben existieren in mittelalterlichen Handschriften keine Titelblätter mit Angaben zum Verfasser. Wenn ein Autor seinen Text mit seinem Namen in Verbindung bringen wollte, musste er sich selbst nennen: Prologe und Epiloge sind bevorzugte Stellen solcher Selbstnennungen. Da diese in der Überlieferung nicht selten weggelassen wurden, war es für den Verfasser jedoch sicherer, seinen Namen an verschiedenen Stellen seines Werkes einzuflechten. Wer biographische Informationen aus solchen SelbstnennungenAutorsignatur Selbstnennunggenerieren möchte, steht schließlich vor dem methodischen Problem, dass Dichter über die Lizenz verfügen, Unwahres über sich zu erzählen (Kablitz 2008). Es gilt folglich, die biographische Autorexistenz nicht mit der literarischen Szenerie der Autorbilder und -stilisierungen zu verwechseln (Peters 1991:31). Nichtsdestotrotz hat die germanistische Forschung zahlreiche biographische Informationen aus solchen Selbstnennungen abgeleitet: Im Licht der Quellenkritik sind sie oft genug nicht haltbar (z.B. Bumke 2006:1–4, Wolf 2007:31–35). Was kann vor diesem Hintergrund denn überhaupt als gesichertes oder doch zumindest wahrscheinliches biographisches Wissen über Hartmann von Aue gelten?
1.1.1. Der Name
Hartmann nennt sich in seinen Texten selbst Hartmann von Ouwe. Diese Selbstbezeichnung Autorsignaturfindet leicht variiert (Der von Ouwe, Der Ouwære) Bestätigung in den Dichtungen anderer Autoren, die Hartmann als einen der größten Dichter seiner Zeit herausstellen (→ Kap.12.). So heißt es im ‚Tristan‘ Gottfrieds von StraßburgGottfried von Straßburg‚Tristan‘:
Hartman der Ouwære,
[…]
swer guote rede ze guote
und ouch ze rehte kan verstân,
der muoz dem Ouwære lân
sîn schapel unde sîn lorzwî (GoTr 4621; 4634–4637)
Hartmann, der Ouwære, […] wenn einer gute Dichtung gut und auch richtig beurteilen kann, so muss der dem Ouwære seinen Ehrenkranz aus Lorbeer zugestehen.
Die Schreiber der großen Lyrik-Sammelhandschriften um 1300 nennen ihn übereinstimmend Her Hartman von Owe (zur Weingartner LiederhandschriftLiederhandschriftenWeingartner Liederhandschrift (B) B und Codex ManesseLiederhandschriftenCodex Manesse (C) C, → Abb. 1.1. und 1.2.). Auch wenn das Owe hier dem vielfach im Minnesang genutzten Leidausruf owê entspricht (so z.B. in Hartmanns Lied IV: Owê, waz tæte si einem man, / dem sî doch vient wære, MF 209,15f.) und daher die literarische Klagefigur des unglücklichen Liebenden aufruft, machen die weitgehenden Namensübereinstimmungen nahezu sicher, dass es einen Autor mit Namen Hartmann von Aue gegeben hat.
Autorbild zu den Liedern Hartmanns von Aue in der Weingartner Liederhandschrift (B).
Autorbild zu den Liedern Hartmanns von Aue in der Großen Heidelberger Liederhandschrift (C).
1.1.2. Datierung und Herkunft
Die Entstehung mittelalterlicher Literatur kann in aller Regel nicht genau datiert werden. Anders als moderne Textausgaben gibt es in mittelalterlichen Codices keine Titelei, der das Erscheinungsdatum zu entnehmen wäre. Zudem haben wir weitestgehend keine Autographe, d.h. vom Autor selbst verfasste Texte. Mittelalterliche Literatur liegt nahezu immer in Abschriften vor, die lange Zeit nach der Entstehung der Dichtung angefertigt wurden. Das gilt auch für Hartmanns Texte. Die überlieferten handschriftlichen Zeugnisse seines Werks datieren vom frühen 13. Jahrhundert bis ins frühe 16. Jahrhundert (→ Kap. 2.). ÜberlieferungFerner gibt es in den Texten Hartmanns keine einzige zeitgeschichtliche Anspielung, die einen sicheren Anhaltspunkt für eine Datierung bietet. Dennoch können wir die Schaffenszeit Hartmanns ungefähr auf die Jahre 1180–1200/05 eingrenzen. Dazu bedienen wir uns der Erwähnung Hartmanns