setzt: Als Buchgelehrter besitzt Hartmann die Fähigkeit des Dichtens, als Ritter vermag er, von der Ritterschaft Iweins kompetent zu erzählen. Die Rezipienten werden so eher geneigt sein, ihm die AutoritätAutorität zuzubilligen, über Nöte, Konflikte und richtiges Verhalten seines ritterlichen Protagonisten zu sprechen. Dass Autoren eine solche Vermittlungs- und Legitimierungsstrategie nutzen, ist in der wissenschaftlichen Forschung schon früh erkannt worden: „Der Autor soll die erzählte Welt durch ein dieser möglichst angemessenes Sehorgan sichtbar machen […]. Vom Schlaraffenland erzählt am plastischsten, wer gern und gut ißt, oder ein Koch, oder ein Hungerleider“ (Mecke 1965:14). So sind alle Autorselbstbilder im erzählerischen Werk Hartmanns konstruiert: Sie passen sich jeweils dem Gegenstand an, von dem sie erzählen.
Hartmann entwirft auf der Ebene des Erzählens ein Autorbild, auktoriale Selbstdarstellung das sich dem Protagonisten des Erzählten angleicht, um seine Kompetenz herauszustellen. Der dieser narrativen Vermittlungsstrategie zugrunde liegende Gedanke, dass man nämlich von dem, was man selbst nicht kennt, nur unzureichend erzählen kann, findet sich an vielen Stellen mittelalterlicher Literatur. Hartmann selbst ruft diesen Gedanken etwa auch in seiner Verslegende ‚Gregorius‘ auf, als er schildern soll, wie sehr die MutterMutter/Schwester (‚Gregorius‘) des Gregorius leidet, als sie ihr Neugeborenes in einem Weidenkörbchen auf dem Meer aussetzen muss:
Ir wizzet wol daz ein man
der ir iewederz nie gewan,
reht liep noch grôzez herzeleit,
dem ist der munt niht sô gereit
rehte ze sprechenne dâ von
sô dem der ir ist gewon.
Nû bin ich gescheiden
dâ zwischen von in beiden,
wan mir iewederz nie geschach:
ichn gewan nie liep noch ungemach,
ich enlebe übele noch wol.
dâ von enmac ich als ich sol
der vrouwen leit entdecken […] (HaGr 789–801)
Ihr wisst genau, dass ein Mensch, der weder wahre Liebe noch großes Leid erfahren hat, nicht die Worte findet, um in dem Maße richtig über Liebe und Leid zu sprechen, wie derjenige, der beides gut kennt. Nun stehe ich zwischen den beiden, weil mir beides nicht widerfahren ist: Ich erlebte weder Liebe noch Leid, ich lebe weder schlecht noch gut. Deshalb kann ich nicht, wie ich es sollte, das Leid der Dame beschreiben.
Hartmann bedient sich eines Unzulänglichkeitstopos: Er kann den Liebesschmerz der Mutter nicht angemessen beschreiben, weil er selbst kein Liebesleid erfahren habe. Literarische Kompetenz ist in dieser Vorstellung also an Selbsterfahrung geknüpft.
Wenn man davon ausgeht, dass es Hartmann darum zu tun ist, sich als auktoriale Erzählinstanz Erzähler / Erzählinstanzauktoriale Selbstdarstellungzu legitimieren, ist auch zu verstehen, warum sich seine Selbstdarstellung im ‚Gregorius‘ von dem im Ritterroman entworfenen ritterlichen Selbstbild deutlich unterscheidet. Diese Legende erzählt die fingierte Vita des Papstes GregoriusGregorius, der, nachdem er sich als Ritter in die Sünde des Inzests verstrickt hat, extreme Buße tut und aufrichtig seinen Lebenswandel bereut, um schließlich ins Amt des römischen Bischofs aufzusteigen. Der geistlichen Thematik entsprechend entwirft Hartmann das Selbstbild eines alten, weisen und weltabgewandten Autors, der das Trügerische der irdischen Welt in jungen Jahren kennengelernt und in seinen früheren Dichtungen gepriesen hat:
Mîn herze hât betwungen
dicke mîne zungen
daz si des vil gesprochen hât
daz nâch der werlde lône stât:
daz rieten mir diu tumben jâr.
nû weiz ich daz wol vür wâr:
swer durch des helleschergen rât
den trôst ze sîner jugent hât
daz er dar ûf sündet,
als in diu jugent schündet,
daz er gedenket dar an:
‚dû bist noch ein junger man,
aller dîner missetât
der wird noch vil guot rât:
dû gebüezest si in dem alter wol‘,
der gedenket anders danne er sol.
[…]
Durch daz wære ich gerne bereit
ze sprechenne die wârheit
daz gotes wille wære
und daz diu grôze swære
der süntlichen bürde
ein teil ringer würde
die ich durch mîne müezikeit
ûf mich mit worten hân geleit.
wan dâ enzwîvel ich niht an:
als uns got an einem man
erzeiget und bewæret hât,
sô enwart nie mannes missetât
ze dirre werlde sô grôz,
er enwerde ir ledic unde blôz,
ob si in von herzen riuwet
und si niht wider niuwet. (HaGr 1–16; 35–50)
Mein Herz hat oft meinen Mund unterworfen, sodass er Vieles gesprochen hat, was auf Belohnung im Diesseits zielt: Das gab dem Herz meine Unerfahrenheit ein. Jetzt aber weiß ich genau: Wer durch den Rat des Höllenschergen sich versündigt, wie es ihm seine Jugend eingibt, und sich in seiner Jugend damit tröstet, dass er folgendermaßen denkt: ‚Du bist noch ein junger Mensch, allen deinen schlechten Taten wird noch abgeholfen: du büßt sie alle, wenn du alt bist‘, der denkt anders, als er sollte. […] Deshalb stehe ich bereit, die Wahrheit zu verkünden, damit Gottes Wille geschehe und die große Beschwernis der Last meiner Sünden ein wenig geringer würde, die ich aufgrund meiner Leichtfertigkeit mit Worten begangen habe. An einem zweifele ich nämlich nicht: Wie uns Gott an einem Mann gezeigt und vorgeführt hat, können die schlechten Taten eines Menschen im Diesseits nicht so groß werden, dass er sich nicht wieder von ihnen befreien könnte, wenn er sie nur von Herzen bereut und sie nicht erneut begeht.
Wie der Titelheld der Erzählung hat auch Hartmann in seinem poetischen Selbstentwurfauktoriale Selbstdarstellung in seiner Jugend Sünde auf sich geladen, die er jetzt im Alter durch eine gottgefällige Dichtung abbüßt (ze sprechenne die wârheit / daz gotes wille wære). Hartmann ist schon von vornherein im Besitz der Einsicht, die GregoriusGregorius während der Handlung erst noch erwerben muss. Er hat die Wandlung (conversio) bereits vollzogen, die dem Protagonisten noch bevorsteht. Nicht als Ritter profiliert sich der Autor in seiner geistlichen Erzählung, sondern als büßender Mensch, der die Einsicht in seine Schuld (gesprochen zu haben, daz nâch der werlde lône stât, statt ze sprechenne die wârheit) in richtiges Handeln überführt. Wie schon im ‚Iwein‘ gewinnt Hartmann demnach auch