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Hartmann von Aue


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haben muss. Den ‚Parzival‘ aber können wir ungefähr datieren, weil sich darin eine Anspielung auf ein historisches Ereignis findet. Wolfram vergleicht nämlich die im Roman geschilderte Zerstörung einer Landschaft durch ein Belagerungsheer mit der Verwüstung der Erfurter Weingärten in der historischen Realität:

       Erffurter wîngarte giht

       von treten noch der selben nôt:

      maneg orses vuoz die slâge bôt. (WoPz 379,18–20)

      Die Erfurter Weingärten befinden sich durch Tritte immer noch in der gleichen Not: Viele Hufschläge verwüsteten sie.

      Damit spielt Wolfram wahrscheinlich auf die Zerstörungen im Erfurter Umland an, die während der Belagerung der Stadt im Zuge des Thronstreits zwischen Philipp von SchwabenPhilipp von Schwaben und Otto IV.Otto IV. von Braunschweig im Jahr 1203 entstanden sind. Da in der Formulierung Wolframs die Weingärten immer noch zerstört sind, setzt man die Entstehung dieser Textstelle des ‚Parzival‘ um 1205 an. Damit wäre für Hartmanns Dichtung ein terminus ante quem gewonnen.

      Noch unsicherer sind die Indizien für den Beginn von Hartmanns Autorschaft. Autorschaft Die Prätexte der beiden Artusromane Hartmanns, Chrétiens de TroyesChrétien de Troyes‚Yvain‘Chrétien de Troyes‚Erec et Enide‘ ‚Erec et Enide‘ und ‚Yvain‘, lassen sich ebenfalls nicht genau datieren. Man nimmt als Entstehungszeiten die Jahre um 1165 bzw. um 1175 an. „Die verwertbaren Anhaltspunkte sichern nur einen Datierungsrahmen. Hartmanns literarische Aktivität gehört in die letzten beiden Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts; ob sie das vorletzte Jahrzehnt ganz oder nur zum Ende hin ausfüllte und auch noch in das erste Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts reichte, ist nicht sicher auszumachen“ (Cormeau/Störmer ³2007:31).

      Eine relative ChronologieChronologie, also eine Reihenfolge der Dichtungen Hartmanns, ist nicht wirklich zu erweisen, auch wenn man sich in der Forschung konsensual auf die Reihung der Erzähltexte in der Abfolge ‚Erec(k)‘ – ‚Gregorius‘ – ‚Armer Heinrich‘ – ‚Iwein‘ verständigt hat. Diese Anordnung gründet auf den Vergleich von Reimtechnik, Wortwahl und Versrhythmus. Man geht dabei stillschweigend von der problematischen Prämisse aus, dass ein Autor sich mit fortschreitender Zeit stilistisch stetig verbessert. Gesichert scheint in der Reihung nur, dass der ‚Erec[k]‘ vor dem ‚Iwein‘ entstanden ist, da hier auf die Handlung des Erec[k]romans Bezug genommen wird, dessen Kenntnis bei den Rezipienten also erwartet werden kann. Die ‚Klage‘ wird zuweilen als Erstlings- oder neben dem ‚Erec(k)‘ als Frühwerk Hartmanns angesehen, doch bietet die als Beleg für diese Einordnung herangezogene Selbstbezeichnung Hartmanns als jungelinc (HaKl 7) keine hinreichende Sicherheit (zur Problematik der biographischen Auswertung der Selbstaussagen: → Kap. 1.1.3.). In den Liedern gibt es nicht einen einzigen Anhaltspunkt, der eine Datierung zuließe.

      Noch größere Schwierigkeiten als die zeitliche Einordnung bereitet die Frage nach der Herkunft Hartmanns. Wir können ihn familiär gar nicht, regional nur sehr bedingt verorten. Beides hängt damit zusammen, dass es im 12. Jahrhundert noch keine Nachnamen gibt. ‚Von Aue‘ ist eine Herkunftsbezeichnung. Es handelt sich bei unserem Autor folglich um Hartmann aus Aue. Allerdings wissen wir nicht, aus welchem ‚Aue‘ Hartmann stammt. In der Forschung gilt der Südwesten Deutschlands, das alte Herzogtum Schwaben, als wahrscheinliches Herkunftsgebiet, weil seine Reimsprache geringe Spuren eines alemannischen Dialekts aufweist und Heinrich von dem TürlinHeinrich von dem Türlin‚Die Krone‘, ein Dichter aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in seinem Artusroman ‚Die Krone‘ behauptet, dass Hartmann von der Swaben lande stammt (HeKr 2353). In Schwaben existieren freilich viele Orte mit Namen Aue, sodass eine genauere Zuordnung Spekulation bleiben muss.

      1.1.3. Stand und Bildung

      Man liest in zahlreichen aktuellen Literaturgeschichten und Einführungen, dass Hartmann Ministeriale – d.h. Dienstmann eines adligen Herrn – und gelehrter Ritter gewesen sei, der in seinen Mußestunden gedichtet habe. Dieses scheinbar gesicherte Wissen verdankt sich freilich ausschließlich den literarischen SelbstaussagenAutorsignatur Hartmanns, deren biographischer Zeugniswert zweifelhaft ist. Denn der Entwurf einer Autorfigurauktoriale Selbstdarstellung im literarischen Text muss sich nicht an der Biographie des realen Autors orientieren, sondern kann Funktionen für das Erzählte haben. Die Selbstdarstellung in literarischen Texten richtet sich dann an rhetorischen Strategien aus, die der Legitimierung des Autors und dem Nachweis seiner besonderen Qualifizierung dienen. Um dies zu erreichen, stellt der Autor mit seinem poetischen Selbstentwurf üblicherweise eine Beziehung zur fiktiven Geschichte her, verklammert also die Ebenen von Erzählung und Erzählen. Durch die Anpassung seines poetischen Selbstentwurfs an das Sujet gewinnt der reale Autor an Autorität und Legitimität. Er wird von den Rezipienten als Fachmann für das Erzählte wahrgenommen. Genau diese Rhetorik der Selbstlegitimation findet sich im Œuvre Hartmanns. Daher lassen sich aus seinen fingierten Selbstentwürfen keine biographischen Fakten ableiten. Dass in fiktionaler Literatur Autoren nicht an eine Wahrheitskonvention gebunden sind, wenn sie Aussagen über sich machen, wird auch in der neueren Forschung immer noch gern übersehen (zum schwierig zu fassenden Verhältnis von Autor und ErzählerErzähler / Erzählinstanz sowie ihrer Überblendung in den Texten Hartmanns → Kap. 8.). Die folgende ausführliche Darstellung soll daher dazu dienen, die rhetorische Funktion der Selbstaussagen Hartmanns offenzulegen (nach Reuvekamp-Felber 2001).

      Zunächst einmal sollen zwei prominente und vielzitierte Textstellen aus dem ‚Iwein‘ und dem ‚Armen Heinrich‘ in den Blick genommen werden, in denen sich Hartmann als gelehrter Ritter auktoriale Selbstdarstellungbezeichnet. Dabei redet er von sich – wie es der lateinisch-rhetorischen Tradition entspricht – in der dritten Person (Unzeitig 2010:135f., 230f.):

       Ein rîter, der gelêrt was

       unde ez an den buochen las,

       swenner sîne stunde

       nicht baz bewenden kunde:

       daz er ouch tihtens pflac.

       daz man gerne hœren mac,

       dâ kêrt er sînen vlîz an.

       er was genant Hartman

       unde was ein Ouwære,

      der tihte diz mære. (HaIw 21–30)

      Ein Ritter, der gelehrt war und es [d.h. das zuvor Berichtete, T.F.] in Büchern gelesen hatte, dichtete auch, sobald er mit seiner Zeit nichts Besseres anzufangen wusste. Er richtete auf das seine Bemühung, was man gerne hört. Hartmann hieß er und war ein Ouwære. Der dichtete diese Geschichte.

       Ein rîter sô gelêret was

       daz er an den buochen las

       swaz er dar an geschriben vant;

      der was Hartman genant, […] (HaAH 1–4).

      Ein Ritter war so gelehrt, dass er in Büchern lesen konnte, was immer er darin fand; der wurde Hartmann genannt, […]

      Bereits die Aussage im ‚Iwein‘,auktoriale Selbstdarstellung dass Hartmann nur dichte, ‚wenn er mit seiner Zeit nichts Besseres anzufangen‘ wisse, dürfte kaum der Wirklichkeit entsprechen: Immerhin war er ein außerordentlich produktiver Autor, für den das Dichten eher eine Haupt- als eine Nebenbeschäftigung gewesen sein dürfte (Bumke 2006:4). Darüber hinaus bezeichnet er sich als buchgelehrter Ritter und ruft damit eine Figur auf, die nur schwer mit der sozialen Wirklichkeit in Deckung zu bringen ist. In aller Regel wachsen Ritter nämlich als Analphabeten auf, während angehende Kleriker das Lesen und Schreiben in einer Kloster- oder Kathedralschule erlernen. Bildung, klerikaleDie vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Bildungssituation paradox anmutende Figurauktoriale Selbstdarstellung