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Hartmann von Aue


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wîp, / sich, sô lônet sî dir, lîp (HaKl 1631f.). Wenn sie gut ist, lohnt sie. Vielleicht.

      Das stæte-Dilemma fungiert als entscheidende Klammer zwischen Dialogteil und Schlussgedicht. Wie verhält sich der Streitdialog (HaKl 1–1644) zu den an die Dame adressierten Schlussstrophen, die so überraschend die Intimität des Selbstgesprächs nach außen wenden (HaKl 1645–1914)?

      Dass die erste der Schlussstrophen mit 32 Versen genauso lang ist wie der einleitende Prolog des Textes, lässt sich als formale Entsprechung sehen mit dem kompositorischen Effekt einer Art Triptychon, auch die vergleichbar hohe Frequenz von Sentenzen in beiden Rahmenteilen sowie lexikalische Wiederaufnahmen (zusammenfassend Strittmatter 2013:200–204) weisen auf gezielte Kohärenzbildungsmaßnahmen hin. Die Materialität der Texteinrichtung ist für den Übergang des Streitgesprächs zum Schlussgedicht aufschlussreich. Auch wenn der von Teilen der älteren Forschung bezweifelte ‚Echtheitsstatus‘ des Schlussgedichts (Kischkel 1997)Echtheitsdiskussion in letzter Instanz unvermeidlich hypothetisch bleiben muss: Mit ihrer Untersuchung der in der Handschrift verwendeten Gliederungselemente (Überschrift, Zeilenabstand, Initiale, Randverzierung) kann zuletzt Hess ältere Forschungshypothesen dahingehend bestätigen, dass zumindest die Überlieferung „den Text als Ganzes wahrgenommen hat und wahrgenommen haben wollte“ (2016:27, auch bereits Gärtner 2015:IX), und einen anderen Text als den im Ambraser HeldenbuchAmbraser Heldenbuch überlieferten haben wir für die ‚Klage‘ nicht. Zwar scheint Hans RiedRied, Hans (vorlagenbedingt?) in den Formwechsel etwas hineinzustolpern: So lässt in der Ambraser Handschrift der Übergang von vierhebigen Paarreimversen in die fünfzehn kontinuierlich verkürzten, kreuzgereimten Vagantenzeilen Inkonsistenzen im Interpunktionsprinzip erkennen (Doppelpunkt, aber auch einfacher Punkt zur Reimmarkierung), die man als Symptom eines „‚unorganischen‘“ Übergangs von Dialog- und Strophenteil gedeutet hat (zusammenfassend Hess, 2016:54, Kischkel 1997, deutet den Schluss als bloßes Anhängsel). Doch schon Glier (1971:21) sieht mit einer differenzierteren Formulierung den Schlussteil „lose aber konsequent“ dem lehrhaften allegorischen Streitgespräch angefügt, bleibt allerdings für ihre Bewertung dieser inkohärenten Kohärenz die Begründung schuldig (er bestätige „die nunmehr erreichte Gleichsinnigkeit von herze und lîp“ auch formal). In genau dieser Frage nach dem integrativen oder ambivalenten Status der Schlussstrophen ist die jüngere Forschung uneins. Hess (2016:58 und 249) fasst die klangästhetisch und rhetorisch anspruchsvollen Schlussstrophen als redundanzverdächtiges „Zurücktreten des Inhalts hinter die Form“ auf und versteht die Form wie Glier wiederum als Zeichen der erreichten Harmonie zwischen Herz und Leib, insofern „sich die Asymmetrie zwischen den Dialogpartnern Leib und Herz sukzessive verringert und damit zum einen die vollständige Hingabe der ganzen Person, zum andern ihre vollständige Betroffenheit von der Liebe gezeigt wird“ (ebd.:265f.). Andere jüngere Arbeiten akzentuieren im Gegenteil ein grundsätzliches, bis zum Schluss unaufgelöstes Konfliktpotential des Textes. Der strophische Frauenpreis wiederhole „jene Klagen und Aporien, von denen der Streitdialog ausging“ (Gebert 2019:159).

      Im Folgenden wird das Schlussgedicht als ambivalente stæte-Demonstration verstanden. Der lîp lässt am Ende des Streitgesprächs seine Rolle als Gegenspieler des mit sich zerfallenen Ichs hinter sich und tritt im Auftrag des Herzens als ihrer beider Vermittler (fürspreche, HaKl 1643) vor die Dame, nun selber ‚Ich‘ sagend: ‚nû solt dû, lîp, hin ze ir / unser fürspreche sîn.‘ / daz tuon ich gerne, herze mîn (HaKl 1642–1644). Doch sein Sprechakt ist eine hyperbolische Klage, die so beginnt: Swaz kumbers ich unz her erleit / sît ich sorgen begunde, / daz was ein senftiu arebeit / unz an dise stunde (HaKl 1645–1648). Dass auch dieses gewissermaßen integrale lîp-Ich dann seinerseits von ‚meinem Herzen‘ spricht (swære die mîn herze treit, HaKl 1667), weist weniger auf einen erneuten Sprecherwechsel von Herz und Leib (erwogen bei Klingner/Lieb 2013:85) hin als vielmehr auf eine texttypische rekursive Verdoppelung von Ich-Instanzen (Köbele 2006). Dass „sowohl Herz als auch Körper für sich ebenfalls Innenseiten produzieren, wie sie der muot für die Rahmenperson eröffnet“ (Gebert 2019:159), lässt v.a. die Instanz des muot als psychophysischen Dachbegriff schillern (Strittmatter 2013:161–168) und ermöglicht permanente Perspektivenwechsel. Mhd. muot fungiert in der gesamten ‚Klage‘ als integrale, also gerade nicht distinktive, entsprechend schwer übersetzbare Kategorie für den Innenraum, in dem der Prolog das Selbstgespräch stattfinden lässt: er klagete sîne swære / in sînem muote (s.o. HaKl 24f.). Anderseits verfügen sowohl das Außen-Ich, der Leib (z.B. HaKl 99), wie das Innen-Ich, das Herz (HaKl 662), gleichfalls über einen muot (fallabhängig ein ‚Innen‘, eine ‚Haltung‘, ‚Absicht‘ oder ‚Imaginations- und Erinnerungskraft‘), so dass sich mit dem ‚muot im muot‘ (HaKl 140, 208, 662, 916 u.ö.) je neue paradoxieanfällige Reduplikationen von Außen-Ich und Innen-Ich ergeben, und d.h. auch ein je neuer Dissens: Uns dienet niht gelîcher muot (HaKl 945), obwohl wir ein ‚Gespann‘ sind (HaKl 909).

      Die Schlussstrophen reformulieren den stæte-Appell v.a. im Konjunktiv und Konditional: ‚Wenn du mich umarmtest, könnte ich genesen, andernfalls wird mir das Leben zu lang‘ (vgl. Str. 3). In der fünften Strophe ist das Ich bereit, für seine beständige Treue sogar seine Seele als Pfand zu geben: die sêle gibe ich ze phande / daz mîn triuwe niht zergât, / wan der schade bræhte schande (HaKl 1770–1773). Auch die sechste und siebte Strophe führen das Hin und Her von Hoffnung und Illusionsbereitschaft des Ich fort. Das Ich wendet sich erneut an die Dame: ‚Hilf, eh ich (ver-)zweifele! Wenn du nicht Gnade zeigst, werde ich sterben‘ (Str. 7). Der Schwur in Strophe 8 ist eine einzige emphatische stæte-Übertreibung: ‚Bevor ich von dir lasse, meine Göttin‘ (HaKl 1844), ‚verbrennt die ganze Welt, zerrinnen alle Tage, ist das Ende der Welt da, und werde ich in deinem Dienst noch so alt‘ (HaKl 1831ff). Die neunte Strophe greift das Zeitthema wieder im Konjunktiv auf (‚noch wäre Zeit, dass du mir meine stæte lohntest‘: Frouwe, nû bedenke daz / ê sich dîn trôst verspæte, / daz ich dîn noch nie vergaz / ze frümiclîcher stæte. HaKl 1845–1848). In Strophe 10 und 11 wird dann ausdrücklich die Liebeshoffnung mit der religiösen Hoffnung auf Erlösung parallelisiert: Ist daz ich mînen langen wân / nâch heile volbringe / den ich nach dînen minnen hân / als ich an got gedinge, / sô hât er wol ze mir getân / an gnædiclîchem dinge (HaKl 1861–1866). Das Ich spekuliert hier im irrealen Konditional: ‚Wenn meine Beharrlichkeit, meine lange Erlösungshoffnung, Erfolg hätte, mit der ich an deine Liebe glaube wie an Gott, dann hätte er – Gott – das bewirkt.‘ Zwar sind geistliche und weltliche Perspektive explizit zusammengeführt, aber nicht als Lösungsmodell, denn das Ich bleibt Urheber und zugleich Betroffener der Situation. Noch kurz vor Schluss ist alles offen, bleibt nur die mit ungewissem Ausgang verbundene Alternative (Dîn spil […] geteilet, HaKl 1905) von Erlösung oder Verderben. Liebesheil und Seelenheil werden dabei so verschränkt, dass die permanente Verwechslung der Diskursebenen und der Zeitebenen naheliegt. Diese Dynamik scheint das Hauptkennzeichen des Dialogs zu sein: die Fallsetzungen im Konjunktiv, die Pluralisierung von Perspektiven im Dialog und in Metaphern, die Ambivalenz des problemgenerierenden und zugleich problemschließenden Begriffs stæte. Auch der strophische Frauenpreis am Ende wiederholt nur ein weiteres Mal den im Prolog narrativ exponierten, dann je neu dialogisch inszenierten Sprechakt Klage, wobei die bis zum Schluss durchgehaltene Doppelsemantik von Klage und Anklage zusätzlich Aspektwechsel erzeugt (zu lyrisch-epischen Interferenzen allgemein vgl. Bleumer/Emmelius 2011). Auch die fünfzehn Schlussstrophen bleiben als stæte-Demonstration widersprüchlich, denn die performativ beschworene Dienstkontinuität impliziert zugleich Zeitverlust. Die Zeit – wie auch die Strophenlänge – schrumpft mehr und mehr, und woraus könnte das Ich seine Zuversicht ziehen, dass die Dame am Schluss auf einmal doch ihre ‚Gnade‘ zeigen würde?

      Dabei scheint die systematische Vers-Abbreviatio der Schlussstrophen ein genuin hartmannscher Kunstgriff, der noch der genaueren Beschreibung harrt. Für die systematische Versreduktion im Schlussgedicht findet sich im lateinischen Bereich kein Pendant.1 Weiter führt hier, auf intratextuelle Strukturäquivalenzen