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Hartmann von Aue


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integrieren kann, oft genug angekreidet hat, wohingegen sie von Autoren des 13. Jahrhunderts geschätzt wurden (Wolf 2007:124, vgl. → Kap. 12.). Sie ereignen sich erzählend in Raum und Zeit und sind dabei reflexiv aufgebaut, was auch Hartmanns „Vorliebe für kausale und konditionale Nebensätze“ (Brackert 1969:174) oder für axiomatische Liedanfänge (Salmon 1971:814) erklärt. Indem die Geschichten andeutend erzählt werden und die Figuren entweder ihre Situation bedenken und entsprechend schlussfolgern oder ein Erzähler dieses tut, werden auch die Grundbedingungen des Minnesangs bedacht. Reflexion und Erzählung bleiben dabei eng aufeinander bezogen. Hartmanns Lieder stammen von einem der bedeutendsten Erzähler der Zeit um 1200, der gerade dadurch, dass er das andeutende und reflexive Erzählen in die Lyrik brachte, neue Ausdruckformen für diese schuf. Lyrik und NarrationMinnesang

      Weiterführende Literatur: Mit Gewinn zu benutzen ist von Reusners Ausgabe von 1985 mit Übersetzung und Verzeichnis der älteren, entweder philologisch oder biographisch orientierten Literatur, die hier im Literaturverzeichnis nicht wiederholt wird. Für metrische und philologische Fragen ist immer noch der Kommentar von Carl von Kraus 1939 sowie Reusner 1984 nützlich. Bei Seiffert 1968 steht der Zusammenhang mit den Erzählwerken im Vordergrund; Salmon 1971 und Urbanek 1992 behandeln die rhetorische Anlage der Lieder; Blattmann 1968 ist für viele Einzelaspekte wichtig; Kühnel 1989 für Fragen der Überlieferung. Neuere Ansätze bieten Haustein 2011 zu Zeit- und Raumstruktur, Wenzel 2013 zu Fragen der Inszenierung der Lieder und Reichlin 2014 zu den Kreuzliedern.

      4. Ein Streitgespräch im Schnittpunkt der Diskurse: ‚Die Klage‘

      Susanne Köbele

      Abstract: Hartmanns ‚Klage‘ ist ein performativ gerahmtes, rhetorisch brillantes Streitgespräch zwischen den personifizierten Ich-Instanzen Herz und Leib. Eine Besonderheit des Textes liegt darin, dass mit ihm heterogene Gattungs- und Wissenstraditionen zusammengeführt werden: romanische Lyrik, Minnesang, allegorische Minnelehren, lateinische Leib-Seele-Streitdialoge, Psychomachie. Achtet man auf diese Verschränkung volkssprachlich-höfischer und gelehrt-lateinischer Diskurse, wird die ‚Klage‘ zu einem spannungsreichen Text, der vom epochalen Minnethema aus Spielräume und Grenzen literarischer Ich-Konstitution auslotet. Leib und Herz – untrennbar zusammengehörig, aber unüberbrückbar getrennt – bleiben mit ihren Ansprüchen bis zum Schluss asymmetrisch zueinander. Der Beitrag arbeitet exemplarisch Aspekte dieser grundsätzlich gestörten Innen-Außen-Kommunikation heraus und zeigt, dass es v.a. Zeitaporien sind (das stæte-Dilemma des Hohen Sangs), die das Ich in allusive Grenzbereiche zwischen christlicher Leib-Seele-Anthropologie und höfischem Minnedienst-Ethos führen.

      4.1. ‚Klage‘, ‚Büchlein‘, Streitgespräch? Aspekte der Überlieferung und Gattungszuordnung

      Zusammen mit dem ‚Erec‘ gilt die ‚Klage‘, ohne dass sich das sichern ließe, als Frühwerk Hartmanns. Zwischen Textentstehung (um 1180/1200) und uns einzig greifbarer Textüberlieferung (um 1504 im Ambraser HeldenbuchAmbraser Heldenbuch, Handschrift A) liegen rund dreihundert Jahre. Entsprechend schwierig sind angesichts der unikalen und späten Überlieferung alle Versuche der Herstellung eines autornahen Textes. Die Neuedition der ‚Klage‘ durch Gärtner (2015) kehrt für Metrik und Sprachform möglichst weit zur Überlieferung zurück (zu den vorausgehenden Editionen der ‚Klage‘ Gärtner 2009, ders. 2015:XIV–XXII) und erleichtert das Verständnis des vielfach dunklen Textes durch eine Fülle hilfreicher Anmerkungen.

      Die Forschung versteht Hartmanns ‚Klage‘ als in ihrer Zeit isoliertes Gattungsexperiment. Uneindeutig zwischen lyrischen und narrativen Sprechakten angesiedeltLyrik und Narration, ist das rund 1900 Verse umfassende StreitgesprächStreitgespräch / disputatio ein signifikantes Beispiel dafür, wie die mittelhochdeutsche Literatur zur Gestaltung innerer Konflikte die widerstreitenden Tendenzen einer Figur in Form allegorischer PersonifikationenPersonifikation / Allegorie auslagern und selbstwidersprüchlich vervielfältigen kann. Schon der Prolog spielt ein Spiel mit verschiedenen Formtraditionen. Der Text beginnt topisch mit einer Sentenz über die Allmacht der Minne: Minne waltet grôzer kraft, / wande sî wirt sigehaft / an tumben und an wîsen, / an jungen und an grîsen (HaKl 1–4). Wenige Verse später kommt er beim konkreten Einzelfall an. Einen jungelinc habe die Minne überwältigt (HaKl 7) – in der autobiographischen Inszenierung auktoriale Selbstdarstellungdes Textes ist es Hartmann von Aue selbst (HaKl 29f.) –, doch weise ihn die Dame trotz stetem Dienst zurück. Nach außen zur Verschwiegenheit verpflichtet, klagt er sein Leid dem muote, seinem Inneren: er klagete sîne swære / in sînem muote / […]. daz waz von Ouwe her Hartman, / der ouch dirre klage began / durch sus verswigen ungemach (HaKl 24–31). Damit ist die Situation exponiert. Der knappe Erzähleingang variiert eine klassische Minnesang-Situation: Minnesang

       dô sî im des niht engunde

       daz er ir wære undertân,

       sî sprach, er solde sîs erlân.

       Doch versuochte erz ze aller zît.

       disen kumberlîchen strît

       entorste er nieman gesagen;

       dar umbe wolde ern eine tragen,

       ob er sî des erbæte

       daz si sînen willen tæte,

      daz ez verswigen wære. (HaKl 14–23)

      Aber sie gewährte ihm nicht, daß er ihr Gefolgsmann würde, sie sagte, er solle sie mit seinem Dienst verschonen. Trotzdem versuchte er es unablässig. Von diesem leidvollen Konflikt wagte er niemandem zu erzählen; er wollte ihn deswegen allein ertragen, damit, wenn er von ihr erbäte, dass sie nach seinem Willen handelte, dies verschwiegen bliebe.

      Dieser diskret als „Reden um des Schweigens willen“ (Gebert 2019:147) ins Innere verschobene Klagemonolog wird unüberhörbar als hochminnesängerische Konstellation eingeführt (HaKl 14–17). Doch er wird gerade nicht lyrisch, sondern narrativ entwickeltLyrik und Narration, im Erzählgestus und Erzählmetrum vierhebiger Reimpaarverse. In der Folge wird er dann außerdem gar nicht als monologische Klage umgesetzt, sondern als Dialog, genauer: als StreitgesprächStreitgespräch / disputatio zwischen Herz und Leib, und dieses dialogisch inszenierte Selbstgespräch kommt ganz ohne Erzähler aus. Stattdessen kann das personifizierte Herz mitten im Streit einen veritablen Natureingang improvisieren (HaKl 821–848), eine lyrische herzeklage im Reimpaarvers. Schließlich, nach rund 1600 paargereimten Dialogversen, verlässt überraschend der Leib die Kontroverse, um im Auftrag des Herzens als Minnesänger vor die Dame zu treten (HaKl 1645–1914). In direkter Anrede an die Dame trägt er das gemeinsame Minneanliegen in fünfzehn kreuzgereimten Strophen vor. Deren Umfang nimmt (die lückenhaft überlieferte 6. und 7. Strophe ausgenommen) kontinuierlich um jeweils ein Verspaar ab, von 32 Versen der ersten Strophe bis zu schlanken vier Versen der letzten Strophe, wobei je zwei Verse zusammengenommen einen alten Langzeilentypus ergeben, der als sogenannte Vagantenzeile in mittellateinischen und mittelhochdeutschen Texten der Zeit weit verbreitet ist.

      Die Vielschichtigkeit, mit der Hartmanns nach innen wie nach außen gerichteter Dialog episch-lyrische Formzitate einspieltLyrik und Narration, ist historisch neu. Bereits der Prolog spielt mit Gattungs- und Diskursinterferenzen. Er kündigt eine „Klage“ an (dirre klage, s.o. HaKl 30), was wir weniger als konkretes Gattungssignal verstehen sollten (complainte) als vielmehr im Sinn eines allgemeinen minnelyrischen Sprechakts des Klagens, der schon im MinnesangMinnesang höfische Liebezwischen Liebes- und Rechtsdiskurs schillert und im bekannten Doppelsinn von planctus (Wehklage) und accusatio (Anklage) auch den Sonderfall der Selbstanklage einschließen kann. Gleichzeitig nimmt der Begriff