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Hartmann von Aue


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Vermittlers. So ist es auch nicht erstaunlich, dass die drei größeren Erzählwerke Hartmanns (‚Ereck‘, ‚Iwein‘ und ‚Gregorius‘) auf französische Vorlagen Vorlagefranzösischezurückgehen, die für ein deutschsprachiges Publikum entsprechend umgeformt wurden. Dadurch verschwimmt die Rolle des Autors mit der des Übersetzers, Redaktors und des Kompilators. Denn da Texte losgelöst vom Autor verfügbar sind, sind sie von Anfang an Veränderungen unterworfen, sei es durch den Autor selbst, sei es durch Bearbeiter in einer späteren Rezeptionsstufe.

      Was bedeutet dieses unterschiedliche Werk- und Autorverständnis nun aber für die Interpretation der Texte? Lassen sich unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch literaturwissenschaftliche Analysen betreiben? Mit gutem Recht schreiben wir die einzelnen Werke ja dennoch Hartmann von Aue zu: Dass es so etwasÜberlieferung wie ein Autorverständnis, wenn auch ein wenig anders als heute, auch im Mittelalter gegeben hat, belegen die nach Autoren geordneten Lyrik-Handschriften ebenso wie das Ambraser HeldenbuchAmbraser Heldenbuch, das ja ein regelrechtes Hartmann-Œuvre zusammenstellt. Freilich kann eine Interpretation der Werke Hartmanns nicht im herkömmlichen, ‚modernen‘ Sinne erfolgen. Da wir über Hartmann ohnehin wenig gesicherte Informationen besitzen, rückt der Autor selbst aus dem Fokus der Interpretation. Die mitunter zahlreichen und sehr verschiedenen Fassungen und Varianten machen es zudem kaum möglich, zwischen ‚Original‘ und ‚Bearbeitung‘ zu unterscheiden.

      Dennoch gilt es, literaturwissenschaftlich einen pragmatischen Umgang mit den Werken Hartmanns (und generell mittelalterlichen Texten, die ja den gleichen schwierigen Bedingungen unterworfen sind) zu finden – es macht schließlich nur selten Sinn, stets alle möglichen Textvarianten mit einzubeziehen. Wenn wir also Hartmann interpretieren, dann gehen wir letztlich von einem Autor- und Werkverständnis aus, das es zur damaligen Zeit wohl durchaus gab, das in dieser Form für uns aber nicht mehr greifbar ist. Das zeigt sich am deutlichsten bei den TextausgabenEdition: Anders als die Editionsphilologie des 19. Jahrhunderts gehen die kritischen Ausgaben der Werke Hartmanns inzwischen nicht mehr davon aus, so etwas wie ein ‚Autororiginal‘Fassungautorisierte F. zu rekonstruieren. Sie bieten vielmehr eine Art pragmatischen Kompromiss: unter Einbeziehung aller Fassungen und Varianten wird ein Text erstellt, der möglichst vielen Merkmalen entspricht, die nach dem Konsens der Forschung für Hartmanns Werke bedeutsam sind. Je nach Gewichtung der einzelnen Kriterien kann es dann aber durchaus zu unterschiedlichen Ausgaben mit abweichenden Textvarianten kommen.1 Darum ist es entscheidend, bei der Interpretation stets auch den Überlieferungsbefund mit zu bedenken und zu berücksichtigen – oder sich zumindest darüber im Klaren zu sein, dass der Text, den man interpretiert, nur eine von z.T. unterschiedlichen Überlieferungsvarianten darstellen kann und dass das, was sich am Ende zwischen zwei Buchdeckeln findet, stets nur eine Möglichkeit der mittelalterlichen Rezeption abbilden kann, kaum aber die tatsächliche, sozusagen ‚ursprüngliche‘ Gestaltung des Autors. Wenn man sich aber im Klaren darüber ist, dass die handschriftlichen Überlieferungen unserer Texte selbst bereits Rezeptionszeugnisse darstellen und die darauf basierenden Editionen bis zu einem gewissen Grade hypothetische Konstruktionen sind, die ihrerseits selbst bestimmte Interpretationsansätze verfolgen (man denke an die differierenden Schlüsse des ‚Iwein‘), so steht einer literaturwissenschaftlichen Analyse und Interpretation dieser Werke nichts im Wege. Überlieferung

      Weiterführende Literatur: Ein vollständiges Verzeichnis der Überlieferungszeugen von Hartmanns Werken bietet das → Verzeichnis der Handschriften und Fragmente. Die Iwein-Schlüsse diskutiert Schröder 1997, mit Präferenz für den Kniefall als ‚ursprünglich‘; dem widerspricht Hausmann 2001. Die Varianzen der unterschiedlichen Schlussfassungen v.a. in den spätmittelalterlichen Handschriften diskutieren Krusenbaum/Seebald 2012. Den Überlieferungskontext des ‚Armen Heinrich‘ bereiten Hammer/Kössinger 2012 auf, die interpretatorischen Unterschiede zwischen den Fassungen A und B erläutert Schiewer 2002. Die problematische Überlieferung des ‚Ereck‘ im Ambraser Heldenbuch greift Bumke 2006 auf, die Schwierigkeiten der Fragment-Überlieferung und einer möglichen zweiten ‚Ereck‘-Dichtung erörtern Nellmann 1982 und 2004 sowie Gärtner 1982 und 2004. Hess 2011 stellt Überlegungen zum Beginn des ‚Ereck‘ und der Kompilation mit der ‚Mantel‘-Erzählung an. Kühnel 1989 untersucht Hartmanns Lyrik vor dem Hintergrund ihrer Überlieferungsvarianz.

B Poetologische Zugänge I – Lyrische und rhetorische Formen

      3. Gesungene Geschichten? Hartmanns Lyrik

      Jens Haustein

      Abstract: Der Beitrag wirft in einem ersten Teil zunächst einen Blick auf die Überlieferung von Hartmanns Liedern, dann auf formale Aspekte und Probleme der zeitlichen Einordnung. Anschließend werden die Lieder kurz inhaltlich charakterisiert. Der zweite Teil legt mehrere Lieder Hartmanns als angedeutete Erzählungen mit einer Zeit- und Raumstruktur aus und verbindet dies abschließend mit ihren in der Forschung oft kritisierten reflexiven Momenten.

      3.1. Überblick

      MinnesangUnter Hartmanns Namen sind 18 Lieder mit 60 Strophen überliefert. Dieses nicht sonderlich umfängliche Œuvre hat in der Forschung deshalb eine besondere Aufmerksamkeit erfahren, weil es mehrere Lieder umfasst, in denen die konzeptionellen Voraussetzungen des Minnesangs selbst diskutiert werden. Die ältere Forschung hat Hartmanns Minnelyrik deshalb als ‚leidenschaftslos‘ oder ‚kühl‘ beurteilt, die jüngere gelegentlich als ‚intellektuell‘ (Reusner 1985:171), ‚sentenziös‘ und ‚rhetorisch‘ (Salmon 1971, Urbanek 1992) oder ‚didaktisch‘ (Kasten 1995:731), bestenfalls ‚ironisch‘ (Mertens 1978c:326). Bei dieser Beurteilung hat stets die Nähe zu den Erzählwerken, besonders der ‚Klage‘ und dem ‚Iwein‘, eine wichtige Rolle gespielt. Hinzu kommt, dass man das kleine Œuvre in einer Absage an den Minnesang in Lied XV (MF 216,29)1 und in der Wendung hin zum Kreuzzugsthema in Lied XVII (MF 218,5), Kreuzzug / -sthemadem sogenannten dritten Kreuzlied, kulminieren sehen wollte. Diese ‚Biographisierung‘ der hartmannschen Lyrik liegt auch den beiden – heute kritisch beurteilten – Versuchen zugrunde, die Lieder zyklisch zu einem Liebesroman mit einem Ende zu ordnen, das der weltlichen minne absagt und sich stattdessen einer religiösen minne zuwendet (Kienast 1963, Blattmann 1968, auch Wapnewski 21964:30–32). Auch wenn am Ende keine Absage Hartmanns an Minne und Minnesang als letztes Wort gestanden haben muss, diskutiert er doch durch seine Protagonisten – den Erzähler, die Dame oder das Ich – die Voraussetzung und Bedingungen der Gattung Minnesang in einer dann erst wieder bei Walther von der VogelweideWalther von der Vogelweide anzutreffenden Radikalität, und er verbindet diese Gattungsdiskussion mit fragmentarisch erzählten Geschichten.

      3.1.1. Überlieferung

      ÜberlieferungDie Überlieferung der hartmannschen Lyrik beruht im Wesentlichen auf den drei großen Lyrik-Handschriften. Die (Große) Heidelberger Liederhandschrift CLiederhandschriftenCodex Manesse (C) tradiert 60 Strophen, davon sind 28 auch in der Weingartner Liederhandschrift B LiederhandschriftenWeingartner Liederhandschrift (B)erhalten und 10 in der (Kleinen) Heidelberger Liederhandschrift A. LiederhandschriftenKleine Heidelberger Liederhandschrift (A)In C ist im Œuvre Walthers von der VogelweideWalther von der Vogelweide eine formgleiche Strophe zu Hartmanns Lied XII (MF 214,34) überliefert; das Hausbuch des Michael de Leone, die MinnesangLiederhandschrift E,LiederhandschriftenWürzburger Liederhandschrift (E) hat Lied XII unter Walthers Namen gestellt, ebenso die Haager Liederhandschrift s LiederhandschriftenHaager Liederhandschrift (s)Strophe 5 dieses Liedes. 4 der 5 Strophen von Lied XVIII, die B und C Hartmann zuschreiben, begegnen in E unter dem Namen Reinmars des AltenReinmar der Alte, 3 davon im Möserschen Bruchstück m LiederhandschriftenMösersches Bruchstück (m)unter Walther (zur Forschungsgeschichte von Lied XII und XVIII und den unterschiedlichen Zuweisungen s. Burkert 2013).

      In C (und ähnlich in B) ist dem Liedœuvre eine MiniaturAutorbild (Miniatur) vorangestellt, die Hartmann als reitenden Ritter mit blauer Pferdedecke, Fahne