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Hartmann von Aue


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ein tail ain schön lesen → Abb. 2.6. und 2.7.). Allerdings setzt erst einmal eine ganz andere Handlung ein, es geht nämlich um einen Mantel‚Der Mantel‘, der an den Artushof für eine Tugendprobe gebracht wird, um die Treue der dortigen Frauen zu testen. Diese schwankhafte ErzählungÜberlieferung hat ebenfalls eine französische Vorlage Vorlagefranzösische (‚Du mantel mautaillé‘); ‚Du mantel mautaillé‘eine mittelhochdeutsche Version ist allerdings einzig hier, im Ambraser Heldenbuch, überliefert.2 Nach fast tausend Versen, inmitten der Handlung, ja mitten im Satz und in der Handschrift durch nichts – kein anderes Layout, keine Überschrift, nicht einmal einen Absatz – gekennzeichnet, geht der Text dann unmittelbar in die ‚Ereck‘-Handlung über, wie wir sie von Chrétien her kennen: Plötzlich handelt die Erzählung vom Ausritt der Königin in Begleitung Erecks, während die bei Chrétien zuvor erzählte Hirschjagd der Artusritter nicht vorkommt, jedoch für das Verständnis der nachfolgenden Szenen vorausgesetzt werden muss (→ Abb. 2.8. und 2.9.).

      Wie kommt es zu dieser merkwürdigen Kombination zweier so unterschiedlicher Erzählhandlungen mit zwei französischen Vorlagen, von denen nur Schauplatz und Personal übereinstimmen? Für sich betrachtet sieht es so aus, als ob es sich um zwei differierende Texte handelt, wobei von dem einen, dem recht kurzen ‚Mantel‘‚Der Mantel‘, der Schluss, von dem anderen, dem ‚Ereck‘, wiederum der Anfang fehlt; beide gehen ziemlich unvermittelt ineinander über und erscheinen in der Handschrift als ein gemeinsamer Text. Die philologische Forschung hat hierfür verschiedene Erklärungen beigebracht. Die einfachste wäre sicherlich, von einer Überlieferungspanne auszugehen: Hans RiedRied, Hans könnte, so die Vermutung, bereits eine fehlerhafte Vorlage verwendet haben, bei der mehrfach ein Blatt verlorengegangen sei (schließlich gibt es noch eine zweite Lücke im ‚Ereck‘). Das erste Blatt wäre dann genau an der Stelle ausgefallen, an der das Ende der ‚Mantel‘- und der Anfang der ‚Ereck‘-Erzählung gestanden hätten; Ried habe die Lücke womöglich nicht einmal bemerkt, sondern stur den Text der Handschrift kopiert (so z.B. Honemann 1999). Diese Erklärung greift freilich zu kurz. Hans Ried war ein ausgesprochen sorgfältiger Schreiber, der zwar manche für ihn fremdgewordene Ausdrücke des Mittelhochdeutschen nicht mehr verstanden und falsch umgesetzt hat, dem jedoch ein solcher Überlieferungsfehler durchaus aufgefallen sein müsste. Das zeigen nicht Überlieferungnur die älteren ‚Ereck‘-Fragmente K und V (dazu Scholz 2000), sondern auch Vergleiche mit anderen Texten des Ambraser HeldenbuchesAmbraser Heldenbuch, von denen noch andere, z.T. deutlich ältere Handschriften vorliegen (vgl. Thornton 1962, Fuchs-Jolie u.a. 2013:697f.).

      Abb. 2.7.

      Beginn des ‚Mantel‘ mit Ankündigung des ‚Ereck‘ im Ambraser Heldenbuch (A) (Detail).

      Abb. 2.8.

      Beginn der ‚Ereck‘-Handlung im im ÜberlieferungAmbraser Heldenbuch (A) (mittlere Spalte unten, D-Initiale, vgl. Abb. 2.9.).

      Abb. 2.9.

      Beginn der ‚Ereck‘-Handlung im Ambraser Heldenbuch (A) (Detail).

      Der Befund ist also differenzierter zu bewerten. So ist anzunehmen, dass dem Text, ebenso wie seiner französischen Vorlage Vorlagefranzösischeund Hartmanns zweitem Artusroman ‚Iwein‘ ursprünglich ein Prolog vorausging, und anzunehmen ist auch, dass er die Hirschjagd ähnlich darstellte wie Chrétien. Es ist daher wahrscheinlich, dass es sich bei der eigenwilligen Verbindung von ‚Mantel‘-Handlung‚Der Mantel‘ und ‚Ereck‘ um eine spätere Bearbeitungsstufe handelt, wobei der für seine Verhältnisse recht umfangreiche Prolog des ‚Mantel‘ gar als ein ‚Ersatz‘ für einen ‚Ereck‘-Prolog fungiert haben könnte (so Bumke 2006:11f.). Die bei der Verbindung Überlieferungauftretenden Unstimmigkeiten scheinen für das Spätmittelalter kein Problem gewesen zu sein: Selbst in den Augen eines so sorgfältigen Schreibers wie Hans RiedRied, Hans stellte der ‚Ereck‘ mit dem ‚Mantel‘-Anfang offenbar einen einzigen Gesamttext dar. Und mit großer Sicherheit hat Ried den Text so, wie er ihn abgeschrieben hat, bereits in seiner Vorlage als zusammengehörend vorgefunden. Dass die beiden Handlungsstränge zumindest nicht zufällig durch eine unglückliche Überlieferungspanne zusammengeklammert wurden, legen auch inhaltliche Korrespondenzen nahe: Am Ende der Mantelprobe, die die Treue der Frauen am Artushof erweisen soll, treten nämlich EreckErec und EniteEnite auf (in der französischen Version kommen die beiden dagegen gar nicht vor). Enite besteht die Probe bis auf einen kleinen Schönheitsfehler, erweist sich also als die treueste unter den Frauen am Hof – nicht einmal Königin GinoverGinover hatte bis dahin überzeugt! Kurz darauf setzt dann, wenngleich abrupt und übergangslos, die ‚Ereck‘-Handlung ein, in der die Treue Enites zu ihrem Mann ja eines der zentralen Themen ist. Die Geschehnisse um den Mantel und Enites Rolle darin werden auf diese Weise erst verständlich, wenn man rückblickend die des ‚Ereck‘ hinzunimmt, der damit beinahe wie eine Art ‚Prequel‘ für die ‚Mantel‘-Handlung erscheint.

      Dies und weitere Korrespondenzen (vgl. dazu Hess 2011:170–175, Hammer 2015:434–444) lassen darauf schließen, dass die ‚Mantel‘-Handlung‚Der Mantel‘ möglicherweise planvoll mit der des ‚Ereck‘ verschmolzen wurde. Über die Gründe kann man nur spekulieren: Ist der Beginn von Hartmanns ‚Ereck‘ irgendwann verlorengegangen und dann von einem findigen Kompilator mit der ‚Mantel‘-Erzählung verbunden worden? Allerdings vermutet man aus sprachlichen Gründen, dass die Vorlage, die Hans RiedRied, Hans verwendet hat, möglicherweise noch ins 13. Jahrhundert zurückreicht – es wäre aber eher unwahrscheinlich, dass schon zu einem derart frühen Zeitpunkt ein Teil des Textes nicht mehr greifbar ist. Hat man gar den vorhandenen Anfang bewusst ersetzt, etwa, weil er nicht zu gefallen wusste? Auch das kann mangels weiterer Textzeugen weder überprüft noch bewiesen Überlieferungwerden. Ebenso muss unklar bleiben, ob der ‚Mantel‘ ursprünglich ein selbständiger mittelhochdeutscher Text nach französischer Vorlage Vorlagefranzösischewar, der erst später mit dem ‚Ereck‘ verbunden wurde, oder ob die Handlung lediglich als Folie diente, um eine neue oder andere Version eines ‚Ereck‘-Beginns herzustellen. Die unterschiedlichen Schlussfassungen des ‚Iwein‘ zeigen allerdings, dass solche Spekulationen reizvoll, aber wenig zielführend sind. Besitzen wir im Falle des ‚Iwein‘ verschiedene, gewissermaßen miteinander konkurrierende Fassungen, so haben wir beim ‚Ereck‘ den noch problematischeren Fall, nur einen einzigen, zumal sehr späten Überlieferungszeugen zu besitzen. Vieles mag sich im Laufe der Zeit vom ‚ursprünglichen‘ Text verändert haben – so werden an einigen Stellen, wie etwa dem umfangreichen Namenkatalog bei der Hochzeitsfeier, spätere Zusätze vermutet. Das aber lässt sich nicht rekonstruieren, was die Frage nach dem ‚Original‘ erst recht obsolet macht. Auch wenn mithin einiges dafür spricht, dass der Text des Ambraser HeldenbuchesAmbraser Heldenbuch eine bereits bearbeitete Fassung von Hartmanns ‚Ereck‘ darstellt: Es bleibt uns nur übrig, diesen als Rezeptionszeugnis der frühen Neuzeit in seiner vorliegenden Gestalt ernst zu nehmen.

      FassungFassungsdivergenzDie ohnehin problematische ‚Ereck‘-Überlieferung wird durch die Fragmente noch weiter verschärft. Der im Ambraser Heldenbuch erhaltene Text weist an mindestens einer weiteren Stelle noch eine Lücke auf: Vor Erecks zweiter Begegnung mit der Artusgesellschaft gibt ein erneuter Sprung in der Handlung (auch im Vergleich mit ChrétienChrétien de Troyes) zu erkennen, dass hier offensichtlich etwas fehlt, denn plötzlich finden sich die Leser_innen in einem Gespräch zwischen EreckErec und KeieKeie, ohne dass deren Zusammentreffen vorher geschildert worden wäre (HaEk 5616f./HaEr 4629f.). Auch diese handlungslogische Lücke ist in der Handschrift durch nichts gekennzeichnet. Mit dem Fund von zwei nicht ganz vollständigen Pergament-Doppelblättern in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel konnte die Lücke allerdings fast vollständig geschlossen werden: Das Fragment (nach dem Fundort Wolfenbüttel mit der Sigle W bezeichnet) stammt noch aus dem 13. Jahrhundert und enthält über 300 Verse von Hartmanns ‚Ereck‘, die fast genau an der Stelle einsetzen, an der die etwa 80 Verse im Ambraser HeldenbuchAmbraser Heldenbuch fehlen, weshalb