Markus Spreer

Diagnostik von Sprach- und Kommunikationsstörungen im Kindesalter


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rel="nofollow" href="#ulink_5002648e-0547-5ce8-abf6-6ff9d99629b4">Kap. 1.1.5).

      Kany/Schöler (2009) konstatieren, dass sich diagnostische Fragen auf notwendige Informationen zum Entwicklungs- und Leistungsstand eines Kindes konzentrieren, u.a.:

      Fragestellungen der Diagnostik

      ■ „ob sich das Kind altersgemäß entwickelt,

      ■ ob die Leistungs-, Persönlichkeits-, und sozioemotionale Entwicklung im Einklang verläuft (Synchronizität),

      ■ ob ein Verdacht auf eine Störung in einem Bereich besteht,

      ■ worauf Auffälligkeiten oder Schwächen zurückzuführen sind: Liegt es an eingeschränkten Entwicklungsbedingungen oder basaleren Beeinträchtigungen,

      ■ wie die Aussichten für die weitere Entwicklung sind (Prognose)“ (Kany/Schöler 2009, 72).

      Als zentrale Aufgaben pädagogischer Diagnostik im Rahmen des Förderschwerpunkts Sprache formuliert von Knebel in Anlehnung an die Ausführungen von von Knebel/Schuck (2007, 476) die...

      „Analyse des Erwerbs und Gebrauchs von Sprache durch einen Menschen unter den (mitunter erschwerenden) Bedingungen seiner selbst und seiner Lebenswelt unter der Zielsetzung einer Optimierung von Bildungs- und Erziehungsprozessen, die auf eine Erweiterung lebensweltlicher (nicht allein sprachlicher) Handlungsmöglichkeiten des Betroffenen ausgerichtet sind“ (von Knebel 2012, 524).

      sprachheilpädagogische und sprachtherapeutische Diagnostik

      Diese sprachheilpädagogische Diagnostik weist dabei eine hohe Schnittmenge mit der sprachtherapeutischen Diagnostik auf, da beide Felder Bezüge zu den Bereichen Linguistik, Soziologie und Psychologie aufweisen, die medizinischen und pädagogischen Anteile jedoch unterschiedlich stark akzentuiert sind (Berg 2007, 342).

      Die zur Beschreibung der Fähigkeiten auf den einzelnen Sprachebenen konstruierten Verfahren bedienen in Konsequenz ihrer Zielstellung i.d.R. auch nur die Erfassung sprachlicher Fähigkeiten/Funktionen beim Kind. „Diese müssen gemäß der ICF (DIMDI 2005) durch die Analyse von Ressourcen und Beschränkungen in den Bereichen Kommunikation/soziale Interaktion (Aktivitäten), durch Beantwortung von Fragen zur Teilhabe/Partizipation sowie durch die Erfassung umwelt- und personenbezogener Faktoren ergänzt werden“ (Spreer 2016, 126).

      ICF als Bezugssystem

      Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits 2001 die „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) verabschiedet, die in einer deutschen Version unter dem Titel „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ verfügbar ist (DIMDI 2005).

      Ressourcenorientierung

      Die ICF als ressourcenorientiertes, individuums- und alltagsbezogenes Klassifikationssystem vereint in sich sämtliche Aspekte funktionaler Gesundheit (Grötzbach/Iven 2009). Es basiert auf einem bio-psycho-sozialen Modell von Gesundheit und Krankheit und bietet eine umfassende Beschreibung der jeweiligen Situation eines Kindes. Nicht nur die Funktionsebene (Körperfunktionen und -strukturen), sondern auch Rahmenbedingungen in Form von Umweltfaktoren werden explizit in die Zusammenstellung einbezogen (vgl. Abb. 1).

      ICF-CY

      ICF-CY berücksichtigt Bedingungen kindlicher Lebenswelten

      Um auch die Aspekte kindlicher Lebenswelten, der Entwicklungsdynamik sowie der Erziehungs- und Bildungseinflüsse bei Kindern ausreichend berücksichtigen zu können, hat eine internationale Expertengruppe der WHO die „International Classification of Functioning, Disability and Health, Children and Youth Version ICF-CY“ (Hollenweger/Kraus de Camargo 2012) veröffentlicht (Grötzbach/Iven 2009). Diese findet Anwendung bei Kindern ab der Geburt bis hin zum Erwachsenenalter, greift die Entwicklungsprozesse sowie die Lern- und Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen auf, formuliert dabei entwicklungsspezifische Kontextfaktoren und beachtet vor allem die im Kindes- und Jugendalter typischen Aspekte der Partizipation (Grötzbach/Iven 2009).

      Die ICF und die ICF-CY sollen dabei nicht als neues, differenziertes Klassifikationssystem verstanden werden, sondern dienen dazu, einen anderen Blick auf die vorliegenden Störungen und festgestellten Einschränkungen/Behinderungen zu ermöglichen. Die Ausführungen der folgenden Kapitel zu einzelnen sprachlichen Beeinträchtigungen versuchen diese Sichtweise der ICF bereits zu berücksichtigen. Dies beginnt bei jeder Anamnese, in welcher der Diagnostiker beispielsweise auch nach den Auswirkungen eingeschränkter sprachlicher Fähigkeiten auf alltägliche Bedingungen fragt und subjektiv gefühlte Einschränkungen, neben der objektiv feststellbaren Störung, mit aufnimmt (Grötzbach/Iven 2009).

      Die folgenden Kap. 1.1.1 und 1.1.2 fokussieren die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in den Aufgabenstellungen von sprachheilpädagogischer und logopädischer/sprachtherapeutischer Diagnostik.

      Diagnostik ist grundlegender Bestandteil der Arbeit von Lehrkräften in Schulen. Unterschiedlich ist allerdings, welche Formen von Diagnostik hierbei zum Einsatz kommen. Die Lernfortschrittsdiagnostik beispielsweise wird von allen Lehrkräften durchgeführt und ist von einer Lernleistungs- und allgemeinen Entwicklungsdiagnostik abzugrenzen, die auch eine Kind-Umfeld-Analyse beinhaltet und i.d.R. von Sonderpädagogen durchgeführt wird. Eine spezifische Sprachdiagnostik wird dann wiederum von Sprachheilpädagogen realisiert (Sonderpädagogen mit einer spezifischen Ausbildung im Bereich Sprache und Kommunikation). Für einen Überblick über die Diagnostik schulischer Lern- und Leistungsschwierigkeiten sei auf Kany/Schöler (2009) verwiesen.

      Sprache als Teil der Gesamtentwicklung

      Eine Zusammenstellung von Inhalten einer sprachheilpädagogischen Diagnostik liefert Berg (2007, 69), wobei beachtet werden muss, mit welcher Zielstellung diagnostisch gearbeitet wird, da dies natürlich Auswirkung auf die Zusammenstellung der entsprechend relevanten Aspekte hat. Im Mittelpunkt stehen die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten, wobei hier auf die Sprach- und Kommunikationsfähigkeit als umfassendere Kompetenz abgehoben wird. Ein singuläres Betrachten einer einzelnen Sprachebene würde deren verschränkte Entwicklung negieren. Für ein umfassendes Bild der Fähigkeiten des Kindes ist auf das Multiperformanzprinzip zu achten, die Überprüfung sowohl der Sprachproduktion (Modalitäten Kodieren, Rekonstruieren) als auch des Sprachverständnisses (Modalität Dekodieren) und der Reflexion (Berg 2007, 69). Dabei sind die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten nicht losgelöst von der Gesamtentwicklung des Kindes zu betrachten. Vielmehr sind diese verwoben mit den Entwicklungsbereichen Motorik, Sensorik, Kognition, sozial-emotionale Entwicklung (vgl. hierzu auch Kap. 12). Diese Entwicklungsprozesse eines jeden Kindes sind eingebettet in den Kontext der Bildungs- und Erziehungsprozesse, der Kompetenzentwicklung, der Sozialisation und der Individuation – in den jeweiligen familiären, institutionellen (Schule, Kita) und gesellschaftlichen Kontexten (Berg 2007). Dieser Kontext wird im Sinne der ICF ebenfalls als Inhalt in die diagnostische Arbeit einbezogen, beispielsweise wenn es zu ermitteln gilt, wie ein mehrsprachig aufwachsendes Kind mit welchen Kommunikationspartnern in der Familie in welchen Sprachen spricht und wie sich der Kontakt zur Zweitsprache Deutsch im Alltag gestaltet.

      „Aus der Indikation zur Sprachtherapie allein sind weder das individuelle funktionelle Bedingungsgefüge noch entsprechende Therapieschwerpunkte und -ziele ableitbar. Hierzu bedarf es einer Feindiagnostik, die meist vom Sprachtherapeuten vorgenommen wird […]“ (Glück 2013a, 115).

      In § 34 der Heilmittelrichtlinien heißt es: „Vor der Erstverordnung einer Stimm-, Sprech-