gelten als sog. Integrationswissenschaften, die u.a. aus den Bereichen Medizin, Pädagogik, Linguistik und Psychologie Kenntnisse hinzuziehen (Grohnfeldt 2016).
Diagnostik im Bereich Sprache und Kommunikation erfolgt aufgrund der vielfältigen Aufgaben im Feld Sprache – Sprechen – Stimme – Schlucken i.d.R. interdisziplinär. Es ist notwendig, die Expertise unterschiedlicher Bezugsdisziplinen in den diagnostischen Prozess einzubeziehen.
Medizin – Pädiatrie
Dies betrifft zum einen natürlich den Bereich der Medizin. Gerade Pädiater sind im Rahmen der Risikoabschätzung im Hinblick auf die weitere Entwicklung eines Kindes und somit des „Krankheitswerts“ von Sprach(entwicklungs)störungen verantwortlich (Sallat/Siegmüller 2016, 252). Die Einbettung der Symptomatik in die Gesamtentwicklung des Kindes (inkl. der Abgrenzung zu anderen Entwicklungsstörungen), die Verordnung von Therapiemaßnahmen (ambulant/stationär) und nicht zuletzt die Diagnosestellung für den Bereich der Frühförderung wird im Bereich der Medizin verantwortet (Sallat/Siegmüller 2016, 252).
Medizin – Phoniatrie/HNO
Der Bereich der Phoniatrie/Pädaudiologie beschäftigt sich explizit mit den Ursachen, der Diagnostik und natürlich der Intervention bei Stimm-, Sprech- und Sprachstörungen. So steht er für (differential-)diagnostische Fragestellungen, z.B. via Audiometrie. Natürlich fallen beispielsweise auch die Diagnostik im Kontext der Versorgung mit Cochlea-Implantaten (CI) und bei Schluckstörungen in den Bereich der HNO.
Linguistik
Die notwendige linguistische Expertise wird durch die diagnostischen Fachkräfte immanent eingebracht und sollte unbedingt abgesichert werden. Dies betrifft die gezielte Auswahl und Bewertung der Güte eingesetzter diagnostischer Verfahren ebenso wie die qualitative Analyse von Spontansprachdaten des Kindes.
Psychologie
Die Einbeziehung psychologischer Expertise wird notwendig, wenn dies eine vorliegende Primärbeeinträchtigung notwendig macht und/oder falls die sprachliche Beeinträchtigung als Begleitsymptomatik bereits im Bereich der sozial-emotionalen Entwicklung des Kindes entsprechende diagnostische Aufgabenstellungen erzeugt.
„Die mehrschrittige interdisziplinäre Diagnostik erfordert eine sinnvolle Kooperation zwischen den beteiligten Berufsgruppen“ (AWMF 2011, 46). Diese ist bislang vor allem in entsprechend strukturell aufgestellten Einrichtungen möglich (interdisziplinäre Frühförderstellen, Sozialpädiatrische Zentren). Sallat/Siegmüller (2016) proklamieren mit ihrer Gegenstandszentrierung einen Gegenpol zur Institutionszentrierung, die bislang als ein möglicher Grund für fehlende Kooperationen angesehen wird. Sie lehnen sich dabei an das Mehrperspektivenmodell für interdisziplinäre Diagnostik gemäß von Knebel (2012) an.
Bezogen auf die gewünschte Interdisziplinarität im pädagogischen Handlungsfeld mahnt von Knebel (2012, 527), dass „fachfremde Erkenntnisse nicht ungeachtet ihrer Herkunft und ohne Anpassung an die sprachbehindertenpädagogischen Verwendungsinteressen importiert werden, weil dadurch das ursprünglich pädagogische Anliegen von Diagnostik und Förderung aus dem Blickfeld zu geraten droht.“ Es geht daher um die unverzichtbare Bezugnahme, ausgehend von einem „klar definierten und theoretisch fundierten pädagogischen Standpunkt „Sprachheilpädagogik“ (von Knebel 2012, 527).
2 Diagnostisches Vorgehen
Das diagnostische Vorgehen ist zunächst als Prozess zu kennzeichnen, als Abfolge einzelner Maßnahmen, die zur Gewinnung diagnostisch relevanter Informationen führen (Schmidt-Atzert/Amelang 2012). Dafür kommen unterschiedliche Methoden zum Einsatz (Beobachtung, Befragung, Elizitationsverfahren), um die diagnostische(n) Fragestellung(en) zu beantworten (vgl. Kap. 3). Zur diagnostischen Expertise gehört im Rahmen eines hypothesengeleiteten Vorgehens die Auswahl der verwendenden Methoden und Verfahren genauso, wie deren professionelle Durchführung, Auswertung und Interpretation.
Die Beschreibung der spezifischen Gestaltung des diagnostischen Prozesses im Kontext von Förder- und Therapieplanung (Kap. 2.1) wird ergänzt durch Ausführungen zur Diagnostik im Kontext schulischer, sprachheilpädagogischer Förderung (Kap. 2.2) und zur Diagnostik in der sprachtherapeutischen Praxis (Kap. 2.3). Abschließend werden ethische und rechtliche Grundlagen vorgestellt (Kap. 2.4).
2.1 Der diagnostische Prozess im Kontext von Förder- und Therapieplanung
„Beim Diagnostizieren handelt es sich nicht um einen einmaligen Akt, sondern um ein komplexes, mehrstufiges Vorgehen mit möglichen Rückkopplungsschleifen“ (Hesse/Latzko 2017, 63).
Der diagnostische Prozess ist nicht mit einem linearen Vorgehen gleichzusetzen. Durch das hypothesengeleitete Vorgehen kommt es zu Rückkopplungsschleifen. Es werden Hypothesen geprüft, ggf. verworfen und wiederum neue Hypothesen aufgestellt und verifiziert/falsifiziert. Dieses professionelle Vorgehen geschieht systematisch und schrittweise (Hesse/Latzko 2017).
Hesse und Latzko (2017, 64) beschreiben den diagnostischen Prozess in Anlehnung an Lukesch (1998) in einem Ablaufmodell, an dessen Beginn ein Problem und die daraus resultierende Fragestellung steht. Die sich anschließende Hypothesenbildung mit Feststellungs- und Erklärungshypothesen führt in der Folge zur Auswahl der Methoden für die anschließende Hypothesenprüfung. Das diagnostische Urteil (Diagnose) am Ende dieses Prozesses führt – je nach Zielstellung, Auftrag oder Setting zu einer ggf. angezeigten Förderung oder Therapie bzw. einer Beratung. Es kann im Anschluss an die Diagnose auch ein Gutachten erstellt werden (z.B. sonderpädagogisches Gutachten – vgl. Kapitel 2.2.2). Dieser Prozess ist aber, wie bereits angemerkt, keine „Einbahnstraße“, sondern es kann sein, dass das Ziel der Beantwortung der Fragestellung erst nach Rückkopplungsschleifen und somit ggf. mehreren Durchgängen der Informationsgewinnung erreicht wird (Schmidt-Atzert/Amelang 2012, 390).
Eine derartige Rückkopplungsschleife ist beispielsweise auch im diagnostischen Algorithmus zu Sprachentwicklungsstörungen in der AWMF-Leitlinie zu USES berücksichtigt. „Auch nach der Diagnose USES sichert eine Rückkoppelungsschleife – z. B. bei ausbleibendem Therapieerfolg – die Möglichkeit zur erneuten Differenzialdiagnostik“ (AWMF 2011, 49).
In Anlehnung an Berg (2007, 68) stellt Abbildung 2 in ähnlicher Weise den diagnostischen Prozess im Bereich Sprache dar.
Abb. 2: Diagnostischer Prozess im Bereich Sprache
2.2 Diagnostik im Kontext schulischer, sprachheilpädagogischer Förderung
Unterricht mit Kindern mit Förderbedarf im Bereich Sprache und Kommunikation ist als „diagnosegeleiteter Prozess“ (von Knebel 2007) zu verstehen, der potentielle (Sprach-)Barrieren identifiziert, um in der Folge eine uneingeschränkte sprachliche Bildung zu ermöglichen. Für eine professionelle, spezifische Unterstützung/Förderung ist es deshalb notwendig, den aktuellen, individuellen sprachlichen Entwicklungsstand und die spezifischen Bedingungen des Erwerbs sprachlicher Strukturen eines Kindes zu kennen (Wissen zur Lernausgangslage). Eine Diagnostik, die dieser Zielstellung folgt, liefert spezifische Ansatzpunkte, um Lernen – unabhängig vom Förderort – optimiert zu gestalten (Reber 2012).
„Wir praktizieren Diagnostik um der Förderung willen. Es geht darum, Fördermaßnahmen für Schülerinnen und Schüler an unterschiedlichen Förderorten zu entwickeln, um sie möglichst optimal in ihrer Lernentwicklung zu begleiten und zu unterstützen“ (Heimlich et al. 2013, 4).
Die diagnostische Erfassung von sprachlichen Fähigkeiten im schulischen Kontext übernehmen i.d.R. Sprachheilpädagogen – Sonderpädagogen, die