Anke Ortlepp

Geschichte der USA


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beaufsichtigen und nötigenfalls gegen Unruhen (domestic violence) einsetzen. Vollendet wurde der Übergang von der konföderativen zur bundesstaatlichen Ordnung durch zwei dehnbare Generalklauseln: Artikel I, Abschnitt 8 ermächtigte den neuen KongressRegierungssystemKongress, alle Gesetze zu beschließen, die er für „notwendig und angemessen“ (necessary and proper) hielt, um die ihm von der Verfassung gestellten Aufgaben zu erfüllen; und Artikel VI erklärte die Verfassung und die Gesetze und Verträge der Union zum höchsten geltenden Recht (supreme law of the land), an das jeder Richter ungeachtet der Verfassungen und Gesetze der Einzelstaaten gebunden war. Trotz der Beschneidung ihrer Selbstständigkeit blieben die Staaten aber die Grundeinheiten des RegierungssystemsRegierungssystem. Das zeigte sich z.B. bei dem in Artikel V festgelegten Verfahren zur VerfassungsänderungGewaltenteilungVerfassungVerfassung: Vorgeschlagen werden konnten Änderungen und Ergänzungen (amendmentsVerfassungZusätze) entweder von beiden Häusern des KongressesRegierungssystemKongress mit Zweidrittelmehrheit oder von einem Verfassungskonvent, der auf Antrag von zwei Drittel der Staaten zustande kam. Damit ein solcher Vorschlag Geltung erlangte, mussten ihm aber drei Viertel der Staaten – durch Parlamentsbeschluss oder per Ratifizierungskonvent – zustimmen.

      Bei der Konstruktion der Bundesorgane ließ sich die Mehrheit der Delegierten von der Absicht leiten, ein Übergewicht der Legislative, eine Art ParlamentssouveränitätGewaltenteilungVerfassungVerfassungParlamentssouveränität, wie sie sich in den Staaten herausgebildet hatte, zu verhindern. Gewiss stand der KongressRegierungssystemKongress als Verkörperung des Gesamtwillens der Union im Zentrum des RegierungssystemsRegierungssystem; es musste aber Vorsorge getroffen werden, dass die Rechte von Minderheiten sowie der Geist und Buchstabe der VerfassungVerfassung selbst gewahrt blieben. Eine möglichst unabhängige Exekutive und Judikative waren dazu gedacht, der legislativen Gewalt Grenzen zu setzen, um das System als Ganzes im Gleichgewicht zu halten. Überragenden Stellenwert gewann dabei die Frage, wie die Exekutive beschaffen sein und welche BefugnisseGewaltenteilungVerfassungVerfassung sie ausüben sollte. Ihre Beantwortung war deshalb so prekär, weil sich hier am deutlichsten die Abwendung von den radikalen Maximen der Revolution zu Gunsten gemäßigter Vorstellungen von einer balance of power im Sinne der englischenGroßbritannienVerfassung konstitutionellen Tradition offenbarte. Ein Ersatz für den König, der dem Parlament Paroli bieten konnte, war nicht leicht zu finden, zumal die ausführende Gewalt im Bewusstsein der Zeitgenossen immer noch mit der erblichen Monarchie identifiziert wurde. Der Konvent erwog eine ganze Reihe von Modellen, die sich zwischen den Extremen eines auf Lebenszeit gewählten PräsidentenRegierungssystemPräsident (ein Vorschlag HamiltonsHamilton, Alexander, der aber angesichts der öffentlichen Meinung keine Realisierungschance hatte) und einem kollegialen Führungsgremium bewegten, das am ehesten den republikanischen Prinzipien entsprochen hätte. Am Ende setzte sich der Vorschlag des pennsylvanischen Anwalts James WilsonWilson, James durch, dass „die Exekutive aus einer einzigen Person bestehen“ sollte, obwohl einige Delegierte darin den „Fötus der Monarchie“ zu erkennen glaubten. Nach Meinung der Mehrheit war so am besten gewährleistet, dass die Exekutive über einen einheitlichen WillenRegierungssystem und über genügend Energie und Effektivität verfügen würde, um das Wohl der Nation zu verfolgen, und dass gleichzeitig klare Verantwortlichkeiten gegeben seien. Unterschwellig spielte dabei sicher eine Rolle, dass viele Delegierte mit dem Konventsvorsitzenden George WashingtonWashington, George bereits den Wunschkandidaten für das neue Amt im Auge hatten. Die Debatte über die AmtszeitRegierungssystemPräsident spitzte sich auf zwei konkurrierende Vorschläge zu: sieben Jahre ohne Wiederwahl oder vier Jahre mit der Möglichkeit, sich danach erneut zur Wahl zu stellen. Den Ausschlag für das zweite Modell gab schließlich die Überlegung, dass der vierjährige Turnus einerseits eine relativ gute Sicherheit gegen Machtmissbrauch bot, das Verbot einer Wiederwahl andererseits die Energie des Amtsinhabers eher lähmen und die Optionen der Bürger zu sehr einschränken würde. Als zuständiges Wahlgremium war lange Zeit der Kongress vorgesehen gewesen, nachdem die Delegierten den Gedanken der direkten Volkswahl als zu radikal, vor allem aber als nachteilig für die kleinen Staaten und die Sklavenstaaten (in denen ja nur verhältnismäßig wenige weiße Wähler lebten) verworfen hatten. Die Entscheidung für eine indirekte Volkswahl stellte also in erster Linie ein Zugeständnis an die kleinen Staaten und das föderativeGewaltenteilungVerfassung Prinzip dar. Im Wahlmännerkollegium, dessen Mitglieder zunächst von den Staatenparlamenten, nicht von den Bürgern selbst gewählt wurden, verfügte jeder Staat über die gleiche Anzahl Stimmen wie er Abgeordnete und Senatoren in den KongressRegierungssystemKongress entsenden durfte. Durch die Vorschrift, dass die Elektoren je zwei Stimmen hatten, von denen sie eine für einen Kandidaten abgeben mussten, der nicht aus ihrem eigenen Staat stammte, wurde das Gewicht der kleinen Staaten erhöht. Noch deutlicher kam das föderale Element darin zum Ausdruck, dass für die Wahl zum PräsidentenRegierungssystemPräsident die absolute Mehrheit der Wahlmännerstimmen erforderlich war. Die meisten Delegierten gingen davon aus, dass ein solches Ergebnis nur in Ausnahmefällen eintreten und die letzte Entscheidung deshalb in der Regel doch beim RepräsentantenhausRegierungssystemRepräsentantenhaus liegen würde. Hier sah die VerfassungGewaltenteilungVerfassungVerfassung vor, dass bei den Stichwahlen im Repräsentantenhaus nach Staaten abzustimmen sei, wobei jeder Staat, ob groß oder klein, eine Stimme hatte. Ein „Nebenprodukt“ dieser komplizierten Regelung war das Amt des VizepräsidentenVizepräsidentenamt, das an denjenigen Kandidaten fiel, der die zweithöchste Zahl von Wahlmännerstimmen erreichte.

      In der Summe der Kompetenzen, die der Konvent dem PräsidentenRegierungssystemPräsident zubilligte, machte er ihn gleichzeitig zum Regierungschef, zum Staatsoberhaupt und zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Diese unerhörte Machtfülle wurde allerdings dadurch eingegrenzt, dass der Präsident eine ganze Reihe von BefugnissenGewaltenteilungVerfassung mit dem Kongress teilen musste. So sah man vor, dass er zur Ernennung der Minister – wie auch der Richter und anderen hohen Regierungsbeamten – die Zustimmung des SenatsRegierungssystemSenat benötigte. Seine Befugnis, völkerrechtliche Verträge abzuschließen, musste er ebenfalls mit dem Senat teilen, dessen ZweidrittelmehrheitRegierungssystem für die Ratifizierung erforderlich war. Außenpolitischen Alleingängen und militärischen Abenteuern des PräsidentenRegierungssystemPräsident glaubten die Delegierten dadurch vorbeugen zu können, dass sie die Entscheidung über Krieg und Frieden, die Aufstellung von Heer und Flotte und die Mobilisierung der Milizen dem Kongress überließen. Gestärkt wiederum wurde der Präsident gegenüber der Legislative durch ein Vetorecht, mit dem er Kongressgesetze aufhalten konnte, sofern ihn RepräsentantenhausRegierungssystemRepräsentantenhaus und SenatRegierungssystemSenat nicht mit Zweidrittelmehrheit überstimmten. Dabei ging es den Delegierten weniger um die Blockierung von GesetzesvorhabenGewaltenteilungVerfassungVerfassung als vielmehr, wie MadisonMadison, James erklärte, um die Verhinderung von „überhastet formulierten, ungerechten und verfassungswidrigen“ Gesetzen. Auf diese Weise war der Präsident aktiv und in konstruktiver Weise am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Diese Regelungen sind charakteristisch für das Bemühen des Konvents, ein komplexes System der Gewaltenverschränkung und wechselseitigen Kontrolle zu schaffen, das eher MontesquieusMontesquieu, Charles de Secondat, Baron de Idealvorstellungen von der englischenGroßbritannien VerfassungVerfassung als dem tatsächlichen System des King in Parliament folgte, wie es im 18. Jahrhundert Gestalt angenommen hatte. Die Präsidentschaft wurde Teil eines mixed and limited government, dessen verfassungsmäßige Begrenzung in erster Linie dem Schutz der individuellen Freiheit vor staatlicher Willkür und Unterdrückung dienen sollte.

      Das Prinzip der funktionalen GewaltenteilungRegierungssystem und GewaltenverschränkungVerfassungGewaltenteilungVerfassung wird auch beim Blick auf die Judikative deutlich: Der Konvent etablierte das Oberste Gericht (Supreme CourtSupreme CourtVerfassung) zwar erstmals als eigenständigen dritten Regierungszweig, ermächtigte aber den Präsidenten, die Bundesrichter mit Zustimmung des SenatsRegierungssystemSenat auf Lebenszeit (during good behavior) zu ernennen. Der Vorsitzende des Gerichts wiederum wurde ermächtigt, das Verfahren der Amtsanklage (ImpeachmentImpeachment (Amtsenthebung)) gegen den Präsidenten zu leiten, das der Konvent als letzte Schranke gegen exekutive Willkür errichtete. An einem solchen Impeachment sind laut VerfassungVerfassung aber auch die beiden Kammern des Kongresses beteiligt: Das RepräsentantenhausRegierungssystemRepräsentantenhaus hat das alleinige Recht, die Anklage zu erheben, und der SenatRegierungssystemSenat kann den Präsidenten mit Zweidrittelmehrheit verurteilen.