Balanced Scorecard
[15]I. TEIL: VON DER THEORIE ZUM KONZEPT
1 Aktualität, Relevanz, Bedeutung
1.1 Durchs Nadelöhr in die Zukunft
„Stell dir vor, du entdeckst eines Tages auf deinem Gartenteich eine Seerose. Du freust dich an ihrer wunderbaren Blütenpracht, weißt andererseits, dass diese Pflanze stark wuchert und ihre Blattfläche jeden Tag verdoppelt. Wenn sie ungehindert wächst, werden ihre Schwimmblätter eines Tages den gesamten Teich bedecken. Dann werden sie in kurzer Zeit alle anderen Lebensformen ersticken. Die Seerose scheint freilich in den folgenden Tagen und Wochen ziemlich zierlich und harmlos zu bleiben. Du machst dir keine großen Sorgen. Im Gegenteil, du freust dich an ihrer wachsenden Pracht. Am 29. Tag stellst du plötzlich fest, dass ihre Blätter die Wasserfläche des Teiches zur Hälfte bedecken. Wie viel Zeit bleibt dir noch, um den Teich zu retten?“
Mit dieser Metapher veranschaulicht Dennis Meadows in seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“, der für weltweite Furore sorgte, das Dilemma unserer ressourcen- und emissionsintensiven Industriegesellschaft: Unsere Wachstumsgetriebenheit gleicht einer tickenden Zeitbombe. Ein Tag bleibt noch, bis die Seerosenblätter den Teich ersticken. Das Problem ist nicht eine lineare Entwicklung. Das Problem ist eine Entwicklung, die exponentiell oder gar superexponentiell ist.
Szenenwechsel. Am 31. Oktober 2011 durchbricht die Weltbevölkerung die Sieben-Milliarde-Menschen-Marke. Im Jahr 1700 waren es noch 500 Millionen, 1900 um die eine Milliarde Erdenbewohner.
[16]HighTech, Low Carb, neuseeländische Kiwis im Winter – der Wohlstand wird zelebriert, importiert, perpetuiert. Zwischen 1950 und 2000 verzehnfacht sich die Weltwirtschaft. Nie war die Menschheit reicher.
Die Erde ist ein Juwel auf schwarzem Samt (zeitweilig beherbergte sie so viele Atomwaffen, dass sie davon fünfmal hätte in die Luft gesprengt werden können). Das System stößt an seine Grenzen, die biophysikalische Tragfähigkeit schwindet, der jahrtausendewährende natürliche Reichtum verengt sich zur Zwangsjacke, sind in der Geschlossenheit des Systems Erde Ressourcen doch endlich. Kampf um Wasser, Boden, Rohstoffe, Luft; Krieg um Wohlstand. Das Ökosystem stirbt leise. Und mit ihm seine Zivilisation, ohne es zu merken.
Abb. 1: Kennzeichen komplexer Systeme
[17]Nachhaltigkeit ist ein ressourcenökonomisches Prinzip, das gewährleistet, ein System in seiner Funktionsweise dauerhaft aufrechtzuerhalten. Das Bild des Nachhaltigkeitstrichters zeigt, dass uns zwei Entwicklungen zur Anwendung des Prinzips „zwingen“, wenn die Menschheit es durch das Nadelöhr zu ihrem Fortbestand schaffen will.
Abb. 2: Metapher des Nachhaltigkeitstrichters
Bevölkerungswachstum und Ressourcenerschöpfung repräsentieren das obere und untere Ende des Trichters. Die beiden Entwicklungen befeuern sich wechselseitig. Der Spielraum, um zu handeln, schrumpft. Will die Menschheit unter den verschärften Rahmenbedingungen überleben, braucht sie ein strukturiertes, integriertes Vorgehen. Die Lösung gleicht einem wohl durchdachten Experiment: einen Gummi am Rande des Filters anbringen, einen Stein spannen, gerade ansetzen und ihn gezielt durch den Tunnel schießen. Es braucht weder Willkür noch „Trial and Error“, sondern Ganzheitlichkeit bei der Problemerfassung. Es braucht eine neue Systematik, Intelligenz, aber auch Ethik, um durch den Tunnel ans Licht zu gelangen. Es braucht Nachhaltigkeit als Leitstern.
Szenenwechsel. Fukushima und BP – zwei Beispiele, die das Thema Nachhaltigkeit in seiner Tragweite veranschaulichen. Bei der Kernreaktorexplosion in Fukushima handelte es sich um die größte atomare Katastrophe in der Geschichte Japans. Der Skandal um die [18]Bohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko war die bislang schwerste Ölverseuchung. Mussten bei Ersterem hundertausende Menschen evakuiert werden (und die Region wird für die nächsten Jahrzehnte unbewohnbar bleiben), so sorgte BP mit einer gerissenen Schutzvorrichtung an einer Pipeline dafür, dass über mehr als zwei Monate hinweg insgesamt ca. 800 Millionen Liter Öl ins Meer strömten.
Die beiden Beispiele sind eng miteinander verwoben. Effizient und kostengünstig Energie, Strom und Öl zu gewinnen, ist das Motiv, bis die Überraschung eintritt: langfristige Verstrahlung und Verseuchung. Der Eingriff in die Natur zerstört die Ressource, den Lebens- und Arbeitsraum von Menschen und reißt Wohlstand und Wirtschaftlichkeit mit sich.
Die Erde ist ein komplexes System mit vielen Teilsystemen, die untereinander vernetzt sind. Eingriffe von Menschen haben vielfältige, oft unvorhergesehene und unerwünschte (Neben-)Wirkungen. Um das empfindliche Gleichgewicht nicht zu stören, ist ein integrativer Ansatz notwendig. Umweltprobleme sind keine isolierten Einzelereignisse; sie sind Herausforderungen für das gesamte Mensch-Umwelt-System.
Insgesamt lassen sich die Ziele von Nachhaltigkeit grundlegend wie folgt umreißen:
■ | Sicherung der menschlichen Existenz |
■ | Bewahrung der globalen ökologischen Ressourcen als physische Lebensgrundlage |
■ | Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotenzials |
■ | Gewährleistung der Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten heutiger wie künftiger Generationen weltweit. |
[19]1.2 Die aktuelle Popularität von Nachhaltigkeit
Problem | Nachhaltigkeit everywhere. Warum ist der Begriff populär und in aller Munde? In welchen Zusammenhängen ist er zu lesen und zu hören? Was erhofft man sich davon? |
Maßnahmen | aktuelle Schlagzeilen & Pressemeldungen, Assoziationen, Push- & Pull-Faktoren, Studien, Berichte, Prognosen, globale Herausforderungen, Earth Overshoot Day, Wandel & Widerstände |
Ergebnisse | Studierende werden „abgeholt“ und gewinnen eine erste Vorstellung, warum der Begriff der Nachhaltigkeit aktuell, relevant und omnipräsent ist. Sie überblicken das weite Feld der Nachhaltigkeit in seinen wichtigsten Zügen. |
[20] Nachhaltigkeit? – Ach, ich bleib da lieber flexibel. (Passant bei Straßenumfrage)
Ob in Wirtschaft, Wissenschaft oder Medien – Nachhaltigkeit ist das Schlagwort der Stunde. Als Begriff zunächst positiv besetzt, da mit Langfristigem, Dauerhaftem assoziiert, klingt er aber auch abstrakt und verschwommen. Zu zahlreich sind die Schauplätze, als dass von einem einheitlichen Verständnis gesprochen werden könnte. Nachhaltigkeit wird im Zusammenhang mit Energie, Mobilität, Gebäudesanierung, Ernährung, Bevölkerungsentwicklung, betrieblichem Umweltmanagement und Klimaschutz gebraucht, ebenso wie in Kunst, Kultur, Design und Werbung. Und der Begriff wird von einer Vielzahl von Akteuren benutzt: von Greenpeace über die Deutsche Bank bis zur Brauerei Krombacher, von Professoren über Minister und Manager bis