Andreas Mayer

Lese-Rechtschreibstörungen (LRS)


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      verschiedene Schriftensysteme

      Diese werden üblicherweise differenziert in solche, die mittels Bildern oder Symbolen Inhalte abbilden, aber in keiner Beziehung zur jeweiligen Lautsprache der Sprachgemeinschaft stehen, in der sie verwendet wird (Piktographie, Ideographie) und solche, die sich an der Struktur der Lautsprache orientieren. In der zuletzt genannten Gruppe werden Systeme, deren Einheiten die Bedeutung von Wörtern symbolisieren (Logographie) von solchen unterschieden, die den Klang der Sprache abbilden (Phonographie).

      Entstehung

      Der Ursprung der Schriftkultur ist im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris zu suchen, wo sich etwa 3400 v. Chr. die sumerische Keilschrift entwickelte, ein Terminus, der sich auf die dabei verwendete Technik bezieht, mit einem Griffel Zeichen in feuchten Ton einzuritzen.

      Piktographie

      Wie bei allen bekannten Schriften aus dieser Zeit handelte es sich dabei um ein piktographisches System, mit dessen Zeichen, den Piktogrammen, die gegenständliche Welt in recht konkreten Bildern wiedergeben wird, weshalb ausschließlich visuell Wahrnehmbares (z. B. Tiere, Pflanzen, landwirtschaftliche Geräte) abgebildet werden konnte. Neben der sumerischen Keilschrift gehören die Hieroglyphen, die zwischen 3000 v. Chr. und der Zeitenwende in Ägypten, aber auch in anderen Kulturen, bspw. der Hethiter oder der Maya, verwendet wurden, zu den bekanntesten Beispielen der Piktographie. Da die Bedeutungen der Piktogramme unmittelbar aus der visuellen Darstellung abgeleitet werden können und nicht an die Kenntnis einer bestimmten Sprache gebunden sind, kommen entsprechende Systeme auch heute noch in öffentlichen Einrichtungen oder bei internationalen Veranstaltungen bzw. an Orten zum Einsatz, an denen zahlreiche Menschen unterschiedlicher Nationalität zusammentreffen (z. B. Flughäfen) (Abb. 1).

      Ideographie

      Eine Weiterentwicklung der Piktographie stellt die Ideographie dar, deren Zeichen (= Ideogramme) meist aus Piktogrammen abgeleitet wurden, aber abstrakterer, schematisierter Natur sind und keinen unmittelbaren Bezug mehr zum Bezeichneten (signifié) erkennen lassen (Abb. 1). Deshalb können die Bedeutungen der Zeichen auch nicht mehr unmittelbar verstanden werden, sondern beruhen auf einer willkürlichen Vereinbarung, die gelernt werden muss.

      Unter der Piktographie werden Schriftsysteme zusammengefasst, deren Zeichen (= Piktogramme) eindeutig und einfach sind, sodass der Inhalt auf Anhieb verstanden und wiedergegeben werden kann. Die Ideographie ist eine Weiterentwicklung piktographischer Systeme, deren Symbole (= Ideogramme) abstrakterer Natur sind, und keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Realität erkennen lassen. Die Logographie referiert auf Systeme, deren Einheiten (= Logogramme) die Bedeutung von Wörtern symbolisieren (Crystal 2010).

      Diese Weiterentwicklung der Piktographie zur Ideographie brachte den Vorteil mit sich, dass sich die Zeichen nicht mehr nur auf materielle Gegebenheiten beziehen, sondern auch auf abstrakte Begriffe, Ideen und Gedanken ausgedehnt werden konnten.

      Logographie

      Während Piktogramme und Ideogramme Gedanken, Ideen, Ereignisse symbolisieren können, handelt es sich bei einem logographischen System und den dabei verwendeten Logogrammen um eine visuelle Repräsentation der Bedeutung einzelner Wörter oder Morpheme.

      Die bekanntesten aktuellen logographischen Systeme mit ideographischen Elementen sind das japanische Kanji und die chinesische Schrift, wobei es sich bei den Zeichen des Chinesischen genau genommen um Phonogramme handelt, da sie neben dem Hinweis auf die Bedeutung des Zeichens auch einen lautandeutenden Teil beinhalten. Für ein Land wie China ist ein logographisches System, trotz der hohen Anzahl benötigter Zeichen, durchaus von Vorteil. Aufgrund der zahlreichen Regionalsprachen, deren Sprecher sich untereinander nicht verständigen können, ermöglicht die chinesische Schrift zumindest eine schriftliche Kommunikation, weil die Zeichen in den einzelnen Dialekten gleich aussehen und dieselbe Bedeutung haben, auch wenn sie lautsprachlich unterschiedlich realisiert werden.

      Auch das System arabischer Zahlen und mathematischer Symbole kann als logographisches System verstanden werden, da sich die einzelnen Zeichen (1, 3, 6, +, : etc.) auf eine bestimmte sprachenunabhängige Wortbedeutung beziehen, die – die Kenntnis der Symbole vorausgesetzt – verstanden, aber lautsprachlich unterschiedlich realisiert werden (eins, one, un, uno).

      Gemein sind den bislang genannten Schriftsystemen, dass die verwendeten Zeichen Bedeutungen symbolisieren, aber keine Hinweise auf die Aussprache liefern. Um die Zeichen dieser Schriften verstehen zu können, sind keine Kenntnisse über die Phonologie, Semantik, Lexik und Grammatik der Sprache erforderlich, man muss „nur“ die Bedeutung der Zeichen kennen.

      Rebusprinzip

      Eine grundlegende Veränderung fand statt, als man nach und nach begann, die Zeichen piktographischer oder ideographischer Systeme als Symbole für lautsprachliche Einheiten zu verwenden. Im System der ägyptischen Hieroglyphen bspw. kamen im Laufe der Zeit neben den Zeichen, die unmittelbar die Dinge der materiellen Welt symbolisieren (Piktogramme) auch solche zum Einsatz, die jeweils den Anlaut oder die erste Silbe des abgebildeten Gegenstandes repräsentieren sollten (Rebusprinzip).

      phonografische Systeme

      Dabei handelte es sich um einen ersten Schritt hin zu phonographischen Systemen, die also keine Bedeutungen, sondern den Klang der jeweiligen Sprache abbilden. In Abhängigkeit von der Größe der sprachlichen Einheit, die durch das jeweilige Schriftzeichen symbolisiert wird, lassen sich dabei Silbenschriften und alphabetische Schriften unterscheiden.

      Silbenschriften

      Die Zeichen der Silbenschriften symbolisieren die Silben der Bezugssprache, wobei einzelne Zeichen auch für eine Kombination aus Onset und Nukleus bzw. aus Nukleus und Coda (= Rime, im Folgenden auch Silbenreim genannt) stehen können (zum Begriff Onset und Rime sowie dem Aufbau der Silbe aus Onset und Silbenreim vgl. Abb. 13). Unter dem Onset einer Silbe versteht man den bzw. die Konsonanten einer Silbe, die vor dem Vokal (= Nukleus) stehen. Die Zahl der Zeichen in unterschiedlichen Silbenschriften schwankt zwischen 50 und mehreren hundert.

      Hiragana, Katakana

      Zu den bekanntesten aktuell noch verwendeten Silbenschriften gehören das japanische Hiragana und Katakana, das 75 Zeichen umfasst, wobei drei davon gewisse Kombinationen eingehen können, sodass weitere 36 Formen entstehen (Crystal 2010; Abb. 2).

      Alphabetschriften

      Bei Alphabetschriften besteht nun ein direkter Zusammenhang zwischen Phonemen und Graphemen, wobei in den seltensten Fällen eine Eins-zu-eins-Zuordnung vorherrscht.

      Phoneme stellen die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Lautsprache dar, während der Begriff des Graphems auf die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Schriftsprache referiert.

      Aufgrund der Symbolisierung der kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der jeweiligen Sprache durch Grapheme handelt es sich bei Alphabetschriften um die ökonomischste und anpassungsfähigste Form der Orthographie. Anstatt einer riesigen Menge an Logogrammen oder Silbenzeichen benötigt eine Alphabetschrift nur eine relativ geringe Anzahl an Graphemen, mit denen sich alle vorhandenen Wörter aber auch neu hinzukommende Ausdrücke verschriften lassen.

      unterschiedliche Alphabetschriften

      Die vermutlich erste Alphabetschrift, auf der alle folgenden aufbauen, ist die in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr. entstandene phönizische Schrift, die aus 22 Konsonantenzeichen besteht und vorwiegend im Mittelmeerraum verwendet wurde. Aus der phönizischen Schrift