charakterisieren, da es nicht vor Plosiven und selten in Wörtern mit komplexen Onsets der ersten Silbe eingefügt wird. Da diese Dehnungsmarkierung aber nur im Fall einer Nichtbesetzung der Coda der ersten Silbe eingefügt wird und dies eigentlich ausreichend ist, um den Vokal als lang und gespannt zu identifizieren (s. o.), handelt es sich dabei letztendlich um eine zweifache Markierung der Vokallänge, die als nicht zwingende visuelle Stütze beim Lesen betrachtet werden kann (Eisenberg 2006).
silbentrennendes h
Vom Dehnungs-h klar zu unterscheiden und wiederum sehr regelmäßig auftretend ist das „silbentrennende <h>“. Es wird immer dann eingefügt, wenn die Coda der ersten und der Onset der zweiten Silbe leer sind, also zwischen den beiden Nuklei kein konsonantisches Material vorhanden ist. Wie das Dehnungs-h ist auch das „silbentrennende <h>“ ein „stummes <h>“ (z. B. [zeːən]). Das silbentrennende <h> tritt nicht auf, wenn der erste Vokal als Mehrgraph (z. B. <kauen>) geschrieben wird. Nur bei <ei> steht es in manchen Fällen, wie z. B. bei <Weiher> (Thelen 2002).
Das Prinzip der Morphemkonstanz
Das Prinzip der Morphemkonstanz (morphematisches Prinzip) verlangt, dass die Schreibweise des Wortstamms als kleinste bedeutungstragende Einheit auch in der Schreibung von gebeugten und abgeleiteten Formen wieder erkannt werden soll. So werden die Adjektive <hell> und <kalt> zu <Helligkeit> und <Kälte>, nicht aber zu *<Hälligkeit> oder *<Kelte> nominalisiert, obgleich das phonologische Prinzip beide Schreibweisen zuließe, da die beiden Vokale der ersten Silbe durch denselben Laut [ɛ] realisiert werden.
Überlagerung der Prinzipien
Das silbische Prinzip und das Prinzip der Morphemkonstanz überlagern sich in der deutschen Orthographie, was die Rechtschreibung auf den ersten Blick unüberschaubar und regellos wirken lässt. Bspw. lässt sich die Verdoppelung des ambisilbischen Konsonanten in <kommen> als Zeichen für die ungespannte, kurze Realisierung des Vokals der ersten Silbe erklären. Die Schreibweise <drohen> spiegelt die Regel zum silbentrennenden <h> wider. Die Begründung für diese Abweichungen vom phonologischen Prinzip entfällt in den flektierten Formen dieser Wörter (z. B. <kommt> und <droht>), wird aber aufgrund des Prinzips der Morphemkonstanz beibehalten.
Das semantische Prinzip
Abschließend sei noch auf das semantische Prinzip verwiesen. Dieses Prinzip verfolgt das Ziel, dass homophone Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung orthographisch auch unterschiedlich realisiert werden (z. B. Lied vs. Lid, Wahl vs. Wal).
Literaturempfehlungen zum deutschen Schriftsystem
Eisenberg, P. (2009): Phonem und Graphem. In: Dudenredaktion (Hrsg.): Duden Band 4. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. Dudenverlag, Mannheim, 19–94
Bredel, U. (2009): Orthographie als System – Orthographieerwerb als Systemerwerb.
Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 39 (153), 135–154
Zusammenfassung
Das für das Schriftsystem des Deutschen grundlegende phonologische Prinzip wird vom silbischen und vom morphematischen Prinzip flankiert bzw. ergänzt. So wie viele andere Schriftsysteme ist also auch das Deutsche ein Mischsystem, das zwar auf dem phonographischen Prinzip basiert, in dem aber auch auf Silben und Wörter bzw. Morpheme Bezug genommen wird (Öhlschläger 2011).
Dass sich die unterrichtliche Förderung orthographischer Fähigkeiten dieses sprachwissenschaftliche Wissen zunutze machen kann, wird in Kapitel 8.6 deutlich werden. Zum anderen wurden in den 2000er und 2010er Jahren einige Konzeptionen für den schriftsprachlichen Anfangsunterricht entwickelt, die auf einer sprachwissenschaftlichen Analyse des orthographischen Systems aufbauen, aber in der schulischen Praxis noch kaum Eingang gefunden haben (Bredel 2009; Braun 2011; Moths 2011).
2 Der ungestörte Schriftspracherwerb
Lernziele
Modelle der Worterkennung und des Wortschreibens kennen (Kap. 2.1 und 2.2)
Zusammenhänge zwischen der Worterkennung, dem Sprachverständnis und dem Leseverständnis verstehen (Kap. 2.3)
die unterschiedlichen Phasen des Schriftspracherwerbs und die dabei vorrangig eingesetzten Strategien kennen und daraus Konsequenzen für einen entwicklungsorientierten Unterricht ableiten können (Kap. 2.4)
unterschiedliche Perspektiven
Schriftsprachliche Kompetenzen und deren Erwerb lassen sich aus zwei Perspektiven betrachten. Entwicklungsmodelle zum Lesen- und Schreibenlernen (Kap. 2.4) gliedern den Schriftspracherwerb in unterschiedliche Phasen und beschreiben dominante Strategien innerhalb dieser Abschnitte, während Prozessmodelle (Kap. 2.1 und 2.2), insbesondere Modelle zur Worterkennung, Hinweise auf die dabei ablaufenden grundlegenden kognitiven Prozesse und deren Einflussfaktoren liefern (Reber 2009).
2.1 Dual-Route Modelle
Um gedruckte Wörter lesen und verstehen zu können, müssen die visuellen Symbole der Schrift in Sprache umgewandelt werden. Das Dual-Route Modell (Zwei-Wege-Modell; Coltheart 1978, 2005) versucht für die rezeptive Modalität des Lesens zu erklären, welche kognitiven Prozesse bei diesem Umwandlungsprozess auf Wortebene eine Rolle spielen und welche Strategien dabei zum Einsatz kommen. Die tatsächlich ablaufenden Verarbeitungsprozesse bleiben dem Beobachter verborgen. Analysierbar sind aber das Lesen und Schreiben zu unterschiedlichen Entwicklungszeitpunkten sowie die Symptomatik entwicklungsbedingter und erworbener Schriftspracherwerbsstörungen, woraus mögliche Strategien abgeleitet werden können.
unterschiedliche Verarbeitungswege
Ausgangspunkt des Dual-Route Modells ist die Tatsache, dass es zum einen Wörter gibt, die auf der Grundlage der gelernten Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln (GPK-R) erlesen und verstanden werden können, während die lautsprachliche Realisierung von Wörtern, deren Schreibweise von den typischen GPK-R abweichen, als wortspezifisches Wissen im orthographischen Lexikon abgespeichert werden muss. Zum anderen sollten Wörter, die im Langzeitgedächtnis repräsentiert sind, unabhängig davon ob es sich um regelmäßige Wörter oder Ausnahmewörter handelt, auf anderem Weg verarbeitet werden als Wörter, die dem Leser in der schriftsprachlichen Modalität unbekannt sind.
Konkret unterscheidet das Dual-Route Modell einen direkten Weg vom gedruckten Wort zur semantisch-konzeptionellen Ebene des mentalen Lexikons, also zur Wortbedeutung und einen indirekten Weg über die Anwendung der GPK-R zur Aussprache des Wortes, die dann wiederum einen Zugriff auf die Bedeutung ermöglicht, aber nicht zwingend notwendig macht.
Um die beiden Wege des Dual-Route Modells beschreiben zu können (Abb. 4), wird als Ausgangspunkt die Konfrontation eines Lesers mit einer Buchstabenfolge (Wort oder Pseudowort) angenommen, deren Aussprache und Bedeutung aktiviert werden sollen.
indirekter Leseweg
Der erste Verarbeitungsprozess besteht in der visuellen Analyse des orthographischen Inputs, also der Buchstabenfolge. Kommt der Leser dabei zu dem Ergebnis, dass es sich um eine unvertraute Buchstabenfolge handelt, dass also im orthographischen