nur einzelne Buchstaben eines Wortes weichen von den üblichen GPK ab, weshalb eine völlige Unabhängigkeit der Verarbeitung regelmäßiger Wörter und Ausnahmewörter wenig wahrscheinlich sei. Dass die Umwandlung einer Buchstabenfolge in einen phonologischen Code zwar beim Erlernen und der Anwendung der indirekten Lesestrategie eine zentrale, bei der Ausbildung der direkten Worterkennung aber keine Rolle mehr spiele, sei zudem deshalb nicht plausibel, weil die meisten Kinder, die Schwierigkeiten beim Erlernen des phonologischen Rekodierens haben, üblicherweise auch beim Erwerb des direkten Lesewegs beeinträchtigt sind.
visuell phonologische Assoziationen
Ehri (1992) zufolge sei es deshalb naheliegender, bei der sukzessiven Ausbildung der direkten Lesestrategie systematische Assoziationen zwischen visuellen und phonologischen Informationen und keine arbiträren Verbindungen zwischen dem Wortbild und der Bedeutung anzunehmen. Zum einen seien visuell-semantische Verknüpfungen aufgrund der fehlenden Systematik unökonomisch und eine enorme Belastung des Gedächtnisse. Zum anderen seien Wortbilder visuell auch nicht eindeutig genug voneinander zu diskriminieren, um die üblicherweise sehr hohe Lesegenauigkeit zu erklären. Der entscheidende Schritt zur automatisierten Worterkennung sei vielmehr den kontinuierlich verbesserten Fähigkeiten im Bereich des phonologischen Rekodierens geschuldet, die es dem Kind ermöglichen, sukzessive größer werdende schriftsprachliche Einheiten simultan zu verarbeiten und mit der entsprechenden Phonologie zu verknüpfen. Während zu Beginn des Leselernprozesses die Ausbildung von Assoziationen zwischen einzelnen Buchstaben und den entsprechenden Lauten im Mittelpunkt stehe, würden im Laufe der Entwicklung Silben, Morpheme, häufig vorkommende Buchstabengruppen und schließlich ganze Wörter ganzheitlich erfasst und mit der entsprechenden Phonologie verknüpft. Demnach lässt sich die direkte genauso wie die indirekte Lesestrategie durch systematische visuell-phonologische Assoziationen charakterisieren. Bei beiden Strategien handelt es sich demnach um denselben Zugangsweg zur Bedeutung über die Phonologie eines Wortes mit dem Unterschied, dass die Größe der verarbeiteten Einheiten zunimmt.
Diese Annahme wurde insbesondere von Seidenberg / McClelland (1989) im Rahmen des konnektionistischen Modells (Kap. 2.2) ausgearbeitet.
Schreiben
Analog zum Dual-Route Modell der Worterkennung nehmen Ellis / Young (1991), Cholewa et al. (2008) und Heber (2010) auch für das Schreiben einzelner Wörter eine segmentale und eine direkte lexikalische Verarbeitungsroute an.
Vereinfacht dargestellt (für eine detaillierte Darstellung des Modells von Ellis / Young sowie einer Weiterentwicklung des Modells vgl. Heber 2010) nimmt die Produktion eines diktierten Wortes seinen Ausgangspunkt im auditiven Analysesystem. Bei diesem Verarbeitungsschritt wird die phonologische Struktur des Wortes identifiziert, die dann in der phonologischen Schleife des Arbeitsgedächtnisses aufrechterhalten werden muss.
Die weitere Verarbeitung erfolgt nun entweder über die segmentale oder die lexikalisch-semantische Route. Obwohl sowohl das Schreiben orthographisch vertrauter Wörter als auch solcher, zu denen kein wortspezifisches Wissen im Langzeitgedächtnis vorhanden ist, beide Wege aktivieren, stellt die segmentale Verarbeitungsroute bei bekannten Wörtern eher einen Kontrollmechanismus dar und tritt erst beim Schreiben von schriftsprachlich unbekannten Wörtern in den Vordergrund.
segmentale Schreibstrategie
Die segmentale Route führt vorbei am semantischen System; das zwischengespeicherte Wort wird nach der auditiven Analyse in einzelne Phoneme, Silben oder Silbenbestandteile segmentiert, die so entstandene „Phonemkette“ (Heber 2010, 47) liefert den Input für den nächsten Verarbeitungsschritt, bei dem den identifizierten Phonemen bzw. Phonemgruppen die entsprechenden Grapheme bzw. Graphemgruppen zugeordnet werden (phonemisch-graphemische Konversion).
Nachdem schließlich für jedes aktivierte Graphem eine passende allographische Variante (Druckschrift, Schreibschrift, Groß- oder Kleinbuchstaben) ausgewählt wurde, werden diese schreibmotorisch umgesetzt.
Werden Wörter ausschließlich über die segmentale Route verarbeitet, führt dies nur bei lautgetreuen Wörtern und Pseudowörtern zu einem richtigen Ergebnis; Wörter, deren Schreibweise sich nicht ausschließlich am phonologischen Prinzip orientieren, werden mithilfe dieser Strategie zwar lautgetreu, aber orthographisch inkorrekt wiedergegeben.
lexikalische Schreibstrategie
Das Schreiben eines Wortes mittels direkter lexikalischer Strategie wird möglich, wenn das auditive Analysesystem zu dem Ergebnis kommt, dass das in der phonologischen Schleife gespeicherte Wort im orthographischen Inputlexikon vollständig repräsentiert ist. In einem nächsten Schritt können die korrespondierenden Formen in einem graphematischen Output-Lexikon aktiviert werden, sodass das Wort als Ganzes, ohne eine bewusste Segmentation in Einzellaute oder Silben, schreibmotorisch realisiert werden kann.
Wörter, deren Schreibweise stark von den üblichen Phonem-Graphem-Korrespondenzen (z. B. <Clown>) abweicht, können nur mithilfe der direkten lexikalischen Strategie korrekt geschrieben werden.
2.2 Das konnektionistische Modell der Worterkennung
Die skizzierte Kritik am Dual-Route Modell, insbesondere die Annahme zweier weitgehend unabhängiger Verarbeitungswege für regelmäßige und Pseudowörter auf der einen und Ausnahmewörter auf der anderen Seite, führte zu Überlegungen, ob und wenn ja wie sich die Worterkennung auch durch ein einziges Verarbeitungssystem erklären lässt (Seidenberg 2005).
Annahme eines Verarbeitungssystems
Daraus resultierten unterschiedliche Modelle, wobei das konnektionistische oder Netzwerkmodell (Seidenberg / McClelland 1989; Seidenberg 2005, 2007) das bekannteste sein dürfte.
Dieses Modell nimmt weder für das Erlernen des phonologischen Rekodierens die Notwendigkeit eindeutiger GPK-R an noch sei eine lexikalische Strategie mit einer unmittelbaren Beteiligung der semantisch-konzeptionellen Ebene des mentalen Lexikons bei der Rekodierung von Schrift in Sprache von zentraler Bedeutung. Es geht vielmehr davon aus, dass ein einziges Verarbeitungssystem ausreichend ist, um die Entwicklung der Worterkennung und die Verarbeitung unterschiedlich transparenter Wörter zu erklären.
Der zentrale Unterschied zwischen den beiden Modellen ist darin zu sehen, dass das Dual-Route Modell insbesondere für Wörter, deren Aussprache von den gelernten GPK-R abweicht, eine direkte Verbindung zwischen der Orthographie und der Bedeutung des Wortes annimmt, während konnektionistische Modelle für die Verarbeitung bedeutungstragender Einheiten (Morpheme, Wörter) denselben Mechanismus annehmen wie für sublexikalische sinnfreie Graphemfolgen. Die Aussprache von Wörtern wird demzufolge nicht erst als Resultat der Aktivierung der semantisch-konzeptionellen Ebene des mentalen Lexikon generiert, vielmehr werden im Laufe der Leseentwicklung direkte Verknüpfungen zwischen der Orthographie und der Phonologie ausgebildet. Lediglich für die korrekte Aussprache von homographen Wörtern mit unterschiedlicher Phonologie wird eine stärkere Beteiligung der semantisch-konzeptionellen Ebene des mentalen Lexikons angenommen (vgl. Beispiele von Brügelmann 1992 und Costard 2011 in Kap. 2.1).
Annahme einer Quasiregularität
Während das Dual-Route Modell von den zahlreichen Ausnahmewörtern der englischen Orthographie ausgeht, die mithilfe der indirekten Lesestrategie nicht verarbeitet werden können, weshalb eine zweite visuell-lexikalische Strategie angenommen wird, geht das konnektionistische Netzwerkmodell von einer Quasiregularität (Seidenberg / McClelland 1989; Seidenberg 2005, 2007) der englischen Orthographie aus, die aus einem Korpus an Regeln besteht, aber zahlreiche Unregelmäßigkeiten und Ausnahmen zulässt. Auch in der opaken (i. e.: Orthographien mit uneindeutigen GPK) englischen Schriftsprache sind die Verbindungen zwischen der Orthographie und der Phonologie nicht völlig arbiträr („HAVE is not pronounced ‚glorp’.” Seidenberg 2007, 12), vielmehr kann auch die Aussprache der Ausnahmewörter großteils durch visuell-phonologische Korrespondenzen erklärt werden, die im Englischen aber eher auf der Ebene des Silbenreims als auf Buchstaben-Lautebene zu suchen sind. Während der Buchstabe <a> im Englischen lautsprachlich unterschiedlich realisiert wird (Can, Heat, Plate), wird die Buchstabenkombination <air> durchgängig