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Qualitative Medienforschung


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2011, Reichertz/ Wilz 2016), die figurative Hermeneutik (Müller 2012) und der Segmentanalyse (Breckner 2010) vorgelegt worden.

      Bild und Bildbedeutung

      Bilder bedeuten etwas. Allerdings bedeuten sie nicht immer dasselbe. Die Bedeutung eines Bildes hängt nämlich davon ab, welche Frage man an das Bild stellt. Geht es (so eine Frage) um die Ermittlung der Intention des oder der Produzenten des Bildes, also um das, was einzelne Macher bewusst mit der Gestaltung eines Bildes erreichen wollten? Oder soll angezielt werden, die notwendigerweise singuläre und subjektive Zuschreibung von Bedeutung im Moment der Rezeption zu ermitteln, also das zu bestimmen, was im Augenblick der Aneignung im Bewusstsein des Rezipienten geschieht? Oder will man gar – dem Programm der Cultural Studies folgend (vgl. hierzu Bromley u. a. 1999 und Hall 1999; eine interessante, nicht nur von den Cultural Studies inspirierte Einführung in die Filmanalyse liegt mit Mikos 2015 vor) – den kommunikativen und interaktiven Umgang mit Bildern, also deren Aneignung und weitere Verwendung?

      Die ersten beiden, im Kern subjektiven und von der individuellen und sozialen Biographie geformten Bedeutungsvorstellungen sind soziologisch von geringem Belang und zudem nicht zugänglich. Deshalb fallen sie hier als Zielpunkte der Analyse aus. Auch soll hier unter Bildanalyse nicht die Suche nach der dritten Bedeutung verstanden werden, also dem sozialen Umgang mit Bildern und der in der kommunikativen Aneignung erschaffenen Bedeutung, die durchaus soziologisch relevant und mittels Ethnographien prinzipiell ermittelbar ist. Weil diese Art der Bedeutungsermittlung ihre Daten außerhalb des Bildes sucht, gehört sie nicht mehr zur Bildanalyse. Insgesamt bleibt hier die Abnehmerseite eines Bildes, also die Ermittlung der Aneignung von Bedeutung in konkreten Kommunikationssituationen, außen vor.

      Die wissenssoziologische Bildanalyse im engen Sinne fragt nun nach der in Bildern aller Art eingelassenen gesellschaftlichen Bedeutung.

      Zur Methode einer hermeneutischen Wissenssoziologie

      Gezeigte Handlung versus Handlung des Zeigens

      Das hier vorgestellte Datenanalyseverfahren ist die hermeneutische Wissenssoziologie (allgemein hierzu Hitzler/Reichertz/Schröer 1999; Soeffner 1989 und Schröer 1994). Die hermeneutische Wissenssoziologie soll sinnstrukturierte Produkte menschlichen Handelns auf ihre Handlungsbedeutung hin auslegen und ist als solche in der Lage, sowohl Texte als auch Bilder, Grafiken und Fotos jeder Art auszulegen.

      Die hermeneutische Wissenssoziologie interpretiert dabei ausschließlich Handlungen, also auch Sprech- und Darstellungshandlungen. Bei der Analyse von Bildern, (digitalisierten) Fotos, Filmen und Grafiken ergibt sich allerdings die Frage, welches Handeln überhaupt Gegenstand der Untersuchung sein soll. Hier gilt ganz allgemein – und dies im Anschluss an Peters 1980 und Opl 1990 –, zwischen der gezeigten Handlung (also der im Bild gezeigten Handlung) und der Handlung des Zeigens (also der mit dem Bild gezeigten) zu unterscheiden1 (ausführlich hierzu Reichertz/Englert 2011). Mit Ersterem wird das Geschehen bezeichnet, das mithilfe des Bildes aufgezeichnet und somit gezeigt wird, mit Letzterem der Akt der Aufzeichnung, also des Zeigens durch die Gestaltung des Bildes (plus die Gestaltung des von dem Bild Aufgezeichneten). Bild meint hier nicht nur ein Foto, sondern ganz allgemein einen Apparat des Aufzeichnens, Fixierens mit einer darin eingelassenen spezifischen Selektivität.

      Zur Handlung des mit der Bildgestaltung Zeigens gehört also vor allem (1) die Wahl des Ortes zur Inszenierung einer Handlung vor der Kamera, (2) die Wahl der Kulissen und des sozialen Settings, (3) die Auswahl und Gestaltung des Bildausschnitts, (4) die Art und das Tempo der Schnittfolge, (5) die Kommentierung des Abgebildeten durch Filter, eingeblendete Grafiken, Texte, Töne oder Musik, (6) die Auswahl und Ausrüstung des Aufzeichnungsgeräts (Kamera) und (7) die Gestaltung der Filmkopie (Format, Qualität).

      Alle Handlungen greifen in der Regel auf kulturell erarbeitete Muster und Rahmen (ikonographische Topoi) zurück, weshalb die Handlung des Zeigens sich immer auch auf andere, zeitlich frühere Handlungen des Zeigens bezieht. Da die (impliziten oder expliziten) Entscheidungen über die wesentlichen Elemente der Bildgestaltung zeitlich der Handlung im Bild meist vorangehen bzw. diese dominieren, bildet die Bildgestaltungshandlung den für die (alltägliche und wissenschaftliche) Interpretation dominanten Handlungsrahmen, in dem die Handlung im Bild unauflöslich eingebunden ist.

      Allerdings findet sich oft für die Bildgestaltungshandlung bei näherer Betrachtung kein einzelner personaler Akteur, da z. B. im Falle eines Filmes der Regisseur in der Regel nicht für alle Kamerahandlungen zuständig ist. Meist sind (z. B. beim Film) an der Kamerahandlung auch Kameraleute, Maskenbildner, Tontechniker, Kulissenschieber, Ausleuchter, Kabelträger, Kreative, Text- und Songschreiber, betriebseigene Medienforscher u. v. a. m. beteiligt. Das durch Professionsstandards angeleitete Zusammenspiel all dieser Funktionen bringt schlussendlich das zustande, was als Film gesendet wird oder als Bild, Grafik, Werbeanzeige oder Homepage veröffentlicht wird. Wird im Weiteren von dem Autor der Bildgestaltung gesprochen, dann ist immer ein korporierter Akteur (= Summe aller Handlungslogiken, die an der Aufnahme und Gestaltung eines Bildes mitwirken – siehe Reichertz 2016) gemeint.

      Stets kommentiert und interpretiert der korporierte Akteur durch die Handlung der Bildgestaltung die Handlung im Bild. Auch der Versuch, mit der Bild-Darstellung nur das wiederzugeben, was den abgebildeten Dingen (scheinbar von Natur aus) anhaftet, ist ein Kommentar, allerdings ein anderer als der, wenn die Kamera z. B. durch Schärfentiefe, Verzerrungen etc. auf sich selbst weist. Im ersten Fall versucht der korporierte Akteur sein Tun und die Bedeutung seiner Handlungslogik zu leugnen bzw. zu vertuschen, im zweiten Fall schiebt er sich zwischen Abgebildetem und Betrachter und bringt sich damit selbst ins Gespräch.

      Aus diesem Grunde geht es bei der Analyse von Bilddaten nicht allein um die Rekonstruktion der Bedeutung des gezeigten Geschehens. Bildanalyse kann und darf sich nie auf die Bild-inhaltsanalyse bzw. auf die Analyse der vor der Kamera gesprochenen Worte beschränken, da die Kamerahandlung stets konstitutiver Bestandteil des Films ist. Sie hat sich durch eine Fülle nonverbaler Zeichen in den Film eingeschrieben, sie hat im Film einen bedeutsamen Abdruck hinterlassen. In jeder bildlichen Darstellung von Handlungen finden sich also immer zwei Komplexe von Zeichen: zum einen die Zeichen, welche auf die Regeln der abgebildeten Handlungen, zum anderen die, welche auf die Regeln der Handlung der Abbildung verweisen.

      Deuten als schrittweise Sinnrekonstruktion

      Methodisch verfolgt eine hermeneutische Wissenssoziologie bei der Interpretation von Bildern folgenden Weg: Die Daten werden entlang der oben vorgeschlagenen Differenzierung möglichst genau deskribiert. Der so entstandene Text enthält dann eine fixierte und nach wissenschaftlichen Standards codierte Version des beobachteten Bildes, er ist ein formalisiertes Protokoll dieser Beobachtung. Eine hermeneutische Wissenssoziologie schlägt nun vor, dieses Beobachtungsprotokoll als Feldprotokoll zu betrachten und mit dem auch von der Grounded Theory entwickelten Verfahren (vgl. z. B. Strauss 1991) zu behandeln.

      In der Anfangsphase wird das Beobachtungsprotokoll, also der Bildtext, offen codiert, will sagen: das Dokument wird extensiv und genau analysiert »und zwar Zeile um Zeile oder sogar Wort für Wort« (Strauss 1991, S. 58). Entscheidend in dieser Phase ist, dass man noch keine (bereits bekannte) Bedeutungsfigur an den Bildtext heranführt, sondern mithilfe des Textes möglichst viele, mit dem Text kompatible Lesarten des Bildes konstruiert.

      In der Phase des offenen Codierens sucht man nach größeren Sinneinheiten, die gewiss immer schon theoretische Konzepte beinhalten bzw. mit diesen spielen und auf sie verweisen. Hat man solche gefunden, sucht man in der nächsten Phase der Interpretation nach höher aggregierten Sinneinheiten und Begrifflichkeiten, welche die einzelnen Teileinheiten verbinden. Außerdem lassen sich jetzt im Sinne eines »Theoretical Samplings« (Strauss 1991, S. 70; → Wegener/Mikos, S. 220 ff., → Lampert, S. 596 ff.) gute Gründe angeben, weshalb man welche Bilddaten neu bzw. genauer nacherheben sollte. Man erstellt also in dieser Phase der Interpretation neue Beobachtungsprotokolle, wenn auch gezielter. So regt die Interpretation die weitere Datenerhebung an, aber zugleich, und das ist sehr viel bedeutsamer, wird