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Qualitative Medienforschung


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Handlung. Eine solche gemeinsame Handlung, nämlich die Vorwärtsbewegung, wird allein durch die Handlung des korporierten Fotografen nahegelegt. Er hat nach seinen Vorstellungen und Darstellungsabsichten (und so kann man vermuten: im Auftrag seiner Geldgeber) aus unverbundenen Teilen eine neue Gestalt geschaffen und damit auch eine neue, strategisch geplante Bedeutungsstruktur.

      Das für die Interpretation Wichtige dabei ist, dass der Fotograf bei der Gesamtkomposition des neuen Bildes fast unabhängig von den Zwängen der Natur (Größe der Personen, Lichtverhältnisse, Besonderheiten des Hintergrunds etc.) nur seinen Darstellungsabsichten folgen konnte. Deshalb gilt für dieses Artefakt in gesteigertem Maße, was auch für andere Produkte menschlicher Praxis gilt: Order at all points.

      Objektiv bedeutet das gewählte Verfahren der Bildkomposition (und das ist eine erste Annäherung an die Bedeutung) vor allem die Austauschbarkeit aller Elemente, also auch der abgebildeten Personen. Jeder und jedes kann leicht und schnell ausgewechselt werden – und das nicht nur auf dem Bild. Die Gruppe ist allein eine Fotografenfiktion – eine Simulation eines faktisch nie Realisierten (gemeinsamer Fototermin).

      Die vom Fotografen benutzte Bildsprache arbeitet auf mehreren Ebenen, um einen Eindruck von Gruppenhaftigkeit zu erzeugen: Zum Ersten wird durch die einheitliche Bekleidung und die Gesichtsausdrücke der Personen eine Uniformität ohne Uniform hergestellt. Die Individualität spiegelt sich eher in Details und Varianten der Kleidung, etwa der Entscheidung für oder gegen eine Krawatte, wider als in wesentlichen Unterschieden. Die Beschränkung auf Grauwerte in der Darstellung vereinheitlicht das Bild weiter.

      Zum Zweiten wird durch die nachträglich vereinheitlichte Körpergröße, die Nähe und Verschränkung der Körper zueinander und die mittels geringer Schärfentiefe zurückgenommene soziale Staffelung eine Gruppe der Gleichen geschaffen. Durch die Ausrichtung aller Personen nach vorn und die Reduktion der Abbildung auf die obere Körperhälfte verlieren die Personen zudem einen großen Teil an Geschlechtlichkeit und Körperlichkeit, was sie vor allem zu personalen Typen, zu Personen (also nicht konkreten Individuen) mit Herz und Kopf macht.

      Zum Dritten wird diese Gruppe durch die Nutzung eines im christlichen Abendland weit verbreiteten und sehr bekannten ikonographischen Topos in besonderer Weise gedeutet und überhöht. Denn mittels Bildsprache ruft die Art der Darstellung der dreizehn Personen Assoziationen an Leonardos Abendmahl hervor. Dieser Aufruf des Abendmahls des Leonardo macht jedoch auf eine Spezifik des Bildes der Beratergruppe aufmerksam, die bedeutsam ist: Dem Bild der Wiener Unternehmensberater fehlt das Zentrum. Die charismatische Gestalt befindet sich nicht in der Mitte. Auch nicht an einem anderen Platz. Niemand der dreizehn Menschen ragt sichtbar über die anderen hinaus oder ist herausragend markiert, z. B. durch einen Nimbus. Allein die Außenpositionen nehmen eine Sonderstellung ein, da sie die Gruppe (auch durch ihre nach außen geneigte Körperhaltung) einfassen und zusammenhalten. Sie eröffnen den Rahmen, in den sich die übrigen einfügen. Sie geben Stabilität und Zusammenhalt. Aber auch sie sind austauschbar.

      Doch nicht nur die Anklänge an das Abendmahl arbeiten mit der christlichen Ikonographie: Auch der Einsatz des Lichtes im Bildhintergrund entspringt religiöser Bildsprache. Das von oben kommende und nach unten abstrahlende helle Licht (besonders oft bei dem Motiv Johannes tauft Jesus eingesetzt) steht für die göttliche Eingebung von oben – zugespitzt: Der heilige Geist kommt über einen Menschen und erfüllt ihn (mit Einsicht). Die Quelle des strahlenden Lichtes liegt bei dem Bild der Beratergruppe oberhalb der Gruppe, also im Himmel. Diese himmlische Erleuchtung ist über die Gruppe (über das Unternehmen?) gekommen und hat den Erleuchteten mehr gegeben, als sie vorher hatten. Das empfangene Wissen ist nicht von dieser Welt, es transzendiert diese Welt und das bislang erworbene Wissen.

      Fasst man all diese Beobachtungen zusammen, dann fügt es sich zu einer Sinnfigur – nämlich der Inszenierung von Charisma. Jedoch geht es hier nicht um die Darstellung von Einzelcharisma, sondern um Gruppencharisma. Nicht der Einzelne ist vom Licht umgeben, auch ist nicht ein Einzelner ausgezeichnet worden: Alle kommen sie aus dem Licht.

      Sinnfigur: Abschied von der Rationalität oder Ergänzung?

      Nicht nur auf den ersten Blick verblüfft es, wenn eine Beratungsfirma, die ihr Geld damit verdienen will, dass sie andere Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel der Erhaltung oder Steigerung wirtschaftlicher Rationalität berät, ihre Mitarbeiter in der öffentlich zugänglichen Unternehmensvorstellung als Erleuchtete inszeniert. Das scheint ein Widerspruch in sich selbst zu sein, da die Logik der Erleuchtung, des Charismas auf Hingabe, Intuition und Nichtberechenbarkeit setzt, während die Logik wirtschaftlicher Rationalität der Macht, dem Kalkül und der Vorhersehbarkeit verpflichtet ist. Einer solchen Firma die Geschicke des eigenen Unternehmens anzuvertrauen (zumindest auf dem Papier), wäre dann vergleichbar mit dem Versuch, bei der Lösung eines mathematischen Problems ein Stoßgebet gen Himmel zu schicken. Schaden kann es nicht, aber kann es auch nützen? Die Diagnose eines solchen Falles wäre knapp und bündig: ein großer Abschied von der Rationalität des Wirtschaftens oder der Sieg postmoderner Beliebigkeit auf dem Feld des Wirtschaftens, ein Abschied vom Projekt der Moderne mithin.

      Nun könnte man einwenden, eine solche Strategie sei ein eklatanter Fehler – entweder ein handwerklicher Fehler der Agentur, die für die Konzeption der Homepage verantwortlich war, oder ein strategischer Fehler der Neuwaldegger, sich so stark in der Nähe des Himmels zu platzieren. Günstiger wäre es doch, so das Argument, sich zukünftigen Kunden entweder als Firma zu präsentieren, die bereits viele große Firmen erfolgreich (big success) beraten hat oder aber als Unternehmen, das bei seiner Arbeit auf die Kompetenz angesehener Wissenschaftler (big science) zurückgreifen kann. Auf eines dieser Verfahren greifen fast alle Unternehmensberaterfirmen zurück, weil sie in besonderer Weise das Legitimitätsproblem (Wer oder was legitimiert die Unternehmensberater eigentlich?) zu lösen vorgeben.

      Das erste Verfahren (»Unser Erfolg spricht für sich selbst.«) versucht im Kern, das Legitimitätsproblem zu umgehen, da die eigene Kompetenz nicht über einen besonders hohen Stand wirtschaftlichen Wissens (Diplome etc.) nachgewiesen wird, sondern im Gegenteil: Die Quelle des Erfolgs wird verdunkelt, was allein zählen soll, ist der Erfolg: Denn wer erfolgreich ist, hat auch Recht. Das zweite Verfahren begibt sich unter den Baldachin der Wissenschaft. Hier wird reklamiert, dass die besten lebenden Köpfe oder einige der zweitbesten oder zumindest deren Wissen, dass also das ganze System der Wissenschaft bei der Beratung zum Einsatz kam, somit mit dem Segen des Systems ausgestattet ist, das als der Hort allen irdischen Wissens gilt.

      Beide Verfahren legitimieren somit irdisch und menschlich. Denn der Erfolg ist von dieser Welt und er ist von normalen Menschen erarbeitet: Einmal verdankt er sich einer pragmatischen und praxiserprobten Verpflichtung auf den Erfolg, im zweiten Fall der konsequenten Anwendung systematischen und explizierbaren Wissens.

      Schaut man sich nun die gesamte Homepage der Neuwaldegger an (und verlässt damit die eigentliche Bildanalyse), dann kann man leicht feststellen, dass sie wie andere Beraterfirmen auch ebenfalls auf diese beiden Verfahren der Eigenlegitimation zurückgreifen: Buchpublikationen sowohl der Beratergruppe als auch einzelner Mitglieder werden ausführlich dargestellt, die wissenschaftlichen Titel einiger Mitarbeiter tauchen in ihrer Individualbeschreibung ebenfalls auf. Auf frühere Beratungserfolge wird hingewiesen – quasi objektiviert durch wörtliche Zitate von (natürlich zufriedenen) Kunden. Beratungserfolge werden somit genannt, wenn auch ohne Trommelwirbel, wissenschaftliche Ausbildungen und wissenschaftliche Publikationen der Berater ebenfalls. Man ist in der Praxis erfolgreich und zugleich in der wissenschaftlichen Forschung tätig. All das steht geschrieben und findet sich im Inneren der Homepage. Es ist wichtig und deshalb erwähnenswert – aber es steht hinten im normalen Text – wie alles Selbstverständliche. Auf der Vorderseite wird aber das Nichtselbstverständliche, das Besondere gezeigt: Erleuchtung nämlich. Das hat man mehr, das unterscheidet einen von den anderen.

      Allerdings ist diese Erleuchtung klein gehalten, sie bleibt noch im Rahmen: Die Berater sind weder als kreative Freaks noch als vergeistigte Gurus inszeniert, sondern sie weisen alle die Zeichen und Symbole wirtschaftlichen Erfolgs auf. Sie haben nicht mit der Logik des Wirtschaftens gebrochen, sondern sich beim erfolgreichen Wirtschaften der Logik der Erleuchtung erfolgreich bedient. Wirtschaftliche Rationalität ist also nicht verabschiedet,