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Qualitative Medienforschung


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der Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie der Mediensoziologie (siehe z.B. Couldry 2004; Eichner 2014; Evans 2011; van Dijck 2009). Die Ansätze konzeptualisieren Medienhandeln in Anlehnung an soziologische und praxeologische Handlungstheorien und tragen so zur Präzisierung des Rezeptionsaktivitätskonzepts (»audience activities«) bei. Couldry spricht in diesem Zusammenhang von media practices und betont damit die Rolle, die mediale Praktiken in einem hierarchischen Geflecht aus sozialen Alltagspraxen einnehmen – »the media practices’ role in the ordering of social life« (Couldry 2004, S. 128). Abweichend davon lässt sich Medienhandeln als umfassender Prozess begreifen, als Doing Media, der den vielschichtigen, der Rezeption vor- und nachgelagerten Aktivitäten sowie der zunehmenden multiplen und teils gleichzeitigen Mediennutzung Rechnung trägt. Eine weitere Richtung, durch die sowohl die Terminologie der Agency selbst als auch deren soziologische Wurzeln Beachtung finden, ist die Technoscience mit Ansätzen wie die der Actor-Network-Theory (Latour 2007), dem Konzept der Distributed Agency (vgl. Rammert/Schulz-Schaeffer 2002) oder dem Ansatz der Akteursfiktion (Werle 2002). Diese Ansätze beschäftigen sich mit unterschiedlichen Resultaten zu der Frage, wie und ob Technologien und Objekte in verschiedenen kommunikativen Settings zu Agenten, ausgestattet mit Agency, werden können.

      Agency, Textualität und Affordance

      Filmische Informationsverarbeitung und Agency

      Um die »Blackbox« der Agency aufzubrechen und Handlung und Agency auch als erfahrbaren Moment beschreiben zu können, müssen die konkreteren Prozesse der Medienrezeption betrachtet werden. Einen fruchtbaren Ansatz für die Mikroprozesse der Rezeption liefert die Schema- und Skript-Theorie, die sich mit kognitiven Wahrnehmungsprozessen beschäftigt (siehe z.B. Fiske/Taylor 1984). Diesem Ansatz folgend ist Wahrnehmung schemageleitete Informationsverarbeitung, während derer Stimuli zu Wissenskategorien gebündelt werden. Mit dem Ansatz lässt sich erklären, wie Menschen in der Lage sind, aus der Fülle auf sie einstürmender Informationen durch Informationsreduktion Sinn zu generieren. Die Informationsverarbeitung geschieht dabei zugleich in Bottom-up-Prozessen – der Herausbildung neuer Schemata – und Top-down-Prozessen – der konzeptgeleiteten Einordnung in bereits existierende Schemata. In den Kommunikationswissenschaften – insbesondere in Verbindung mit Framing-Ansätzen – wurde das Modell vielfach herangezogen und weiterentwickelt, aber auch aufgrund seines inhärenten Reduktionismus kritisiert (vgl. dazu zusammenfassend Müller 2016, S. 68).

      In der kognitiven Filmtheorie wurde die Schema- und Skript-Theorie ausführlich bei Bordwell (1989) für die Rezeption von Filmen operationalisiert. So bilden die ästhetischen, narrativen und dramaturgischen Gestaltungsmittel filmische Cues (Hinweise), auf deren Grundlage die Zuschauerinnen und Zuschauer Hypothesen bilden, die sich im weiteren Verlauf der Rezeption bestätigen oder auf Grundlage neuer Informationen verworfen und neu angepasst werden. Medienkommunikation stellt dabei in der Regel keine gänzlich neue Situation dar, sondern beruht auf früheren Seh- sowie auf lebensweltlichen Erfahrungen, die sich bereits zu Schemata verfestigt haben (ebd., S. 144 ff.). Je konventionalisierter ein Hinweis ist, desto leichter lassen sich die entsprechenden Schemata aufrufen. Das Prinzip der Schemata ist insofern basal, als dass es nicht nur erklärt, wie man die Komplexität eines medialen Stimulus reduziert, sondern die Welt an sich, um überhaupt interpretations- und handlungsfähig zu bleiben. Schemata sind somit verkörperlichte Prototypen, die typische Situationen speichern. Medienprodukte können aber auch neue Ereignisse einführen oder »Leerstellen« enthalten (Iser 1994, S. 236). Leerstellen sind unklare Hinweise oder Auslassungen, die potenziell offen sind für unterschiedliche Interpretationen. Genresignale, Cues und Leerstellen bilden so eine Appellstruktur, welche die Rezipienten adressiert, zur Kommunikation auffordert und so ein Aktionsangebot darstellt. Ein Verständnis von der jeweiligen Textualität – sei es eine narrative, spielerische oder informierende Organisationsform – ist damit die Voraussetzung, um den kommunikativen Prozess zwischen Rezipientinnen und Medientexten zu erfassen.

      Neben einem grundsätzlichen Verständnis der Interpretationsleistung oder der interpretativen Agency (Couldry 2013, S. 14), wie es insbesondere die Cultural Studies unter Rückgriff auf die Semiotik hervorgehoben haben, sind für das Medienerleben die oben dargestellten Mikroprozesse bedeutsam. Denn Handlung und Handlungsbefähigung beruhen nicht zuletzt auf Denken, Verstehen und Kommunizieren. Hypothesenbildung und deren Abgleich mit der medialen Darstellung im narrativen Film – aber auch bei alltäglichen Ereignissen – sind also Prozesse, die handlungsbefähigende Elemente beinhalten können. Es hängt jedoch von der konkreten Struktur des Medientextes ab, inwieweit er das Spiel mit der Hypothesenbildung als strukturierendes Element derart in den Vordergrund stellt, dass es bewusst erlebbar wird. Erst dann wird Agency zur erfahrbaren Form des Medienerlebens. Ein klassisches Beispiel hierfür ist der Suspense-Film, in dem mit der Informationskontrolle und Zuschauerwissen gespielt wird (Ohler/ Nieding 2001, S. 134). Wuss bezeichnet dies als passive Kontrolle (»passive control«: Wuss 2009, S. 165), eine Konstellation, in der die Zuschauer zwar einen dargestellten Konflikt nicht wirklich ändern oder lösen können, aber eine Form der Kontrolle erlangen, die auf Prognosen, Vorausschau und Antizipation beruht.

      Partizipatorische Strukturen im Fernsehen

      Medienhandeln beinhaltet also verschiedene Formen des Wirksamwerdens. Interpretative Aktivitäten gehören ebenso dazu wie kognitiv-informationsverarbeitende Aktivitäten. Im Alltagsgebrauch wird Handeln jedoch hauptsächlich mit physischen, verkörperlichten Aktivitäten gleichgesetzt. Interaktivität, mit der haptischen Bedienung von Steuerungselementen gleichgesetzt, gilt deswegen im allgemeinen Verständnis als aktive, als kognitiv-interpretierende oder kommunizierende Handlungen. So wird beispielsweise das lineare Fernsehen oftmals als nicht interaktives Medium ohne Feedbackstruktur dargestellt. Aus handlungstheoretischer Perspektive ist diese Argumentation jedoch nicht haltbar, denn die Rezipientinnen müssen im oben erläuterten Sinn auf vielfältige Weise aktiv werden, um sich eine Fernsehsendung zu erschließen. Doch weist die überkommene Aktiv-Passiv-Dichotomie auf einen durchaus relevanten Punkt hin: Haptische Aktivitäten ergänzen auch hier die vielfältigen kognitiven (und emotionalen) Aktivitäten. Bereits seit seinen Anfängen experimentierte das Fernsehen mit verschiedenen Formen der interaktiven Publikumseinbindung. In Westdeutschland wurde 1964 mit Der goldene Schuss das erste interaktive Fernsehprogramm vorgestellt, bei dem die Zuschauer anrufen konnten und per Zuruf eine auf einer Kamera befestigte Armbrust steuerten. Mit Einführung der TED-Technologie (1979) übernahmen zahlreiche TV-Shows das Prinzip der Zuschauerpartizipation in die Struktur ihrer Sendung. Eines der erfolgreichsten Showformate der letzten Jahre, Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! (RTL, seit 2004), bindet die Zuschauerinnen und Zuschauer mittels permanenter Ansprache durch das Moderatorenteam als strukturellen Bestandteil des TV-Textes ein und ermöglicht ihnen zugleich, über zahlreiche mediale Kanäle wie Twitter oder Facebook auf verschiedene Weise zu partizipieren (vgl. Eichner 2014, S. 201 ff.). Auch narrative TV-Formate bemühen sich mitunter um mehr Zuschauerpartizipation, so beispielsweise der Tatort Plus (2012, 2013 und 2014), in dem das Publikum selbst in ein Begleitspiel eingebunden online ermitteln konnte, oder die transmediale ARTE-Produktion About Kate (2013), in der die Zuschauer die Möglichkeit hatten, über soziale Medien mit der fiktiven Figur Kontakt aufzunehmen.

      Das Fernsehen lässt sein Publikum also auf verschiedenen Ebenen eingreifen – beispielsweise durch Televoting, die Einbindung von sozialen Medien oder auch durch Mitspielen auf der Website. Konvergierende, computerbasierte Technologien und Infrastrukturen ermöglichen direkte Rückkopplungskanäle, welche die traditionelle Einteilung in lineare, nicht interaktive Medien wie Film und Fernsehen auf der einen Seite und nicht lineare, interaktive Medien wie Videospiele und Internet auf der anderen Seite auflösen. Schließlich stellt sich in Zeiten konvergierender Medien die grundsätzliche Frage nach einem neuen Verständnis von Medienkommunikation, das nicht mehr vom Medium oder vom Medientext aus denkt, sondern die sozial eingebetteten Medienaktivitäten der Nutzerinnen und Nutzer, die Doing Media, als Ausgangspunkt nimmt (vgl. ebd., S. 100).

      Handeln im Computerspiel

      Das Medium, in dem die haptischen Aktivitäten programmatisch in den Vordergrund treten, ist das Computerspiel. Die Agency oder Selbstwirksamkeit der Spielenden, die das Spiel auf verschiedenste Weise beeinflussen und dessen