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Fälle zum Sozialrecht


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Demokratieprinzip prinzipiell immer auf den Volkswillen zurückführen lassen muss (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG). Anders als beim Bundestag, der den prinzipiellen Rechtsanspruch nach § 31 Abs. 1 SGB V erlassen hat, lässt sich beim G-BA eine solche ununterbrochene Legitimationskette weder zum deutschen Volk an sich noch zur Gemeinschaft der Versicherten als der hier einschlägigen Teilmenge des Volkes ziehen. Andererseits hat der Gesetzgeber selbst in § 34 Abs. 1 S. 2 SGB V den G-BA zur Richtlinienschaffung ermächtigt. Folgerichtig fordert die Rechtsprechung[20] im hier einschlägigen Bereich der funktionellen Selbstverwaltung22 aufgrund des Demokratieprinzips auch nicht, dass eine lückenlose personelle Legitimationskette vom Volk vorliegt. Hinreichend ist, dass die Aufgaben und Handlungsbefugnisse der ermächtigten Organe gesetzlich ausreichend vorherbestimmt sind und ihre Wahrnehmung der Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegt.23

      Eine ausreichende vorherige Bestimmung der Aufgaben und Handlungsbefugnisse ist anzunehmen, wenn die vorgeschriebene Handlungsform gesetzlich präzise ausgeformt ist und rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Das erfordert, dass erstens das Verfahren zum Erlass der Richtlinien transparent, zweitens ihre Publizität gesichert und drittens die Reichweite der Bindungswirkung gegenüber den Systembeteiligten gesetzlich festgelegt ist.24 Als erstes setzt Verfahrenstransparenz voraus, dass der Weg zum Erlass der Richtlinie klar ist. Dieses Verfahren der Richtliniengebung ist hier durch Gesetz geregelt. Insbesondere ist vorgesehen, dass vor dem Richtlinienerlass sowohl Sachverständige als auch die Vereinigungen mit wirtschaftlichem Interesse an der Entscheidung (wie pharmazeutische Unternehmer und Apotheker sowie die Vertreter der besonderen Therapierichtungen) eine Stellungnahme abgeben können, die in die Entscheidung einzubeziehen ist (§ 92 Abs. 3a SGB V). Damit besteht über das Verfahren zum Richtlinienerlass Transparenz. Zum zweiten verlangt Publizität, dass eine beschlossene Richtlinie jederzeit einsehbar ist. Hier wird die beschlossene Richtlinie im Bundesanzeiger und im Internet veröffentlicht. Von Publizität kann also ausgegangen werden. Drittens bestimmt § 91 Abs. 6 SGB V, dass die Beschlüsse des G-BA für die Krankenkassen, Versicherten und Leistungserbringer verbindlich sind. Mithin ist für die Arzneimittel-RL die Reichweite der Bindungswirkung im Hinblick auf die maßgeblichen am System Beteiligten durch Gesetz festgelegt. Folglich ist die Befugnis des G-BA zur Regelung gesetzlich präzise und rechtsstaatsgemäß ausgeformt.

      Außerdem müsste die Richtliniengebung des G-BA der Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegen. Die[21] vom G-BA beschlossenen Richtlinien müssen dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegt werden. Dieses kann sie innerhalb von zwei Monaten beanstanden (§§ 91 Abs. 8, 94 Abs. 1 SGB V). Der Bundesgesundheitsminister besitzt eine ununterbrochene Legitimation durch das Wahlvolk (s. Art. 64 Abs. 1 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 GG). Infolgedessen liegt hier präventive aufsichtsrechtliche Kontrolle durch einen personell demokratisch legitimierten Amtswalter (Bundesgesundheitsminister) vor.25

      Folglich ist der G-BA hinreichend demokratisch legitimiert und seine Richtliniengebung verstößt auch nicht gegen das Demokratieprinzip.

      bb) Verstoß des Leistungsausschlusses gegen Grundrechte

      Der Leistungsausschluss könnte das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip verletzen.

      Eine solche Verletzung läge vor, wenn der Gesetzgeber in unverhältnismäßiger Weise Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen und somit dem Bereich der Eigenvorsorge zugewiesen hätte. Dies ist anerkanntermaßen der Fall, wenn Versicherte an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung bzw. an einer zumindest wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung leiden, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Entwicklung des Krankheitsverlaufs besteht (vgl. auch § 2 Abs. 1a SGB V).26 Eine Krankheit ist in diesem Sinne lebensbedrohlich bzw. wertungsmäßig damit vergleichbar, wenn nach den konkreten Umständen des Falls droht, dass sich der negative Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklicht.27 Vorliegend hat E die Operation und die Chemotherapie erfolgreich absolviert. Sie hat ihre Arbeit wieder in Vollzeit aufgenommen. Metastasen sollen zwar durch die adjuvante Therapie verhindert werden, sind derzeit aber nicht ersichtlich. Somit fehlt es an einer lebensbedrohlichen[22] oder wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung i.S.d. oben dargestellten Ausnahmeregelung.28

      Folglich hat der Gesetzgeber hier nicht in unverhältnismäßiger Weise das Mistelpräparat vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen und dem Bereich der Eigenvorsorge zugewiesen. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip sind mithin nicht verletzt.

      IV. Ergebnis

      Nach alledem ist das Mistelpräparat in rechtmäßiger Weise vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen (§ 34 Abs. 1 SGB V). Die besonderen Voraussetzungen der Leistung des Arzneimittels sind nicht gegeben. E hat damit keinen Anspruch auf Leistung des Mistelpräparats gegen ihre Krankenkasse. Diese hat die Leistung zu Recht abgelehnt, so dass E keinen Anspruch auf Kostenerstattung wegen einer zu Unrecht abgelehnten Leistung nach § 13 Abs. 3 SGB V hat. Auch zukünftig muss die Krankenkasse das ausgeschlossene Arzneimittel somit nicht erbringen.

      Literaturhinweise

      – BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R, das „Vorbild“ für den Fall

      1 Metastasen sind Absiedlungen des Tumors in weiter entferntem Gewebe (sog. Töchtergeschwulste).

      2 OTC kommt von „over the counter“, also gleichsam ein „über den Apothekentresen-Arzneimittel“.

      3 Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Er besteht aus Vertretern der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen. Seine hohe praktische Bedeutung folgt daraus, dass die Leistungsansprüche im SGB V nur als sog. Rahmenrecht im Gesetz konstruiert sind (vgl. dazu vertiefend Palsherm, Sozialrecht, 2. Aufl. (2015), Rz. 181). Bevor ein versicherter Mensch eine konkrete Leistung erhalten kann, muss dieses Rahmenrecht erst noch durch eine Entscheidung seines be handelnden Vertragsarztes konkretisiert werden, der seinerseits durch verbindliche Richtlinien des G-BA (s. § 91 Abs. 6 SGB V) determiniert ist. Diese Richtlinien über eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten legen den Leistungskatalog der Krankenversicherung fest (§ 92 Abs. 1 S. 1 SGB V). Letztlich entscheidet der G-BA damit, welche Leistungen von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt werden.

      4 Eine palliative Therapie zielt nicht mehr auf die Heilung, sondern nur noch auf die Linderung der Symptome ab.

      5 Das Wort „akzessorisch“ ist ein Fachbegriff aus der Rechtssprache dafür, dass ein Recht von einem anderen, übergeordneten Recht abhängig ist.

      6 Vgl. Janda, Medizinrecht, 3. Aufl. (2016), S. 79.

      7 Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG 15.12.2015 – B 1 KR 30/15 R – Rn. 9. Die gesetzliche Krankenkasse erbringt ihre Leistungen prinzipiell nach dem sog. Naturalleistungsprinzip, d.h. die Krankenbehandlung wird als Sach- und Dienstleistung erbracht. Dabei wird die Krankenkasse aber nicht selbst tätig, sondern bedient sich der sog. Leistungserbringer. Dies sind z.B. die zur Behandlung von gesetzlich Krankenversicherten zugelassenen Vertragsärzte (früher deshalb Kassenärzte genannt). Der große praktische Vorteil des Naturalleistungsprinzips ist es, dass die Versicherten die Leistung erhalten, ohne dafür unmittelbar selbst bezahlen zu müssen. Dies ist bei einem Kostenerstattungsprinzip, wie es beispielsweise kennzeichnend für die private Krankenversicherung ist, anders. Auch wenn in der Gesundheitsökonomie das Naturalleistungsprinzip zuweilen mit dem Argument kritisiert wird, dass die fehlende Kostentransparenz zu unnötiger Leistungsinanspruchnahme durch Versicherte führe, verdient der Naturalleistungsgrundsatz aus sozialen Erwägungen unbedingte Zustimmung. Denn gerade für sozial schwache Menschen wäre zu befürchten, dass eine Verpflichtung zur Vorabbezahlung vom notwendigen Arztbesuch abhalten würde. Freilich bedarf es ersatzweise einer Kostenerstattung,