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Handbuch Jüdische Studien


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rigide der Raum umrissen ist), verkörpert ein solches Sein nach jüdischer Vorstellung eine „Nicht-Entität“, da ein Sein ohne Bewegung bzw. ohne Handeln nicht existieren kann. So galt der Tempel den Griechen in der Antike als Objekt der Sakralität, wohingegen das Gebetshaus der Juden vor allem als Ort des Zusammentreffens dient, an dem etwas passiert: Die Synagoge („Versammlung“, „Gemeinschaft“, auch hier ein griechisches Wort!) wird auf Hebräisch beit knesset („Haus der Zusammenkunft“, auf Jiddisch schil oder schul, abgeleitet von Schule) genannt.38 Ein Raum wird nicht durch die ihm immanenten Eigenschaften jüdisch, sondern durch das Anbringen einer mesusa am Türpfosten, die signalisiert bzw. daran erinnert, dass dort die jüdischen Gesetze eingehalten werden. In Lévinas’ Worten: „Für das Judentum wird die Welt durch ein menschliches Antlitz intelligibel und nicht, wie für einen großen zeitgenössischen Philosophen, der einen wichtigen Aspekt des Abendlands resümiert, durch Häuser, Tempel und Brücken.“39 Tun statt Sein, Text statt Raum.

      Unter den Zehn Geboten steht eines für die Sakralisierung der Zeit (das 4. Gebot „Du sollst den Schabbat heiligen“), doch keines ist einem Land gewidmet. Auch im Talmud bezieht sich ein wichtiges Traktat auf den Schabbat, nicht aber auf das Land Israel. Das Judentum lebt und währt schon immer in der Zeit. Abraham Joshua Heschel prägte einst die schöne Formel: „Die schabatot sind unsere großen Kathedralen.“40

      Anders als in den europäischen Sprachen tragen die Wochentage auf Hebräisch keinen Eigennamen – mit Ausnahme des Schabbat. Den Narrativen der Tora folgend (1. Buch Mose, bereschit bzw. Genesis genannt, das mit der Entstehung der Welt beginnt) werden die Tage einfach gezählt: erster Tag, zweiter Tag, dritter Tag – bis schließlich auf den sechsten Tag der Schabbat folgt. Die Tradition sieht darin eine sich stets wiederholende „Reise“ in der Zeit. Jede Woche wird neu gezählt. Wer immer die Macht im territorialen Sinne ausübt und wie zerstreut das jüdische Volk auch sein mag: In der Schrift und am Schabbat sind alle Juden vereint. Zu Hause. Für einen Moment.

      Schabbat. Ankommen, jedes Mal neu.

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      1Yerushalmi, Yosef Hayim: Exil und Vertreibung in der jüdischen Geschichte, in: ders.: Ein Feld in Anatot. Versuche über jüdische Geschichte, Berlin 1993, S. 21–38.

      2Dies wurde 1948 mit der Gründung des Staates Israel in gewisser Weise „aufgehoben“. Viele orthodoxe Juden sprachen sich aufgrund dessen gegen den Zionismus aus. Zu den Schwierigkeiten, eine jüdische Diaspora-Kultur in die hegemoniale Konzeption eines Nationalstaates einzupassen, siehe Boyarin, Daniel; Boyarin, Jonathan: Diaspora: Generation and the Ground of Jewish Identity, in: Critical Inquiry 19 (2002), S. 693–725.

      3Boyarin, Daniel: A Travelling Homeland: The Babylonian Talmud as Diaspora, Philadelphia 2015.

      4Dufoix, Stéphane: Les diasporas. Une histoire de usages du mot diaspora, Paris 2011. Hier sind alle Erwähnungen des Wortes Diaspora in der Bibel, auch im Neuen Testament, belegt. Siehe vor allem S. 78 ff.

      5Vgl. Cohen, Robin: Global Diasporas: An Introduction, New York 2008.

      6Mayer, Ruth: Diaspora. Eine kritische Begriffsbestimmung, Bielefeld 2005, S. 21.

      7Dufoix: Les diasporas, Kap. I. Kritische Bemerkungen bei Baumann, Martin: Diaspora: Genealogies of Semantics and Transcultural Comparison, in: Numen 47 (2000), S. 313–337.

      8Dufoix: Les diasporas, S. 60 ff.

      9Siehe 5. Buch Mose 28,25.

      10Schoshan, Eben: Ha’milon ha’chadash, Jerusalem 1961, S. 175 [Übersetzung LRF].

      11Ebd., S. 1723.

      12Erst nach der Beschneidung (und dem Bund mit Gott) wird der Buchstabe „he“ in Abrams Namen eingeschrieben, wodurch er zu Abraham wird (1. Buch Mose 17,5).

      13Zitiert aus dem 1. Buch Mose 12,1; in der Übersetzung von Moses Mendelssohn.

      14Zitiert aus dem 3. Buch Mose 25,23; in der Übersetzung von Moses Mendelssohn.

      15Yerushalmi: Exil und Vertreibung.

      16Ebd., S. 23.

      17Dubnow, Simon: Diaspora, in: Seligman, Edwin R. A.; Johnson, Alvin (Hg.): Encyclopaedia of the Social Sciences, Bd. 5, New York 1931, S. 129–130.

      18Ebd., S. 127.

      19Siehe dazu Mayer: Diaspora.

      20Yerushalmi: Exil und Vertreibung, S. 26.

      21Siehe Attias, Jean-Christophe; Benbassa, Esther: Israel, la tierra y lo sagrado, Barcelona 2001, S. 100.

      22Gerchunoff, Alberto: Jüdische Gauchos, Berlin 2010, S. 8.

      23Siehe Boyarin: A Travelling Homeland.

      24Dubnow: Diaspora, S. 127.

      25Siehe: Yerushalmi, Yosef Hayim: Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis, Berlin 1988 (EA Seattle 1982).

      26Siehe Haddad, Gérard: L’enfant illégitime. Sources talmudiques de la psychoanalyse, Paris 1990, Kap. 1. Das Zitat aus Freuds Brief ist ebenfalls diesem Buch entnommen.

      27Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, Bd. 4, München 1995, S. 4.

      28Ebd., S. 483.

      29Lévinas, Emmanuel: Eigennamen, München; Wien 1988, S. 106.

      30Heinrich Heine an Eduard Gans, 26. Mai 1826.

      31Jabès, Edmond: Ein Fremder mit einem kleinen Buch unterm Arm, München; Wien 1993, S. 105.

      32Steiner, George: Unser Heimatland: der Text, in: ders.: Der Garten des Archimedes, München; Wien 1996, S. 253.

      33Ebd., S. 251.

      34Lévinas, Emmanuel: Difficile Liberté: Essais sur le judaïsme, Paris 21983, S. 183 (Übersetzung LRF).

      35Siehe dazu Weber, Elisabeth: Schwarze Tränen, Tintenspur, in: Wetzel, Michael; Jean-Michel Rabaté; Agamben, Giorgio (Hg.): Ethik der Gabe. Denken nach Jacques Derrida, Berlin 1993, S. 39–56.

      36Blatt, Roberto zitiert in Sperling, Diana: Genealogía del odio, Buenos Aires 1995, S. 119.

      37Derrida, Jacques: La Hospitalidad, Buenos Aires 2000, S. 91.

      38Siehe Zevi, Bruno: Arquitetura e judaismo: Mendelssohn, Sao Paulo 2002.

      39Lévinas, Emmanuel: Schwierige Freiheit. Versuch über das Judentum, Frankfurt/Main 1992, S. 36.

      40Heschel, Abraham Joshua: Der Sabbat. Seine Bedeutung für den heutigen Menschen, Neukirchen-Vluyn 1990.

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