Dagmar Fenner

Selbstoptimierung und Enhancement


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aufweisen und deren Erfüllung auch subjektiv erfahren werden kann. Genauso wichtig ist die Einschränkung auf informierteWünscheinformierte/uninformierte oder aufgeklärte Wünsche, weil sich die Erfüllung unaufgeklärter und irrationaler Wünsche nachteilig auf das gute Leben auswirken würde. Unaufgeklärt und irrational sind Wünsche, die auf falschen Annahmen über die Wirklichkeit Glückoder logisch fehlerhaften Schlüssen basieren. So könnte jemand sich aufgrund völlig unrealistischer Idealvorstellungen eine Schönheitsoperation wünschen und sich über die tatsächlichen Möglichkeiten, Gefahren und Risiken täuschen (Kap. 3.1). NeurotischWünscheneurotische und damit gleichfalls irrational wären Wünsche, die einer krankhaften psychischen Verfassung entspringen und deswegen im Fall einer Erfüllung zu keiner Befriedigung führen. Entwickelt jemand beispielsweise den Wunsch nach einer Schönheitsoperation aus übertriebener Selbstunsicherheit oder infolge einer krankhaft verzerrten Körperwahrnehmung, wird er durch die Operation keineswegs glücklicher (vgl. ebd.). Inadäquat oder irrational kann ein Wunsch aber nicht nur aufgrund falscher Annahmen über die Wirklichkeit sein, sondern auch wegen falscher Werturteile über die gewünschten Objekte oder Zustände (vgl. Fenner 2008, 6ff.). Man denke an RawlsRawls, John Beispiel eines berühmten Harvard-Mathematikers, der seine Forschung aufgibt und stattdessen alle Grashalme auf dem Campus der Universität zählen will (vgl. RawlsRawls, John, 471). Da sich persönliche Wertvorstellungen von Anfang an in einem soziokulturellen Kontext entwickeln, ist die Gemeinschaft wesentlich mitverantwortlich dafür, was die Menschen wünschen und wie positiv sie die Wunscherfüllung erleben. Wenn Wunschtheorien jedoch Zusatzkriterien für die Auswahl der Wünsche angeben wie z.B. die Reichhaltigkeit der zu erwartenden „Erfüllung“, scheinen sie in die Nähe von objektivistischen oder hedonistischen Theorien zu rücken (vgl. GriffinGriffin, James, 34/SteinfathSteinfath, Holmer 2013, 176).

      3) Gütertheorien oder Objektive-Listen-Theorien

      Konservative Gegner der Selbstoptimierung verweisen häufig auf den Schwachpunkt liberaler subjektivistischer Positionen, dass sich Menschen in ihren Wünschen und Gefühlen täuschen können. Statt das GlückGlück oder gute Leben von subjektiven Einstellungen der Individuen abhängig zu machen, seien vielmehr objektive subjektunabhängige Bewertungsmaßstäbe erforderlich. Gemäß den Gütertheorien oder GlückstheorienGütertheorie/Objektive-Liste-TheorieObjektive-Listen-Theorien gibt es bestimmte Güter, also Voraussetzungen, Rahmenbedingungen oder Strebensziele, die im Leben aller Menschen wichtig und „intrinsisch gut“, d.h. in sich wertvoll sind und über das Gutsein eines Lebens entscheiden. Sollen sie eine systematische Alternative zu subjektivistischen Theorien bieten, müsste es sich dann vom Außenstandpunkt und völlig unabhängig von subjektiven Einstellungen wie Wünschen oder empfundener Freude feststellen lassen, ob ein Leben gut oder glücklich ist. Viele objektivistische Ansätze etwa von Martha NussbaumNussbaum, Martha, Philippa FootFoot, Philippa oder Richard KrautKraut, Richard sind insofern neoaristotelisch und essentialistisch, als sie das Glück und gute Leben wie AristotelesAristoteles an eine „menschliche NaturNaturmenschliche“ bzw. typische menschliche Eigenschaften oder Fähigkeiten knüpfen. NussbaumNussbaum, Martha hat zwei Listen mit wesentlichen menschlichen Grundfähigkeiten und -tätigkeiten zusammengestellt, die entweder ein Leben überhaupt erst zu einem menschlichen oder darüber hinaus zu einem guten menschlichen Leben machen: Zu einem guten menschlichen Leben gehören die Fähigkeiten, 1. ein Leben von „normaler Länge“ zu leben und nicht vorzeitig zu sterben; 2. sich guter Gesundheit zu erfreuen und seine Grundbedürfnisse zu stillen; 3. unnötige Schmerzen zu vermeiden und Freude zu erleben; 4. seine Sinne, seine Phantasie und seine Denkvermögen zu gebrauchen; 5. tiefe Verbindungen zu Menschen einzugehen; 6. eine Vorstellung vom guten Leben und einen Lebensplan zu entwickeln; 7. sich am gesellschaftlichen und politischen Leben zu beteiligen; 8. in Verbundenheit mit der Natur zu leben; 9. zu lachen, zu spielen und sich erholen zu können; 10. sein eigenes Leben selbstbestimmt zu leben (vgl. NussbaumNussbaum, Martha, 200f.). In Analogie zum „Gedeihen“ („flourishing“) von Pflanzen und Tieren postulieren auch FootFoot, Philippa und KrautKraut, Richard, ein gutes menschliches Leben oder Wohlergehen bestehe im Entwickeln und Entfalten artspezifischer menschlicher Fähigkeiten und Kompetenzen (vgl. FootFoot, Philippa, 65ff./KrautKraut, Richard, 135ff.). Die aufgeführten physischen, affektiven, sozialen, kognitiven und sexuellen Bedingungen der artspezifischen Lebensform bleiben sehr allgemein und anspruchslos, können allerdings durch Kunst, Wissenschaft und Kultur verfeinert werden (vgl. KrautKraut, Richard, 148–180). So werden ganz basale kognitive Fähigkeiten wie das Erlernen einer Sprache, Erinnerungs- und Wiedererkennungsvermögen benannt und in affektiver Hinsicht gehörten sowohl positive als auch negative Gefühle zum menschlichen Leben, wobei aber grundsätzlich nur situationsangemessene gut seien und die negativen nicht Überhand nehmen dürften (vgl. ebd., 164; 153–158).Glück

      Kritiker befürchten, dass objektivistische Ansätze einen Paternalismus und antiliberale politische Praktiken befördern (vgl. BayertzBayertz, Kurt u.a., 18). Auch ist es höchst unplausibel und kontraintuitiv, ein gutes oder gar glückliches Leben ganz unabhängig von reflexiven Selbstbewertungen oder subjektivem Wohlbefinden an das pure Vorhandensein der aufgelisteten Güter zu koppeln. Dies stünde im Widerspruch zur alltäglichen Erfahrung, dass Menschen aufgrund großer individueller Differenzen auf verschiedene Güter wie beispielsweise Autonomie, Sicherheit oder familiäre Geborgenheit unterschiedlichen Wert legen. Aus objektivistischer Sicht kann es jedoch an mangelnden kognitiven Fähigkeiten oder ungünstigen naturalen oder sozialen Gegebenheiten liegen, wenn jemand das für ihn objektiv Gute nicht erkennt (vgl. RunkelRunkel, Thomas, 106ff.). Im Gegensatz zu radikalen Gütertheorien GlückstheorienGütertheorie/Objektive-Liste-Theoriebeziehen zumindest gemäßigte Theorien auch die subjektive hedonistische Komponente menschlichen Glücks mit ein, die allerdings an bestimmte objektive Güter gebunden bleibt. Nach KrautKraut, Richard beispielsweise ist nicht schon der Besitz oder das Entfalten der artspezifischen Fähigkeiten intrinsisch gut, sondern erst die Freude an ihrem Gebrauch, und FootFoot, Philippa definiert Glück als „Freude am Guten“ (vgl. KrautKraut, Richard, 164/ FootFoot, Philippa, 129). Kritisch zu fragen ist aber, woher man überhaupt wissen kann, was für Menschen objektiv gut sein soll. Sobald es nicht mehr bloß um biologische Grundfunktionen geht, die sich wie bei Orchideen, Bienen oder Löwen unmittelbar aus der Natur ablesen lassen, ist die „menschliche Lebensform“ offenkundig äußerst komplex und variabel. Nach Ansicht der Objektivisten bildet die Bezugnahme auf die Idee des natürlichen Gedeihens allerdings lediglich einen generellen theoretischen Rahmen, und die sehr offenen und vorläufigen Listen müssen in verschiedenen Zeiten und Kulturen konkretisiert werden (vgl. NussbaumNussbaum, Martha, 189/KrautKraut, Richard, 146ff.). Je allgemeiner und konsensfähiger solche objektiven Listen gehalten sind, desto geringer sind die Gefahren eines naturalistischen Fehlschlusses oder Zirkelschlusses sowie paternalistischer Konsequenzen (Kap. 2.4). Objektivisten bedienen sich selten naturwissenschaftlicher Methoden zur Ermittlung der „Natur“ des Menschen oder einer statistischen Norm, sondern kombinieren Erfahrungen der Menschen mit kritisch-aufklärerischen normativen Reflexionen auf das historisch-kulturelle Selbstverständnis (vgl. NussbaumNussbaum, Martha, 189). Der scheinbar subjektunabhängige objektive Bezugspunkt der menschlichen Natur entpuppt sich damit letztlich als rationaler gesellschaftlicher Konsens, sodass es sich um eine rekonstruktive diskursive Begründungsmethode handelte. Mit Blick auf die aktuelle Selbstoptimierungs-Debatte bleibt aber meist offen, ob bei einer perfektionistischen Auslegung neoaristotelischer Ansätze das Ausüben arttypischer menschlicher Eigenschaften oder Fähigkeiten wie etwa Denkvermögen oder Empathie bereits ausreicht oder ob sie in besonderer Weise kultiviert oder perfektioniert werden müssen.GlückstheorienGütertheorie/Objektive-Liste-Theorie

      4) Hybridtheorie zwischen aufgeklärtem Subjektivismus und kriteriologischem Objektivismus

      Überzeugende Theorien des guten und glücklichen Lebens verbinden subjektivistische mit objektivistischen Elementen, d.h. sie berücksichtigen sowohl die subjektiven Einstellungen der Individuen als auch subjektunabhängige Lebensumstände, Güter und Kriterien (vgl. Köhne, 35f.). Im Unterschied zu den eindeutig „objektivistischenGlückstheoriensubjektivistische/objektivistische“ Objektive-Liste-Theorien lassen sich die hedonistische und Wunschtheorie in dem Sinn als „subjektivistisch“ bezeichnen, als sich ihnen zufolge das Glück oder gute Leben an den Empfindungen, Gefühlen, Wünschen oder Zielen der jeweiligen Subjekte