an, das sich unter der Leitung von Pignier 1821 zur Einführung der Punktschrift entschloss. In der praktischen Erprobung durch die blinden Schüler selbst, unter ihnen Louis Braille, der 1821 erst zwölf Jahre alt war, stießen diese aber auf eine Reihe von Nachteilen der Methode Barbiers. Sie bemängelten, dass sich Barbiers Methode an den Lauten, nicht aber am Alphabet orientierte, keine Möglichkeiten für Rechenoperationen und Notensetzung vorsah und schließlich auf zwölf Punkten basierte, wodurch die Ertastbarkeit erschwert wurde. Es war Louis Braille, der als 20-Jähriger schließlich die entscheidende Lösung fand: ein System aus nur sechs Punkten, das die Zeichen das Alphabets sowie musikalische und mathematische Zeichen umfasste (Weygand 2003, 327ff).
Abb. 2.5: Blindenpunktschrift nach Louis Braille
Erfindung einer Schreibmaschine
Braille arbeitete in den Folgejahren an der Optimierung seines Systems, das er in zweiter Auflage 1837 veröffentlichte und dessen Version von Direktor Pignier an zahlreiche Blindenanstalten des Auslandes verschickt wurde. Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten blinder Menschen war schließlich die Erfindung einer Schreibmaschine 1842, erdacht und hergestellt von dem Mechaniker Pierre-François de Foucault, einem ehemaligen Zögling der Blindenanstalt, in Zusammenarbeit mit Louis Braille.
Der Siegeszug der Braille-Schrift ließ allerdings noch einige Zeit auf sich warten, denn der Nachfolger Pigniers, Pierre-Armand Dufau, beeilte sich (1840), zum alten Schriftsystem zurückzukehren. Die Weltausstellung in Paris 1878, die mit einem Weltkongress der Blinden und Gehörlosen verbunden war, brachte letztendlich den nationalen und internationalen Durchbruch. Wie in allen anderen europäischen Ländern entschieden sich auch die deutschen Blindenpädagogen 1879 für die Einführung der Punktschrift nach Louis Braille. Er selbst war bereits 1852 in der Pariser Blindenanstalt verstorben. Nur ein Jahr später weihte das nun Kaiserliche Blindeninstitut eine Braille-Büste ein, mit „le Jean Guttemberg des aveugles“, der Johannes Gutenberg der Blinden, geehrt wurde. Bedenkt man, wie dürftig das Bildungsangebot für die große Mehrheit der Insassen der Pariser Blindenanstalt war, so ist die hohe Bedeutung und Wertschätzung dieser Methode zu verstehen, die den in der Isolation lebenden Blinden trotz aller Hindernisse plötzlich ungeahnte Wege zur Welt der Kultur, zur Kommunikation untereinander und zur intellektuellen Emanzipation eröffnete (Weygand 2003, 358).
Laura Bridgman
Unterricht Taubblinder: Der methodische Erfindungsreichtum der Anfangsphase führte schließlich auch dazu, dass bereits in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts, fünf Jahrzehnte vor der berühmten Helen Keller, die erfolgreiche Unterrichtung eines taubblinden Mädchens in der Blindenanstalt von Boston geschah: Laura Bridgman (1829–1889). Es war der Leiter der Blindenanstalt von Boston, Dr. Samuel Gridley Howe, der sich dieser Herausforderung stellte und mit großer Phantasie und Methodengeschick die Lernfortschritte des Mädchens über viele Jahre begleitete (Jerusalem 1890).
S. G. Howes Methode
Die taubblinde Laura Bridgman wurde 1837 in der Bostoner Blindenanstalt aufgenommen, und im „Encyklopädischen Handbuch des Blindenwesens“ von Alexander Mell findet sich eine minutiöse Beschreibung der von Howe entwickelten Methode:
„Dr. Howe ließ auf kleine Papierstreifen die Namen häufig vorkommender Gegenstände, wie Messer, Gabel, Löffel, Schüssel, Stuhl, Buch u. dgl. in erhabenen, tastbaren Lettern drucken. Er befestigte dann einen solchen Streifen z. B. den mit knife (Messer) bedruckten auf ein Messer und ließ einen andern solchen Streifen lose. Darauf gab er nun Laura das Messer mit dem darauf geklebten Streifen in die Hand, ließ sie das Object und die Lettern betasten. Dann gab er ihr den losen Streifen mit dem Worte knife (Messer) und machte ihr das Zeichen der Gleichheit, indem er ihre beiden Zeigefinger genau nebeneinander legte. Laura schien leicht zu begreifen, dass die Zeichen auch bei den Streifen gleich seien; mehr aber wusste sie noch nicht. Man versuchte es nun ebenso mit anderen Objecten und setzte die Lection am dritten Tage fort. Am dritten Tage erst begriff Laura, dass die Lettern auf den Streifen Zeichen für die Dinge seien, an denen sie befestigt waren. Dies zeigte sich dadurch, dass sie den Streifen mit dem Worte „chair“ (Stuhl), auf einen Stuhl, dann auf einen andern legte, wobei ein verständnisinniges Lächeln ihr bis dahin verdutztes Antlitz erhellte und ihre sichtbare Befriedigung ihrem Lehrmeister zeigte, dass sie ihre erste Lection begriffen hatte.
Damit hatte nun Laura die wichtige Erkenntnis gewonnen, dass die Dinge mit Namen bezeichnet werden. Diese Namen hatte sie aber bisher nur als einheitliche Complexe von Tastempfindungen kennen gelernt. Durch Zerschneiden der Streifen und mit Hilfe eines Typenkastens lehrte man sie nun, die Worte aus den einzelnen Buchstaben zusammensetzen, was sie mit großem Eifer und ziemlich schnell erlernte. Auch die Ordnung des Alphabets merkte sie sich bald und wusste ihre Typen nach beendeter Lection in richtiger Weise in den Kasten einzuordnen, was ihr die rasche Auffindung sehr erleichterte. Das Manipulieren mit den Typen war jedoch immerhin langwierig und nicht immer anwendbar. Dr. Howe sorgte deshalb dafür, dass Laura die Fingersprache der Taubstummen erlernte. Damit erst war für Laura die Einsamkeit, in die sie der Verlust der beiden vornehmsten Sinnesorgane gebannt hatte, durchbrochen, indem ihr jetzt erst die Sprache und der Verkehr durch dieselbe erschlossen war. Sie lernte die Fingersprache mit großem Eifer und brachte es darin im Sprechen sowohl, als auch im Verkehr zu großer Geläufigkeit.“ (Mell 1900, 135f)
Es sollte übrigens nur noch ein gutes Jahrzehnt dauern, bis ein Franzose den Boden der neuen Welt betrat und in den USA als Pionier der Geistigbehindertenpädagogik seine Erfolgsgeschichte begann: Edouard Séguin.
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