Kopenhagen
1808: Gent
1809: Stockholm
1824: Trondheim
1846: Porvoo/Bargo/Helsinki
Schulen für Blinde
1791: Liverpool
1792: Edinburgh
1793: Bristol
1799: London
1804: Wien
1806: Berlin, Glasgow
1807: Mailand, St. Petersburg (Leiter Haüy)
1808: Prag, Amsterdam, Stockholm
1809: Dresden, Zürich
1811: Kopenhagen
1861: Christiania (Oslo)
1865: Helsinki
Anstalten für Taubblinde
1832: Boston/USA
1860: Larnay bei Poitiers/Frankreich
1874: New York/USA
1886: Venersborg /Schweden
1901: Edinburgh/Schottland
1906: Nowawes bei Potsdam/Deutschland
internationale Kommunikation
Dieser europäische Siegeszug einer Idee war nur möglich durch die Existenz einer internationalen Kommunikationsstruktur. Frankreich war im 18. Jahrhundert die tonangebende Kulturnation, und für gebildete Menschen in Europa war es eine Selbstverständlichkeit, in der französischen Sprache zu kommunizieren – ein berühmtes Beispiel ist der intensive Dialog zwischen Voltaire und dem Preußenkönig Friedrich dem Großen. De l’Epée und Heinicke wussten nicht nur voneinander, sondern sie führten eine europaweit beachtete, kontroverse Diskussion über die „richtige“ Methode. De l’Epée, aber auch Haüy empfingen zahlreiche ausländische Gäste in ihren Schulen, und es waren wiederum Einzelpersonen, die, angeregt durch diese Begegnungen, Institute wie etwa in Berlin (Zeune), in Wien (Stork) oder in Rom (Tommaso Silvestri) ins Leben riefen. Auch außerhalb des europäischen Festlandes, im Lande John Lockes, entwickelten sich parallel zu Paris, Leipzig und Wien erste Bildungseinrichtungen für Gehörlose und Blinde:
„Two years before Rousseau wrote Emile, and in the same year as the first Parisian deaf entered de l’Epée’s school, nine-year-old Charles Shirref became a pupil of Thomas Braidwood […] so […] began the first school for the deaf in Britain.“ (Pritchard 1963, 11)
Trotz dieses imposanten Aufschwungs könnte das Bild täuschen. Es war lange Zeit nur eine kleine Minderheit behinderter Menschen, die in den Genuss von Bildung und Erziehung kam, denn die Ideen der europäischen Aufklärung, die die Bildungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung mit einschloss, entfalteten ihre Wirksamkeit nur langsam:
„Unverkennbar, man muß einen Bruch zwischen pädagogischen Programmen und gesellschaftlicher Wirklichkeit, zwischen dem umfassenden Erziehungsanspruch und den bescheidenen Grenzen der realisierten Erziehungsreformen konstatieren. Man muß aber zugleich berücksichtigen […] dass erst mit der Aufklärung selbst dieser Bruch, die Differenz zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit systematisch als […] Problem formulierbar wird.“ (Tenorth 2008, 117)
Recht auf Bildung
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Recht auf Bildung in den entwickelten Staaten in größerem Umfang in die Praxis umgesetzt, und blicken wir auf die Gegenwart, so müssen wir feststellen, dass nicht einmal alle europäischen Länder den Bildungsanspruch für jedes behinderte Kind bislang eingelöst haben. So wird in Frankreich, dem Land der ersten Pioniere einer Pädagogik für Menschen mit Behinderung, mit zunehmender Empörung registriert, dass die Schulpflicht noch nicht für alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderung realisiert ist (Ellger-Rüttgardt 2016, 125ff). Geht man gar von einer globalen Sichtweise aus, so müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die verheißungsvollen Anfänge noch im 21. Jahrhundert weit davon entfernt sind, im weltweiten Maßstab gesellschaftliche Realität zu werden.
2.3 Die Erfindung neuer Methoden
Ohne die Entwicklung angepasster Methoden an die besonderen Bildungsbedürfnisse gehörloser, blinder und wenig später auch geistig behinderter Menschen hätte sich die pädagogische Spezialdisziplin der Heilpädagogik nicht etablieren können, denn nur mit Hilfe spezifischer Methoden konnte die in der Theorie anerkannte Bildungsfähigkeit jedes Menschen in der Praxis tatsächlich entwickelt werden, und somit kann zu Recht die Erfindung neuer Methoden als die „Geburtsstunde der Behindertenpädagogik“ (Drewek/Tenorth 2001, 63) gelten.
Kompensation fehlender Sinne
Methoden bei Gehörlosigkeit: Angeregt durch die Philosophie der Sensualisten und ihrer Erkenntnistheorie richtete sich das Augenmerk der „Erfinder“ auf die Frage, wie ein fehlender Sinn durch den Einsatz eines anderen kompensiert werden könne. Im Falle von Gehörlosigkeit lag ein gravierendes Problem vor, da der fehlende Gehörsinn zugleich Sprachlosigkeit nach sich zog. Somit stand zur Debatte, ob der Gehörlose in seiner „eigenen“ Sprache, also der Gebärde, kommunizieren solle – allerdings damit weitgehend isoliert von der übrigen menschlichen Gesellschaft – oder aber befähigt werden solle, die menschliche Lautsprache zu erlernen – möglicherweise um den Preis eines Verlustes von Identität.
Wie die historische Entwicklung zeigt, spitzten sich die beiden unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu wahren Gegensätzen zu, als „deutsche“ Lautspracherziehung und „französische“ Gebärdensprache zu unversöhnlichen Gegensätzen konstruiert wurden. Die Realität sah meist anders aus, nämlich sehr viel bunter. Weder Heinicke noch de l’Epée schlossen das jeweils andere methodische Verfahren aus. Wie berichtet, benutzten Heinickes Zöglinge selbstverständlich Gebärden, und ebenso versuchte de l’Epée seine Schüler auch zur Lautsprache zu erziehen. Aber – und das ist bedeutsam – die Schwerpunkte beider Verfahren unterschieden sich im Kern, und das belegt auch der kontroverse Briefwechsel zwischen den beiden Protagonisten (Heinicke 1912, 104ff).
Methode de l’Epée
Während Heinicke vor allem aus wirtschaftlichen Gründen keine präzise Darstellung seiner lautsprachlichen Methode veröffentlichte – er wollte seine Methode gewinnbringend veräußern –, hat de l’Epée ganz im Gegenteil den öffentlichen Diskurs gesucht, um seiner Methode national und international den erhofften Einfluss zu sichern. In seinem Werk „Die Unterweisung der Taubstummen durch die methodischen Zeichen“ räumte er der Darstellung seines praktischen Vorgehens breiten Raum ein. Es folgt ein Beispiel für das methodische Vorgehen de l’Epées, das sich bewusst von der Methode des Handalphabets absetzte:
„Das Handalphabet bezeichnet am Anfange den Taubstummen, die keine Sprache verstehen, nichts; es vermittelt ihnen aus sich selbst nicht das geringste Verständnis. Wenn wir, nachdem wir uns seiner bedient haben, um einen Taubstummen die Buchstaben unterscheiden zu lehren, die beiden Wörter nous portons [wir tragen] an die Tafel schreiben, wird er große Augen machen und nichts davon verstehen. Es wird ihm auch nichts nützen, wenn wir über diese beiden Wörter die drei Personen der Einzahl und unter sie die beiden andern der Mehrzahl setzen; er wird nur noch größere Augen machen und uns mit trauriger Miene ansehen. Die meisten führen ihre Hand oder ihren Finger an die Stirn und begleiten diese Geste mit dem gewöhnlichen Zeichen der Verneinung, um uns begreiflich zu machen, daß sie nichts davon verstehen. Aber nur einen Augenblick Geduld, und unserm neuen Schüler wird bald mit Hilfe unserer methodischen Zeichen das Verständnis erschlossen werden.
Ein Folioband, den wir auf den Tisch legen lassen, beginnt seine Aufmerksamkeit anzuziehen. Alle anderen Taubstummen versammeln sich um uns, und ich stelle den Neuling neben mich, zu meiner Rechten. Dann setze ich den Zeigefinger meiner linken Hand auf das Wort je [ich] und zeige gleichzeitig mit