erhalten klinische Relevanz, wenn sie zu beträchtlichen Einschränkungen und Belastungen im Leben der Kinder und im Weiteren der gesamten Familie führen.
Die Auffassungen darüber, wie spezifische Phobien bei Kindern am besten eingeordnet werden können, weichen in den beiden Klassifikationssystemen voneinander ab. Im DSM-5 wird nur eine Form spezifischer Phobien diagnostiziert, deren Kriterien sowohl für Erwachsene als auch für Kinder gelten. Dagegen werden im ICD-10 phobische Störungen bei Kindern von den spezifischen, für das Erwachsenenalter typischen Phobien unterschieden. Erstere weisen eine stärkere Ausprägung normaler altersspezifischer Ängste und eine bessere Prognose auf; dazu zählen z. B. Ängste vor Tieren oder Dunkelheit.
2.9.1 Epidemiologie
Spezifische Phobien sind die häufigste Angststörung im Kindes- und Jugendalter. Nach der „Isle of Wight“-Studie (Rutter, Tizard, & Whitmore, 1970) sind bei 9- bis 10-jährigen Kindern am häufigsten Ängste vor bestimmten Situationen (z. B. Dunkelheit, Schule) zu beobachten; Ängste vor Tieren sind hingegen nur halb so häufig. Andere, etwas häufigere Ängste können sich auf medizinische Eingriffe oder auf die Belastung durch Lärm beziehen. Ängste vor der Schule sind eine heterogene Gruppe, weshalb auf sie gesondert eingegangen wird.
Epidemiologische Untersuchungen bei Kindern verschiedenen Alters, die sich an den neueren Klassifikationssystemen orientierten, fanden sehr unterschiedliche Häufigkeiten von 3,5 % in Deutschland (Essau, Conradt, & Petermann, 2000). DSM-5 spricht von einer Prävalenz von 5 % bei Kindern und etwa 16 % bei Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren. Eine neuere Metaanalyse kommt auf eine Prävalenz von 6,7 %, die im Schul- und Jugendalter gleich bleibt (Costello et al., 2011).
2.9.2 Verlauf
Das Alter, in dem verschiedene Phobien beginnen, ist typisch für die Art der Phobien (Öst, 1987; Öst & Treffers, 2001):
– Ängste vor Tieren beginnen meist um das 5. Lebensjahr, kaum mehr im Erwachsenenalter. Sie sprechen gut auf verhaltenstherapeutische Interventionen an.
– Verletzungsängste, wie die Furcht vor Injektionen und Blutabnahmen, beginnen in der Mehrzahl der Fälle ebenfalls bereits in der Kindheit, meist etwas früher als z. B. die Angst vor dem Zahnarzt.
– Bei anderen situationsspezifischen Ängsten ist ein Beginn in jedem Lebensalter möglich.
Die Stabilität von Phobien wird bei Kindern in jüngerem Alter oft als gering bezeichnet. Agras et al. (1972) fanden heraus, dass bei allen untersuchten Kindern die spezifischen Ängste nach fünf Jahren auch ohne Behandlung weitgehend abgeklungen waren und damit viel günstiger verliefen als Phobien bei Erwachsenen. Allerdings handelte es sich dabei um eine kleine Stichprobe. Auch Hampe, Noble, Miller und Barrett (1973) beobachteten einen eher günstigen Verlauf nach einer Behandlung, wobei allerdings ein kleiner Teil der Kinder weiter unter Ängsten litt.
In neueren Studien hingegen werden die spezifischen Phobien gemeinsam mit den Panikstörungen als relativ stabil betrachtet. Die EDSP-Studie (Early Developmental Stages of Psychopathology Study) zeigte, dass nach zwei Jahren noch 44 % der Panikstörungen und 30 % der spezifischen Phobien stabil waren (Wittchen, Lieb, Pfister, & Schuster, 2000).
2.9.3 Symptome
Im Verhalten drücken sich Phobien bei Kindern meist durch eine intensive Angstreaktion bei einer Begegnung mit dem gefürchteten Objekt aus, wobei die Kinder oft laut zu schreien oder zu weinen beginnen und zu einem Elternteil laufen, um sich an ihn anzuklammern. Manchmal erstarren die Kinder auch oder haben Wutanfälle. Häufig leiden die Kinder unter mehreren spezifischen Phobien gleichzeitig. Die Ängste können im Weiteren dazu führen, dass die Kinder bestimmte Situationen gänzlich vermeiden. Darüber hinaus sind die Kinder nicht nur durch negative Denkschemata bezüglich der Gefahren, die von der gefürchteten Situation ausgehen, gekennzeichnet, diese Gedanken beschäftigen sie auch ungewöhnlich stark und können zu Beeinträchtigungen führen. Außerdem zeichnen sich Kinder mit Phobien durch stärkere vegetative Reaktionen, etwa einen deutlichen Anstieg der Herzfrequenz oder starkes Schwitzen bei Kontakt mit den gefürchteten Situationen, aus.
2.9.4 Ursachen
Verschiedene Theorien versuchen, die Entstehung von Phobien zu erklären. Nach der sozialen Lerntheorie handelt es sich dabei um Reaktionen, die überwiegend durch die Interaktion mit relevanten Bezugspersonen gelernt werden; von psychoanalytischer Seite wird hingegen die Externalisierung und Verschiebung von inneren Konflikten betont. Nach entwicklungstheoretischen Positionen ist Angst an sich in einem Entwicklungsabschnitt adaptiv, ein ungünstiges Temperament der Kinder, ungünstige kognitive Verarbeitungsmuster sowie bestimmte Reaktionen von Bezugspersonen können zu Fehlanpassungen führen. Auch transaktionale Theorien betonen das Zusammenspiel mit relevanten Bezugspersonen in der Entstehung klinischer Ängste. Ebenso halten KlinikerInnen Phobien von Kindern oft für eine Reaktion auf Ängste der Mütter oder eine Form von Infantilisierung (Ängste der Kinder entsprechen oft Ängsten der Mütter – Windheuser, 1977).
2.10 Prävention
Zur Prävention von Angst und Depression liegen mehrere universelle Präventionsprogramme vor. Diese fokussieren auf eine Reduzierung der Angst und Depression, auf die Stärkung der Fähigkeiten zur Stressbewältigung, die Förderung von Problemlösung und Entspannung sowie schließlich das Training sozialer Kompetenzen. Zwei sehr bekannte universelle Präventionsprogramme finden im deutschen Sprachraum Verwendung: das Programm „Gesundheit und Optimismus, GO!“ (Junge, Neumer, Manz, & Margraf, 2002) sowie das „FREUNDE-Programm“, die deutsche Version des FRIENDS-Programms (Barrett, Webster, Turner, Essau, & Conradt, 2003).
Das „FREUNDE-Programm“ wurde für jüngere Kinder von sieben bis zwölf Jahren entwickelt. Es ist ein universelles Präventionsprogramm, das in der Schule durchgeführt werden kann, sei es durch Lehrkräfte oder durch eine andere geschulte Person. Die zwölf Sitzungen des Programms werden durch vier Elternabende begleitet. Der Fokus des Programms liegt auf einem Verständnis von Angst auf der Ebene der Physiologie sowie der Kognitionen und des Lernens eines besseren Umgangs damit. Zunächst begegnen die Kinder den physiologischen Signalen und Korrelaten von Angst mit Entspannungsübungen und einer Sensibilisierung für Körpersignale. Im Bereich der Kognitionen geht es um das Erkennen von Gedanken und um Selbstbelohnung. Im Bereich des Lernens werden die Problemlösefähigkeiten und Bewältigungsfertigkeiten unterstützt und das Erkennen angenehmer Ereignisse geübt. Das Programm gehört zu den besonders gut evaluierten Präventionsprogrammen und gilt insgesamt als wirksam. Eine kontrollierte Evaluationsstudie aus Deutschland mit 638 Kindern konnte zeigen, dass das Programm Angst und depressive Symptome auch bei deutschen Kindern reduzieren kann. (Essau, Conradt, Sasagawa, & Ollendick, 2012). Besonders unterstützend empfanden die Kinder die Entspannungsübungen und die Unterstützung durch hilfreiche Gedanken.
Das Programm „Gesundheit und Optimismus, GO!“ (Junge et al., 2002) ist für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren konzipiert. Es wird in der Schule durchgeführt und besteht aus vier Modulen, die Angst, Depression, Training sozialer Kompetenzen und Stressbewältigung thematisieren. Eine Evaluation des Programms im deutschen Sprachraum konnte deutliche Effekte auf das Wissen der SchülerInnen, ihre sozialen Fähigkeiten, Stressreduktion und Reduktion von Angst- und Depressionssymptomen nachweisen.
2.11 Therapie
In der Behandlung von Phobien bei Kindern gibt es nach Miller, Barrett und Hampe (1974) sowie Silverman und Rabian (1994) neben dem Aufbau einer helfenden bzw. unterstützenden Beziehung zwei unterschiedliche Vorgehensweisen. Einmal steht nach einer Klärung der Auslösesituation für die Ängste und der Aufstellung einer Hierarchie von Angst auslösenden Merkmalen die stufenweise Konfrontation mit den gefürchteten Situationen oder Gegenständen