die Adoleszenz. Die Schwierigkeiten werden aber zuerst noch längere Zeit vor der Umwelt verborgen gehalten. Dies lässt auf eine größere Häufigkeit dieser Störung bei Kindern und Jugendlichen schließen. Die ersten epidemiologischen Untersuchungen stellten aber nur eine geringe Häufigkeit von Zwangsstörungen bei Kindern fest. Auch bei psychiatrisch behandelten Kindern und Jugendlichen wurde eine echte Zwangsstörung früher relativ selten, nämlich bei etwa 1 % der Behandlungsfälle diagnostiziert.
Neuere epidemiologische Untersuchungen kommen allerdings zu einer deutlich größeren Häufigkeit von Zwangsstörungen unter Kindern und Jugendlichen, und zwar 0,1 bis 3,6 % (Goletz, Döpfner, & Roessner, 2018). Einige andere epidemiologische Untersuchungen schätzten die Häufigkeit unter Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen (18-Jährige) sogar als etwas größer (4 %) ein (Douglass et al., 1995).
Weitere WissenschaftlerInnen betonen, dass nur ein geringer Teil der betroffenen Kinder und Jugendlichen (ca. 20 %) wegen der Beschwerden eine Behandlung in Anspruch nimmt (Henin & Kendall, 1997). Epidemiologische Untersuchungen berichten, dass die Häufigkeit des Vorkommens bei Kindern und Jugendlichen nach den Angaben der Eltern unterschätzt wird und dass es wohl eine noch größere Häufigkeit von subklinischen Zwangsstörungen gibt (Atladottir et al., 2015).
3.4 Untergruppen
Nach Rapoport und Swedo (2002) gibt es verschiedene phänomenologisch unterscheidbare Untergruppen: zum einen den Subtyp, bei dem primär ein „Just-right Phänomen“ vorhanden ist; zweitens jenen, bei dem in erster Linie kognitive Symptome vorhanden sind. Nach DSM-5 sollten auch Formen mit einer komorbiden Tic-Störung unterschieden werden. Dabei wird angegeben, ob die Tic-Störung in der Vorgeschichte vorlag oder ob sie gegenwärtig vorliegt. Als vierte Subgruppe sollte noch eine als PANDAS („pediatric autoimmun neuropsychiatric disorders associated with streptococal infections“) bezeichnete Gruppe unterschieden werden (siehe weiter unten den Abschnitt zu neurobiologischen Mechanismen).
3.5 Komorbidität und Differenzialdiagnose
Zwänge treten oft im Zusammenhang mit anderen psychischen Störungen auf (ca. bei 80 %), v. a. mit Angststörungen, Depressionen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen, Tic-Störungen, aber auch mit Störungen des Sozialverhaltens mit dissozialen Verhaltensweisen (Langley et al., 2010; McGuire et al., 2015).
Eine Komorbidität mit einer depressiven Verstimmung ist bei einem Viertel bis zu einem Drittel der Kinder und Jugendlichen mit einer Zwangsstörung festzustellen. Der Zusammenhang zwischen diesen Störungen ist damit relativ groß, jedoch bei Kindern noch deutlich geringer als bei Erwachsenen mit einer Zwangsstörung: Bei Letzteren leiden drei Viertel an depressiven Verstimmungen – in vielen Fällen sekundär aufgrund der durch die Zwangsstörung verursachten privaten und beruflichen Probleme. Der Zusammenhang zwischen Zwangsstörung und Depression ist bei Kindern und Jugendlichen auch weniger eng als der zwischen Angststörungen und Depression.
Ein deutlicher Zusammenhang besteht auch zwischen der Zwangsstörung bei Kindern und Jugendlichen und dem Tourette-Syndrom, einfachen Tic-Störungen, der Trichotillomanie und Sydenhams Chorea. So zeigen etwa ein Drittel bis mehr als die Hälfte der PatientInnen mit Tourette-Syndrom auch Zwangssymptome in einem klinisch relevanten Ausmaß. Umgekehrt werden etwa bei einem Drittel der Kinder mit einer Zwangsstörung gleichzeitig chronische Tics festgestellt, die allerdings nur bei einem Teil einer komplexen Tic-Störung, also einem Tourette-Syndrom, entsprechen. Tic-Störungen werden öfter bei jüngeren PatientInnen, bei Jungen und bei einem akuten Beginn der Störung beobachtet. Schließlich weist auch das gehäufte Vorkommen von Zwangsstörungen bei Angehörigen von PatientInnen mit einem Tourette-Syndrom auf einen Zusammenhang zwischen Zwangs- und Tic-Störungen hin (Rapoport & Swedo, 2002).
3.6 Verlauf
Am häufigsten beginnen Zwangsstörungen bei Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren, ein Auftreten ist jedoch bereits mit 2 bis 5 Jahren möglich (Geller, 2006; Garcia et al., 2009; Renner & Walitza, 2006). Der Beginn der Störung in der Kindheit oder Adoleszenz kann zu einer lebenslangen Zwangsstörung führen bzw. führt zu einem chronischen Verlauf (Falkai & Wittchen, 2015). In manchen Untersuchungen wurde ein um zwei bis drei Jahre früherer Beginn der Störung bei Jungen als bei Mädchen beobachtet (Vloet, Simons, & Herpertz-Dahlmann, 2012). Somit sind in der Kindheit mehr Jungen als Mädchen von Zwangsstörungen betroffen, im Erwachsenenalter sind Frauen hingegen geringfügig häufiger betroffen (Falkai & Wittchen, 2015).
Ein früher Beginn (vor dem 7. Lebensjahr) ist öfter mit anderen Zwangssymptomen als den häufigen Wasch- und Kontrollzwängen verbunden, etwa dem zwanghaften Einhalten eines bestimmten Atemmusters oder dem Bestehen auf die Verwendung bestimmter Gegenstände (z. B. von Bleistiften einer bestimmten Farbe).
Die Zwangssymptome können entweder abrupt auftreten oder sich allmählich über einen längeren Zeitraum entwickeln. Bei einem schleichenden Beginn kommen die Kinder oft erst nach einigen Jahren in Behandlung (Adams, 1973). Bei einem größeren Teil der PatientInnen wurde außerdem beobachtet, dass einige Jahre vor dem eigentlichen Krankheitsbeginn Mikroepisoden auftreten, in denen die Kinder eine auffällige Rigidität des Verhaltens und repetitive Rituale zeigen (Rapoport & Swedo, 2002).
Akute auslösende Umstände sind retrospektiv nur bei einem Teil der Fälle zu ermitteln. Dies können sowohl Belastungen in der Familie (Streit und Spannungen zwischen den Eltern) als auch in der Schule sein (Henin & Kendall, 1997).
Obwohl sich insgesamt eine hohe Persistenz der Zwangsstörung feststellen lässt, ändert sich die Art der Symptome bei einem größeren Teil der Kinder und Jugendlichen über die Zeit: Neue Anzeichen können sich ausbilden, während frühere in den Hintergrund zurückgehen, um nach einiger Zeit wieder stärker hervorzutreten. So entdeckten etwa Rettew, Swedo, Leonard et al. (1992), dass von über 70 Kindern im Verlauf einer längeren Nachuntersuchungszeit keines das gleiche Symptomprofil beibehielt.
3.7 Ursachen
Familiäre Belastungen
Bereits in früheren Berichten wurde betont, dass in den Familien von Kindern und Jugendlichen mit einer Zwangsstörung oft auffällig stark auf Sauberkeit geachtet wird und dass sich zwanghaftes Verhalten häufig auch bei anderen Familienmitgliedern findet (Adams, 1973). Untersuchungen der letzten Jahre konnten dies bestätigen. Die Häufigkeit der Beeinträchtigung ist bei Vätern deutlich größer als bei Müttern. Dies betrifft sowohl eine Zwangsstörung im engeren Sinn, deren Häufigkeit bei Eltern von Kindern mit Zwangsstörungen insgesamt auf etwa ein Sechstel geschätzt wird, als auch eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung (Lenane et al., 1990). Neben der Zwangsstörung sind bei den Eltern auch andere psychische Störungen, etwa Depressionen, häufig festzustellen (Rapoport, Elkins, Langer et al., 1981).
Es wurde darauf hingewiesen, dass die Ähnlichkeit der Symptome von Eltern und Kindern selten so groß ist, dass eine direkte Nachahmung einzelner Kennzeichen angenommen werden kann. Die Möglichkeit einer Prägung eines allgemeineren Verhaltensstils in der Erziehung durch die Eltern wird hingegen nicht ausgeschlossen (Henin & Kendall, 1997). So wird darauf hingewiesen, dass die Familien oft isoliert sind und wenig Kontakte nach außen aufweisen und dass nicht nur besonderer Wert auf Sauberkeit gelegt wird, sondern dass die Eltern auch hohe Erwartungen an die Leistungen der Kinder haben und die Erziehung durch relativ viel Strenge und Rigidität gekennzeichnet ist.
Genetische Belastung
Trotz früher Hinweise auf die Bedeutung genetischer Faktoren liegen bisher keine größeren Adoptions- oder Zwillingsuntersuchungen vor. Erste kleinere Familienuntersuchungen, die die Häufigkeit von Zwangsstörungen bei Verwandten ersten Grades verglichen, zeigten allerdings eine deutlich höhere Belastung als in Familien anderer psychiatrischer PatientInnen (10 % vs. 1,9 %) (Pauls, Alsobrook,