zweimal so häufig einen Verwandten/eine Verwandte ersten Grades mit einer Zwangsstörung haben. Sollte die Zwangsstörung im Kindesalter begonnen haben, ist der Anteil der Verwandten ersten Grades mit einer Zwangsstörung zehnmal so hoch (Falkai & Wittchen, 2015). Rapoport und Swedo (2002) legten erste Ergebnisse vor, die auf eine höhere Konkordanz unter ein- als unter zweieiigen Zwillingen hinwiesen. Sie berichteten auch, dass die genetischen Risiken die Zwangsstörung mit den Tic-Störungen zu verbinden scheinen. Neuere Untersuchungen gehen von einer Konkordanzrate von 0,57 bei monozygoten und von 0,22 bei dizygoten Zwillingen aus (Falkai & Wittchen, 2015). Ein Überblick über die involvierten Gene geben Pauls und seine Mitarbeiter (2014).
Psychologische Mechanismen
Zur Erklärung der Zwangsstörung haben die verschiedenen Schulen der Klinischen Psychologie jeweils unterschiedliche Mechanismen betont. In der verhaltenstheoretischen bzw. behavioristischen Tradition werden die Zwangssymptome als gelernte Reaktion zur Verhinderung von Angst verstanden. Diese Erklärung gilt als zu kurz gegriffen, sie erwies sich jedoch als bedeutsam für die Entwicklung therapeutischer Maßnahmen. Die größte Bedeutung für die Erklärung psychologischer Mechanismen bei der Entstehung der Zwangsstörung wird heute den kognitionspsychologischen Ansätzen zugesprochen.
Der kognitionspsychologische Ansatz betont einerseits das magische Denken sowie bestimmte kognitive Verzerrungen, die überall eine Bedrohung sehen, welche nur durch Zwangshandlungen aufgehalten werden kann. Andererseits wird nach Abweichungen im Denken gesucht, die das wiederholte Ausführen von Kontrollhandlungen und anderer Teilhandlungen im Rahmen einer Handlungssequenz erklären können. Als Mechanismen, die zur Ausbildung dieses Denkstils beitragen, werden drei Prozesse diskutiert:
– Verzerrungen in der Begriffsbildung,
– Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen und
– Unzulänglichkeiten in den Gedächtnisfunktionen.
Die Hinweise auf allgemeinere Beeinträchtigungen dieser kognitiven Prozesse sind bisher jedoch nicht sehr eindeutig. Die meiste Evidenz liegt für gewisse Beeinträchtigungen der Gedächtnisfunktionen vor, wodurch etwa bereits vollzogene Handlungen weniger behalten werden oder der Zugriff auf die Gedächtnisrepräsentationen dieser Handlungen weniger leicht fällt.
Neurobiologische Mechanismen
Mehrere Befunde deuten darauf hin, dass für die Entstehung der Zwangsstörung auch neurobiologische Mechanismen verantwortlich sein dürften. Hier sind einmal die Ergebnisse pharmakologischer Studien zu erwähnen, die für eine Regulationsstörung in Neurotransmittersystemen sprechen. Im Besonderen weisen sie auf die Bedeutung des Serotonins als zentralnervöse Übertragungssubstanz für die Zwangsstörung hin, da diese Störung durch Medikamente, die die Wiederaufnahme des Serotonins in die Nervenendigungen hemmen, gebessert werden kann, während sie umgekehrt durch Substanzen, die eine ähnliche Wirkung wie Serotonin haben, verschlechtert wird.
Andererseits gibt es Hinweise, dass eine Dysfunktion der Stirnhirnregionen sowie der Basalganglien an der Entstehung der Zwangsstörung beteiligt ist. Diese Hinweise kommen aus Untersuchungen über die Stoffwechselaktivität in verschiedenen Hirnregionen (PET), die einen erhöhten Glucose-Metabolismus im orbitalen Stirnhirn und im Nucleus caudatus bei PatientInnen mit Zwangsstörungen, die in der Kindheit begonnen haben, beobachtet haben (Swedo, Shapiro, Grady et al., 1989). Zudem gibt es auch Anzeichen, dass sich PatientInnen v. a. bei Aufgaben schwertun, die den Funktionen des Frontalhirns entsprechen (wie etwa „Money’s Road Map“; Otto, 1992). Weiters wurde gezeigt, dass Zwangssymptome bei PatientInnen mit Sydenhams Chorea, einer neurologischen Störung, die mit unwillkürlichen plötzlichen Bewegungen der Arme und Beine verbunden ist und vermutlich auf einer Störung der Basalganglien beruht, deutlich häufiger auftreten als in einer Kontrollgruppe (Swedo, Rapoport, Cheslow et al., 1989). Symptome einer Zwangsstörung treten bei zwei Dritteln bis drei Vierteln aller PatientInnen mit Sydenhams Chorea auf, wobei diese Symptome meist einige Wochen vor dem Auftreten der Chorea beginnen und ihr Schweregrad parallel zur motorischen Symptomatik verläuft. Es wird vermutet, dass es sich um eine Autoimmunreaktion auf die Basalganglien handelt (dafür spricht eine erfolgreiche Behandlung mit Immunglobulinen; Rapoport & Swedo, 2002).
Neurologische Auffälligkeiten
Beim Großteil der Kinder und Jugendlichen zeigen sich bei der neurologischen Untersuchung vermehrt sogenannte „soft signs“, also Zeichen, die nicht eindeutig auf eine neurologische Schädigung hindeuten, wie z. B. Mitbewegungen beim Gang auf den Zehenspitzen, leicht choreiforme Bewegungen, aber auch ein geringes linksseitiges Halbseitensyndrom. Darüber hinaus gibt es auch neuropsychologische Auffälligkeiten, etwa schlechte visuomotorische Fähigkeiten oder eine abnorme Sprechmelodie. Solche Auffälligkeiten standen mit einer schlechteren Prognose im Zusammenhang (Rapoport & Swedo, 2002).
3.8 Behandlung und Prognose
In verschiedenen kontrollierten Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die kognitive Verhaltenstherapie sowie die Pharmakotherapie als wirksame Therapien bei Zwangsstörungen angesehen werden können (Torp et al., 2015; Franklin et al., 2015; Wewetzer & Wewetzer, 2014).
Das Behandlungsverfahren der Wahl bei Zwangsstörungen ist eine kognitive Verhaltenstherapie. Bestandteile einer kognitiven Verhaltenstherapie sind eine tägliche Exposition gegenüber den unangenehmen Reizen bzw. der gefürchteten Situation, eine Reaktionsprävention, bei der keine Rituale oder Reaktionen (etwa Waschen von Händen bei einem Waschzwang) über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden dürfen (für wenigstens eine Stunde bzw. bis die Anspannung nachlässt). Ein weiterer Bestandteil ist das Training von Entspannungstechniken, um ein Unbehagen bei der Exposition zu reduzieren. In Anbetracht der Bedeutung von kognitiven Verzerrungen für das Entstehen von Zwangsgedanken ist die Erweiterung dieser klassischen verhaltenstherapeutischen Ansätze durch eine kognitive Therapie, die auf eine Klärung von widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen in Bezug auf die im Vordergrund stehenden Befürchtungen sowie die Korrektur der Verzerrungen durch Testung der Annahmen in der Realität zielt (Henin & Kendall, 1997), Erfolg versprechend. Daneben dürfte auch eine Verbesserung der sozialen Interaktionen mit anderen Kindern bzw. Jugendlichen ein wichtiger Bestandteil der Behandlung sein. In einer Metaanalyse – zur Prüfung der Effekte von Verhaltenstherapie und kognitiver Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen – konnten acht randomisierte kontrollierte Evaluationsstudien mit 343 TeilnehmerInnen einbezogen werden. Die Autoren bestätigten, dass diese Therapie ebenso effektiv war wie eine medikamentöse Therapie alleine und dass zudem bessere Ergebnisse erzielt werden konnten, wenn CBT zusätzlich zur Psychopharmakotherapie erfolgte, als wenn nur Psychopharmaka alleine verabreicht wurden (O'Kearney, Anstey, von Sanden, & Hunt, 2006). Bei Erwachsenen konnten für psychologische Interventionen sogar noch wesentlich deutlichere Effekte gezeigt werden. Im Vergleich zwischen psychologischen Interventionen und keiner Behandlung, Warteliste oder der üblichen Behandlung mit Psychopharmaka konnte gezeigt werden, dass die PatientInnen, die eine kognitive Verhaltenstherapie oder Verhaltenstherapie erhielten, nach der Behandlung eine deutlich stärkere Reduktion der klinischen Symptome erlebten als die PatientInnen der anderen Behandlungsformen. Allerdings waren keine Aussagen über die längerfristigen Effekte möglich (Gava, Barbui, Aguglia et al., 2007).
Die Effektivität einer Behandlung hängt von verschiedenen Prädiktoren ab. So zeigte die Pediatric OCD Treatment Study (POTS), dass Kinder mit einer schweren Form der Zwangsstörung, starker funktioneller Beeinträchtigung, geringer Einsicht in die Unsinnigkeit der Symptome und einer größeren Familieneinbindung in die Zwänge eine schlechtere Prognose aufwiesen (Garcia et al., 2010). Die Einsicht in die Unsinnigkeit der Symptome scheint von großer Bedeutung zu sein, da Kinder und Jugendliche mit geringer oder fehlender Einsicht einerseits von sich aus keine Hilfe suchen und andererseits auch nachgewiesen wurde, dass bei diesen Kindern die kognitive Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie nur eine geringe Wirkung gezeigt hatten. Zudem kann sich auch