Christian Klicpera

Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter


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zu etwa 25 % bis 30 % unter einer PTBS leiden. Diese ist umso schwerer und länger anhaltend, je stärker und länger die Kinder dem Ereignis ausgesetzt waren (Yule et al., 2000; Kolassa et al., 2010).

      Ohne therapeutische Hilfe verläuft die Störung bei Kindern und Jugendlichen häufig chronisch (Yule et al., 2000). Im Vergleich zu Erwachsenen, bei denen ca. die Hälfte der Betroffenen innerhalb von drei Monaten bzw. des ersten Jahres nach dem Trauma beschwerdefrei ist (Falkai & Wittchen, 2015), bleibt die PTBS-Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen über die Zeit (nach einem Jahr) relativ stabil (Landolt et al., 2003).

      Schon vor fast 20 Jahren lieferten Essau, Conradt und Petermann (1999) erstmals repräsentative PTBS-Prävalenzzahlen für Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren und bestätigten, dass Posttraumatische Belastungsstörungen auch bei Kindern und Jugendlichen meist komorbid auftreten. Nach dieser Studie sind Depressionen (41 %), Somatisierungsstörungen (35 %) und Störungen durch Substanzkonsum (29 %) die häufigsten komorbiden Störungen bei PTBS für 12- bis 17-Jährige. Als weitere komorbide Störungen wurden Angst- und Zwangsstörungen genannt.

      Neuere Studien bestätigen diese Angaben und berichten von einer 80-prozentigen Wahrscheinlichkeit für das Auftreten komorbider Störungen bei PTBS. Bei Erwachsenen sind dies meistens Substanzkonsumstörungen und Störungen des Sozialverhaltens, bei Kindern und Jugendlichen handelt es sich um Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten und Störungen mit Trennungsangst (Falkai & Wittchen, 2015).

      Nach Rosner und Steil (2013) müssen bei der Diagnostik einer PTBS bei Kindern und Jugendlichen drei Bereiche berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich um das prätraumatische Funktionsniveau des Kindes, das traumatische Ereignis selbst und dessen Folgen für das Kind und seine Umwelt.

      Um einen möglichst detaillierten Einblick in die Symptomatik zu gewinnen, sollten im diagnostischen Prozess verschiedene Informationsquellen einbezogen werden. Neben subjektiven Angaben des betroffenen Kindes sollten Angaben weiterer, dem Kind nahestehender Personen (z. B. Eltern/Bezugsperson, LehrerInnen, Freunde/Freundinnen), die meist auch externalisierende Probleme beschreiben, hinzugezogen werden. Ergänzende Informationen wie Gerichtsunterlagen und Verhaltensbeobachtungen sollten auch genutzt werden.

      Es wird empfohlen, Kinder und Bezugspersonen getrennt voneinander zu befragen, da nachgewiesen wurde, dass die Angaben von Bezugspersonen und Kindern zur PTBS-Symptomatik in vielen Fällen nicht übereinstimmen bzw. dass die Bezugspersonen die Symptomatik häufig unterschätzen (Dyb et al., 2009; Tingsull et al., 2015). Es handelt sich bei diesen Befragungen meist um strukturierte Interviews oder Fragebögen. Der Tabelle 1 können deutschsprachige Instrumente zur Erfassung der PTBS entnommen werden (Seite 67).

      Bei der Behandlung von PTBS herrscht Einigkeit darüber, dass eine erfolgreiche Behandlung aus der In-sensu-Konfrontation, der kognitiven Neubewertung des Traumas und seiner Konsequenzen sowie der In-vivo-Konfrontation der Traumatrigger besteht (Rosner & Steil, 2013).

      Derzeit ist die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), spezifisch die Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie (Tf-KVT; Cohen, Mannarino, & Deblinger, 2009), der am besten evaluierte und erfolgreichste Ansatz in der Reduzierung der PTBS-Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen. Neuere Studien zeigen auch eine deutliche Verbesserung der PTBS-Symptomatik bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (Unterhitzenberger et al., 2015). Neben der Tf-KVT wird auch die Eye Movement Desensitization and Reprocessing Therapy (EMDR) als vielversprechender Ansatz genannt, obwohl hier eine deutlich geringere Datenbasis zur Effektivität vorliegt (Rosner, Hagl, & Petermann, 2015). Nachfolgend werden die Tf-KVT und die EMDR beschrieben.

      Tab. 1: Deutschsprachige Instrumente zur Diagnostik einer Posttraumatischen Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen (übernommen von Krentz, 2015, S. 252)

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      CAPS-CA = Clinical-administered PTSD Scale for Children and Adolescents

      4.7.1 Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie (Tf-KVT)

      Die Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie (Tf-KVT) nach Cohen, Mannarino und Deblinger (2009) ist eine multimodale Traumatherapie für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 3 und 17 Jahren und deren Bezugspersonen. Ursprünglich wurde dieses Therapiemodell für die Behandlung von traumatischen Ereignissen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern entwickelt. Heute dient die Therapie zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen, die traumatische Ereignisse (gleich welcher Art) erlebt haben und infolgedessen unter einer PTBS leiden. Die Therapie ist für Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund geeignet.

      Die Therapie setzt sich aus acht Phasen, die unter dem Akronym PRAKTICE zusammengefasst wurden, zusammen (siehe unten). Diese Phasen werden in 90-minütigen wöchentlichen Sitzungen durchgeführt (Sachser, Rassenhofer, & Goldbeck, 2016). Die Anzahl der Sitzungen variiert zwischen 12 und 16 (Rodenburg et al., 2009).

      P sychoedukation und Erziehungsfähigkeit

      R elaxion (Entspannungstraining)

      A ffektive Modulation

      K ognitive Verarbeitung

      T raumanarrativ

      I nvivo-Bewältigung traumatischer Schlüsselreize

      C onjoint (gemeinsame Eltern-Kind-Sitzungen)

      E rleichtern (Sicherheitsplanung)

      In der Psychoedukation werden dem Kind und den Bezugspersonen zu Beginn der Therapie die Symptomatik der PTBS, die Auswirkungen von traumatischen Erfahrungen und die üblichen Reaktionen von Kindern mit PTBS-Symptomatik nähergebracht. In dieser ersten Phase wird auch das Therapievorgehen erklärt.

      Das Entspannungstraining zielt auf die Vermittlung von Strategien zum besseren Umgang mit Stress und Anspannung ab. Dem Kind werden leicht erlernbare und alltagstaugliche Methoden (z. B. Bauchatmung, Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung – PMR) beigebracht.

      Neben diesem Entspannungstraining ist auch die Affektregulation wichtig. Traumatische Ereignisse können bei vielen Kindern zu schmerzhaften Gefühlen führen. In der affektiven Modulation lernen die Kinder und ihre Bezugspersonen, wie sie diese Gefühle erkennen, benennen und mit ihnen umgehen können. Dabei soll auch der Einsatz von dysfunktionalem Vermeidungsverhalten reduziert werden.

      In der darauffolgenden Phase steht die kognitive Umstrukturierung im Vordergrund, in der das Kind und die Bezugsperson geschult werden, die Zusammenhänge zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten zu erkennen. Der Schwerpunkt liegt in der Unterscheidung zwischen richtigen/falschen und hilfreichen/ nicht hilfreichen Gedanken.

      Das Traumanarrativ bzw. der Traumabericht ist das zentrale Therapieelement der Tf-KVT, in dem über das traumatische Erlebnis berichtet wird. Dies kann entweder im Gespräch, in Form eines geschriebenen Narrativs oder in einer anderen Form, die dem Entwicklungsstand des Kindes/Jugendlichen angemessen ist (z. B. Malen), passieren.

      Die bisherigen Berichte zeigen, dass auch bei Kindern ein gemeinsames Durchsprechen der Erfahrungen bald nach dem traumatischen Ereignis dazu beiträgt, dass sie ihre eigenen Schwierigkeiten, mit dem Ereignis fertigzuwerden, als natürliche Reaktion ansehen. Weiters werden die quälenden Erinnerungen und Gedanken an das Trauma reduziert. Der Fokus des Durchsprechens liegt auf der Rekonstruktion des traumatischen Ereignisses.

      Das Narrativ selbst beginnt mit einem Steckbrief, in dem das Kind etwas über sich berichtet (z. B. Wer bin ich? Wie alt bin ich? Hobbys etc.). Im nächsten Kapitel wird das traumatische Ereignis beschrieben – mit dem Ziel, die Erinnerungen, Gedanken und Gefühle einordnen zu können. Durch mehrfaches Vorlesen