Klaus Paulitsch

Grundlagen der Psychiatrie


Скачать книгу

sie abends als Schlafhilfe eingenommen werden können und bei innerer und äußerer Unruhe wirksam sind. Weitere Substanzen mit anderen Wirkmechanismen sind Agomelatin (Valdoxan®), Tianeptin (Stablon®) oder Vortioxetin (Brintellix®). Das Phytopharmakon Johanniskraut (Hypericum-Extrakt) ist wegen seiner pflanzlichen Basis bei PatientInnen beliebt, dessen Einsatz beschränkt sich jedoch auf leichte bis mittelschwere Depressionen.

      Phasenprophylaktika sind Psychopharmaka, die zur Rückfallsverhinderung bei zyklischen Erkrankungen wie bipolaren oder schizoaffektiven Störungen entwickelt wurden. Zur Substanzgruppe zählen Lithium, Antikonvulsiva sowie manche neuere Antipsychotika.

      1.3.1Wirkungsweise

      Phasenprophylaktika sind bezüglich der Wirkungsweise eine heterogene Gruppe von Psychopharmaka, die bei PatientInnen Stimmungsschwankungen verhindern oder verringern sollen. Im Idealfall beeinflussen die Medikamente sowohl depressive Symptome als auch manische Zustände positiv, die Hauptindikation liegt jedoch in ihrer vorbeugenden – prophylaktischen – Wirkung. Durch regelmäßige Einnahme kann die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen Auftretens einer Krankheitsphase deutlich verringert werden. Lange Zeit galt Lithium als einziges Medikament, welches diese komplexen Eigenschaften einigermaßen erfüllt, in neuerer Zeit kommen Medikamente, die eigentlich zur Behandlung von Epilepsie entwickelt wurden („Antikonvulsiva“) und zunehmend auch Antipsychotika zur Anwendung.

      Lithium ist ein chemisches Element, das Kalium und Natrium ähnlich ist. Dementsprechend besteht die Wirkungsweise von Lithium im Zellstoffwechsel und in der Erregung von Nervenzellen, wobei es generell zu einer Dämpfung kommt. Auch Neurotransmittersysteme werden durch Lithium beeinflusst.

      Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Valproinsäure oder Lamotrigin wirken über eine Veränderung der Kommunikation zwischen den Nervenzellen, dadurch dass die Übererregbarkeit in manchen Hirnregionen verringert wird oder die Wirkung eines Neurotransmitters (GABA) verstärkt wird. Dies erklärt auch die Senkung der Wahrscheinlichkeit von epileptischen Anfällen nach Einnahme dieser Substanzen. Die Annahme, dass auch bei extremen Stimmungsschwankungen gleichfalls eine veränderte Erregbarkeit von Nervenzellen vorliegt, führte zum bewährten klinischen Einsatz bei bipolaren Störungen.

      Die Wirkungsweise von Antipsychotika wird im entsprechenden Abschnitt (siehe auch Kapitel III, 1.5, S. 47) besprochen.

      1.3.2Klinische Anwendung und Indikationen

      Lithium hat einen antimanischen, antidepressiven und bei der bipolaren Störung auch einen phasenprophylaktischen Effekt. Besonders geeignet scheint das Psychopharmakon bei der klassischen bipolaren Störung mit euphorischen Phasen wirksam zu sein. Durch regelmäßige Einnahme kann das Risiko des Auftretens von erneuten Episoden um 60% reduziert werden. Dennoch hat das Medikament auch Nachteile: Da schon bei geringen Überdosierungen (geringe „therapeutische Breite“) Vergiftungserscheinungen auftreten können, ist eine regelmäßige Kontrolle des Blutspiegels erforderlich. Ein Wert von 0,6 bis 0,8 mmol/l ist zur Prophylaxe gefordert und unschädlich, vorübergehend kann unter stationären Bedingungen der Spiegel auf 1,2 mmol/l angehoben werden. Die Einnahme des Präparats erfordert daher erhöhte Sorgfalt und die Dauereinstellung ist nur für einen Teil von aufgeklärten und kognitiv nicht beeinträchtigten PatientInnen möglich.

      Die Antikonvulsiva Carbamazepin und Valproinsäure eignen sich neben der bipolaren Störung auch zur Behandlung von Mischzuständen und der schizoaffektiven Störung. Die Anwendung erfolgt dann, wenn eine Einstellung auf Lithium nicht möglich erscheint. Lamotrigin hingegen wirkt vorwiegend antidepressiv und hat nur ein begrenztes Anwendungsgebiet.

      Antipsychotika, die ursprünglich zur Behandlung der Schizophrenie entwickelt wurden, werden in neuerer Zeit ebenso bei bipolaren Störungen eingesetzt.

      1.3.3Substanzgruppen und Nebenwirkungen

       Lithum

      Auf die klinische Wirkung von Lithium (Quilonorm®) und sein begrenztes Einsatzgebiet wurde schon eingegangen. Mögliche Nebenwirkungen sind zu Beginn leichtes Zittern (Tremor) der Finger, Übelkeit und Durchfall. Eine dauerhafte Einnahme führt manchmal zu Gewichtszunahme, Vergrößerung der Schilddrüse, Durstgefühl und Beinschwellungen (Ödeme). Vergiftungserscheinungen treten bei Überdosierung, falscher Einnahme oder bei kochsalzarmer Diät und Flüssigkeitsmangel auf. Die lebensbedrohlichen Symptome zeigen sich als starker Tremor, Erbrechen und Übelkeit, psychische Auffälligkeiten bis hin zu Verwirrtheit, Schwindel, Sprachstörungen und Koma.

       Antikonvulsiva

      Zu dieser eigentlich als Mittel gegen epileptische Anfälle verwendeten Gruppe zählt man Valproinsäure (Convulex®, Depakine®), Lamotrigin (Lamictal®) und Carbamazepin (Neurotop®). Die Medikamente werden in der Regel gut vertragen und eignen sich daher zur Dauerprophylaxe bei der bipolaren Störung besonders gut. In Studien ist vor allem die Wirksamkeit von Valproinsäure gut belegt. Nebenwirkungen von Carbamazepin sind Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit. Bei der Einnahme von Valproinsäure wurden vereinzelt Zittern, Gewichtszunahme, Haarausfall beobachtet. Die unerwünschten Wirkungen von Lamotrigin ähneln den bisher beschriebenen Substanzen.

       Antipsychotika

      In zahlreichen Studien werden zurzeit die neuen atypischen Antipsychotika zur Behandlung der bipolaren affektiven Störung getestet und die Ergebnisse auf wissenschaftlichen Kongressen präsentiert. Die prophylaktische und antimanische Wirkung von Aripiprazol (Abilify®), Risperidon (Risperdal®), Quetiapin (Seroquel®) ist mit jener der übrigen Phasenprophylaktika vergleichbar. Ein Vorteil gegenüber den Antikonvulsiva ist jedoch noch nicht nachgewiesen worden. Das Nebenwirkungsspektrum reicht von Gewichtzunahme bis hin zu Stoffwechselstörungen und ist demnach nicht günstiger zu beurteilen.

      Tranquilizer (von lat.: tranquilare, beruhigen) sind Psychopharmaka, die eine beruhigende, entspannende, angstlösende und teilweise schlafanstoßende Wirkung besitzen. Historisch gesehen zählt man die bereits im 19. Jahrhundert verwendete pflanzlichen Substanzen (z. B. Chloralhydrat) und die vor mehr als hundert Jahren entdeckten Barbiturate dazu. Auch andere Substanzen wie manche Antipsychotika oder Antidepressiva können ähnlich wirken, heutzutage versteht man unter dem Begriff Tranquilizer jedoch vorwiegend die große Gruppe der Benzodiazepine und neuere ähnlich wirkende Substanzen, wie beispielsweise Zolpidem („Non-Benzodiazepin-Hypnotika“). Benzodiazepine, die seit den 1960er-Jahren verwendet werden, zeichnen sich im Gegensatz zu den Barbituraten durch ein günstigeres Nebenwirkungsprofil und geringere Toxizität aus.

      1.4.1Wirkungsweise

      Benzodiazepine binden an spezifischen Benzodiazepinrezeptoren von Nervenzellen und verstärken die hemmende Funktion von gewissen Neuronen („GABAerge“ Neuronen). Sie sind deswegen hochwirksam, weil sie direkt die „Angstrezeptoren“ (GABA-System) im Gehirn blockieren und deswegen zur Anxiolyse (Angstlösung) führen.

      1.4.2Klinische Anwendung und Indikationen

      Benzodiazepine wirken angstlösend (anxiolytisch), entspannend, schlafanstoßend (hypnotisch), muskelentspannend (relaxierend) und senken die epileptische Krampfschwelle (antikonvulsiv). Wegen der vielfältigen Wirkung ist auch das Einsatzgebiet entsprechend groß. Benzodiazepin-Tanquilizer werden u. a. bei Angstzuständen, Schlafstörungen, Erregungszuständen, Epilepsie, Muskelverspannungen, als Operationsvorbereitung und als Alkoholentzugsmedikamente eingesetzt. Die Anwendung soll nur vorübergehend (maximal einige Wochen lang) erfolgen, da sich ein Abhängigkeitssyndrom entwickeln kann (siehe