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Nachhaltigkeit interdisziplinär


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Wirtschaft eine eigene „Säule“ dar, die Politik oder die Kultur jedoch nicht? In der Literatur finden sich als Ergebnis dieser Diskussion zahlreiche Vorschläge zur Erweiterung der drei Säulen („X-Komponenten-Modelle“): vom Lüneburger Vier-Säulen-Modell (Stoltenberg/Michelsen 1999), das die Kultur hinzufügt, über Fünf-Säulen-Modelle wie bei der Bund-Länder-Kommission (BLK 1998), die zusätzlich eine globale Dimension fordert, bis hin zum sechszackigen Stern beim Osnabrücker Erziehungswissenschaftler Gerhard Becker (Becker 2017), der die klassischen drei Säulen um Bildung, Gerechtigkeit und Partizipation erweitert. Hinter diesen Modellvorschlägen stecken aufgeladene Debatten – nicht nur darüber, wie viele Dimensionen zu berücksichtigen sind, sondern auch darüber, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen: von der klassischen Metapher der nebeneinanderstehenden „Säulen“, über Schnittmengenmodelle bis hin zu Teilmengenbeziehungen (siehe Abb. 1).

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      In der Tat hat es lediglich der geringste Informationsgehalt des Drei-Säulen-Modells zu breiterer Bekanntheit gebracht, nach dem es bei der Nachhaltigkeit ‚irgendwie‘ um Umwelt, das Soziale und die Wirtschaft geht. Das unverbundene Nebeneinander dieses ‚Irgendwie‘ haben Karl-Werner Brand und Georg Jochum (Brand/Jochum 2000) einst zu dem schönen polemischen Bild des dreispaltigen Wunschzettels inspiriert, in dem jeder Akteur seine Interessen unterzubringen vermag. Aus der Kritik der bloßen Addition von Aspekten entstand insbesondere in der unternehmerischen Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit das Triple-bottom-line-Modell, das nachhaltige Entwicklung in der Schnittmenge der drei Dimensionen verortete: Nachhaltig ist Entwicklung nur dann, wenn sie nicht isoliert einer Dimension diene, sondern allen (Elkington 1997).

      Dem gegenüber sehen Teilmengenmodelle eine Gewichtung oder Hierarchisierung der Dimensionen vor: Insofern sich gesellschaftliche Entwicklung innerhalb ökologischer Systeme vollziehe und das Wirtschaften der gesellschaftlichen Entwicklung diene, sehen entsprechende Modelle diese Systeme als ineinander eingebettet an. Das vielleicht jüngste, inzwischen weit verbreitete Modell ist der sogenannte Oxfam-Doughnut, benannt nach der britischen Nichtregierungsorganisation Oxfam in Anlehnung an die Form eines Donuts. Die für Oxfam tätige Ökonomin Kate Raworth schlug anlässlich der UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung Rio+20 im Jahr 2012 vor, Nachhaltigkeit als einen Korridor zu verstehen. Entwicklung müsse, um nachhaltig zu sein, zum einen gewährleisten, unterhalb planetarischer Belastungsgrenzen zu bleiben, um die Stabilität und Tragfähigkeit ökologischer Systeme nicht zu gefährden (Raworth 2012). Sie müsse zugleich aber auch sicherstellen, dass ein Mindestmaß sozialer Grundsicherungen vorhanden ist, das es allen Menschen ermöglicht, ein gutes Leben zu führen. Der durch entsprechende Mindeststandards (untere Begrenzung) und entsprechende Maximalstandards (obere Begrenzung) bestimmte Korridor stelle den Handlungsraum für eine gleichermaßen sichere und gerechte Entwicklung der Menschheit dar. Bedeutsam an diesem Korridormodell erscheint, dass die Wirtschaft hier nicht länger als eine eigene Dimension oder Säule betrachtet wird, sondern als eine von mehreren Voraussetzungen für ein gutes menschliches Leben aufscheint, ansonsten aber keinen Eigenwert mehr darstellt.

      Die vier knapp skizzierten Modelle eines Nachhaltigkeitsverständnisses machen bereits deutlich, wie sehr sich Vorstellungen unterscheiden können, etwa im Hinblick darauf, welcher Nachhaltigkeitsdimension sie Vorrang einräumen oder welches Gerechtigkeitskonzept ihnen zugrunde liegt. Auch können in Nachhaltigkeitsdiskussionen ganz unterschiedliche Vorstellungen von gesellschaftlichen Veränderungs-bedarfen zum Ausdruck kommen: solche, die nachhaltige Entwicklung innerhalb bestehender Strukturen für möglich halten (Status quo), solche, die grundsätzliche Reformen für nötig halten, ohne allerdings bestehende Strukturen vollständig infrage zu stellen (Reform), und solche, die eine radikale Transformation bestehender Wirtschafts- und Herrschaftsordnungen für nötig erachten (Transformation) (Hopwood/Mellor/O’Brien 2005). Eine weitere einflussreiche Unterscheidung von Nachhaltig-keitsverständnissen stammt von den Greifswalder Umweltethikern Konrad Ott und Ralf Döring (2004). Ott und Döring fragen danach, was erhalten (sustained) und was entwickelt (developed) werden soll, und betrachten dabei insbesondere die Frage der Austauschbarkeit von Naturkapital durch andere Kapitalarten wie z. B. Humankapital oder Sachkapital. Positionen, die von der Erhaltung bzw. Vermehrung des Gesamtkapitals ausgehen und dieses als nachhaltig betrachten, dabei aber den Austausch von Naturkapital (bspw. Aussterben von Pflanzen- und Tierarten) durch Sachkapital (neue medizinische Behandlungsmethoden) als legitim betrachten, bezeichnen Ott und Döring als „schwache“ Nachhaltigkeit. Demgegenüber gehen Positionen „starker“ Nachhaltigkeit davon aus, dass das Naturkapital einen Eigenwert besitze, um seiner selbst willen zu schützen und zu vermehren sei und daher nicht durch andere Kapitalarten ausgetauscht werden dürfe (vgl. Kap. 14/Meireis). Auch wenn diese Perspektive auf den ersten Blick abstrakt und lebensfern wirkt – bei vielen Konflikten (Naturschutz vs. wirtschaftlich-technologische Entwicklung, etwa beim Bau einer neuen Flughafenlandebahn im Lebensraum seltener Tierarten) sind es genau diese Fragen und Konflikte, die eine Rolle spielen.

      Nachhaltigkeitskommunikation als Teil der Nachhaltigkeitswissenschaft beschäftigt sich somit zusammenfassend damit, wie Menschen sich mit den aufgeworfenen Fragen auseinandersetzen und sich miteinander über sie austauschen, welche Vorstellungen von Mensch-Natur-Verhältnissen und erstrebenswerten Zukünften sie dabei entwickeln und wie sich die Verständigung darüber fördern lässt, um den gesellschaftlichen Such-, Lern- und Gestaltungsprozess einer nachhaltigen Entwicklung zu unterstützen.

      Nachhaltigkeitskommunikation findet in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (Arenen) und verschiedenen Ausrichtungen (Modi) statt. Schließlich ist Nachhaltigkeitskommunikation stets auch eine Praxis, Verständnisse von Nachhaltigkeit zu rahmen (Topoi). Die folgenden Beispiele zeigen, wo, wie und was als Nachhaltigkeit kommuniziert wird.

      Wo wird Nachhaltigkeit kommuniziert?

      Die Idee der Nachhaltigkeit hat in den vergangenen 25 Jahren eine Virulenz entwickelt, die zu einer diskursiven Auseinandersetzung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen geführt hat. Dementsprechend gibt es – anders als in Bereichen wie der Gesundheitskommunikation – keine sektoralen Grenzen oder gesellschaftlichen Subsysteme, auf die Nachhaltigkeitskommunikation begrenzt werden könnte bzw. in denen sie beheimatet ist. So wenig, wie es eine Theorie der Nachhaltigkeitskommunikation gibt, gibt es somit einen klaren Ort der Nachhaltigkeitskommunikation (vgl. Michelsen 2005).

      Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig zu klären, in welch verschiedenen Arenen Nachhaltigkeitskommunikation in der Praxis stattfindet und wissenschaftlich beobachtet werden kann. Angelehnt an Unterscheidungen von gesellschaftlichen Subsystemen aus der soziologischen Systemtheorie skizzieren Newig et al. (2013) Tendenzen der Nachhaltigkeitskommunikation in den Bereichen Zivilgesellschaft, Bildung, Massenmedien, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft (Newig et al. 2013). Innerhalb dieser großen gesellschaftlichen Bereiche lassen sich weitere Arenen konkretisieren, in denen sich Akteure deutend mit der Idee der Nachhaltigkeit auseinandersetzen. In ihrem Handbuch Nachhaltigkeitskommunikation unterscheiden Michelsen und Godemann (2005) verschiedene Handlungsfelder und Akteure: von Naturschutz über Konsum, Verkehr und Energie bis hin zu Unternehmen, Kommunen und Bildung. Eine weitere Unterscheidung, die den Gegenstandsbereich der Nachhaltigkeitskommunikation enger oder weiter fasst, ist die nach der expliziten oder impliziten Thematisierung von Nachhaltigkeit in der Kommunikation. Explizite Thematisierungen setzen sich auf direkte Weise mit dem Nachhaltigkeitsbegriff auseinander und deuten ihn aktiv aus. Beispiele sind politische Nachhaltigkeitsstrategien, unternehmerische Nachhaltigkeitsberichte oder schulische Programme zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE). Implizite Thematisierungen verwenden den Begriff der Nachhaltigkeit nicht notwendigerweise, eine aktive Ausdeutung des Begriffs findet hier nicht statt. Jedoch gibt es indirekte Bezüge, indem auf zentrale Problemstellungen