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Nachhaltigkeit interdisziplinär


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      Diese Dynamik lässt sich an folgender Grafik ablesen (vgl. Abb. 2). Für alle Grundgrößen sind die Daten zwischen 1900 und 1970, die zu dieser Zeit vorliegen, eingetragen – danach wird die Kurve durch Hochrechnungen ergänzt. Man sieht, wie bis 2020 Nahrungsmittel, Industrieproduktion, aber auch Umweltverschmutzung und Bevölkerung steigen – nur die Rohstoffvorräte fallen. Um 2050 gibt es dann einen Wendepunkt und deutlichen Abfall der Bevölkerungszahlen. Das Wissen wird hier über Computersimulationen gewonnen. Ausgehend von Daten zu Grundvariablen eines Systems und deren Interaktion werden zukünftige Entwicklungen hochgerechnet und in Graphen visualisiert. Dies bedeutet allerdings „die Abhängigkeit des Erkenntnisfortschritts von der Leistungsfähigkeit der Rechner“ (Gramelsberger 2010: 95).

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      Abb. 1: aus: Meadows et al. 1980: 113.

      Die Forscherinnen und Forscher des MIT formulieren den Anspruch, ihr Modell sei „das einzige existierende Modell, das wirklich weltweite Bedeutung hat“ (Meadows et al. 1980: 15). Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie über einen der zu dieser Zeit wenigen Computer mit entsprechender Rechenkapazität verfügten.21 Der Vorteil ihres Modells ist außerdem, dass man mit ihm experimentieren kann, indem man die Variablen ändert und dann die Auswirkungen dieser Änderungen in Probeläufen durchspielt (vgl. Gramelsberger 2010: 157). Diese informationstechnologischen Möglichkeiten prägen auch die Weltwahrnehmung: „Computer geben Einblicke in das Innere der Phänomene, indem sie das gesamte Gebiet der Mannigfaltigkeiten als mathematischen Möglichkeitsraum eröffnen“ (Gramelsberger 2010: 255).

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      Wie sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst positionieren – auch im Verhältnis zu den anderen Menschen –, zeigt eine Grafik, die im Anfangsteil des Buches abgebildet ist (vgl. Abb. 2). Sie wirkt wie eine nüchterne wissenschaftliche Grafik. Die darauf eingetragenen Punkte könnten errechnet sein, bei genauerem Betrachten wirken sie jedoch grob gesetzt – beim Verfertigen schien es eher um die Veranschaulichung eines allgemeinen Prinzips gegangen zu sein. Dennoch referiert die Grafik stilistisch auf das ‚Genre‘ mathematisch-exakter Darstellungen.

      Die beiden Achsen stellen Raum und Zeit dar. Auf den Achsen sind nun jeweils durch Striche markierte Zonen eingetragen. Die Beschriftung weist sie aus als „Familie“, „Arbeit, Stadt, Nachbarschaft“, „Nation“, „Erde“ (Meadows et al. 1980: 13). Auf der Zeitachse gibt es die Abschnitte „kommende Woche“, „nächste Jahre“, „Lebensspanne“, „Lebensspanne der Kinder“.22 Im Text wird dazu erläutert, dass es sich bei den Punkten um die menschlichen Belastungen oder Sorgen handele. Je nachdem, wo der „Zentralpunkt jeder menschlichen Sorge […] in dieses Koordinatensystem eingetragen“ (Meadows et al. 1980: 12) sei, beziehe sie sich auf zeitlich und räumlich Naheliegendes oder Ferneres.

      Die Sorgen der meisten Menschen konzentrieren sich in der linken unteren Ecke; dieser Teil der Menschheit hat ein schweres Leben; er hat sich fast ausschließlich darum zu bemühen, sich und seine Familie über den nächsten Tag zu bringen. Andere wieder können über den Tag hinaus denken und handeln. Sie empfinden nicht nur eigene, sondern auch Lasten der Gemeinschaft, mit der sie sich identifizieren. Ihre Handlungsziele erstrecken sich über Monate und Jahre. (Meadows et al. 1980: 12)

      Zunächst einmal ist die letzte Bezugseinheit die Menschheit – die Grafik ist untertitelt mit „Aussichten der Menschheit“ (Meadows et al. 1980: 13). Diese Einheit wird in sich differenziert, es werden verschiedene Rollen verteilt. Diese Differenzierung sei keine normative, sondern eine, die sich objektiv nach rein mathematisch berechenbaren Kriterien richte – das suggeriert die Darstellungsweise der Grafik. Die Menschen werden danach eingeteilt, wie weitsichtig sie denken und handeln können, sowohl zeitlich als auch räumlich gesehen. Demnach sind links unten diejenigen verortet, die zeitlich wie räumlich begrenzt denken und handeln. Daher rührt die Qualifikation, dass sie „ein schweres Leben“ hätten. Auch der nächstliegende Teil der Menschheit empfinde „Lasten“, aber sie bezögen sich eben auf weitere Kreise, wie die „Nation“, und auch zeitlich werde in längeren Zeitspannen gedacht und gehandelt.

      Nun steckt implizit bereits in dieser Grafik eine weitere Rolle: die Selbstverortung der Beschreibenden. Dies ist die Einleitung in einen Bericht, der den Zustand der Menschheit bzw. der Erde beschreiben und dabei Berechnungen anstellen möchte, wie diese sich über die nächsten Jahrhunderte entwickeln werden. Die Forscherinnen und Forscher gehören folglich, wie sie dann auch selbst schreiben, „in die obere rechte Ecke des Koordinatensystems von Abbildung 1“ (Meadows et al. 1980: 14). Es handelt sich um die Wenigen, die in der Lage sind, auf die größtmögliche räumliche Einheit – die Erde, die Menschheit oder den Planeten – und eine langfristige Zeitspanne – von „Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten“ (Meadows et al. 1980: 15) – bezogen zu denken und Handlungsvorschläge zu machen, also den „langfristigen weltweiten Problemen“ (Meadows et al. 1980: 15) nachzugehen.23

      Das Verständnis von Nachhaltigkeit in den Grenzen des Wachstums ist am Ideal des Gleichgewichts ausgerichtet:

      Wir suchen nach einem Modellverhalten, das ein Weltsystem repräsentiert, das 1. aufrechterhaltbar [sustainable] ist ohne Tendenz zu plötzlichem unkontrolliertem Zusammenbruch und 2. die Kapazität besitzt, die materiellen Bedürfnisse der Weltbevölkerung zu befriedigen.24

      Ein entsprechendes Modellverhalten sähe so aus, dass sich die verschiedenen Größen wechselseitig und innerhalb ihres Regelkreises in einem systemischen Gleichgewicht halten (vgl. Abb. 3). Auch wenn sie in Form ‚nüchterner‘ Graphen dargestellt werden, so handelt es sich dennoch um zwei völlig verschiedene, aber durchaus drastische Zukunftsszenarien, die hier einander gegenübergestellt werden: den ‚Kollaps‘ des Weltsystems und das systemische Gleichgewicht.25

      Unsere gemeinsame Zukunft

      Als Ergänzung der beiden anderen Texte möchte ich auf zwei Kernaspekte aus der Analyse des Brundtland-Reports mit dem Titel Unsere gemeinsame Zukunft eingehen – alle weiteren Kriterien aber aus Platzgründen auslassen.26 Im Anschluss an das letzte Beispiel sei gleich zu Beginn gesagt, dass im Brundtland-Report das Wachstum wieder eingeführt wird, aber als „dauerhafte Entwicklung“ („sustainable development“), und es wird der Versuch unternommen, die oben beschriebene soziale Asymmetrie über die Zusammensetzung einer „Weltkommission“ zu umgehen (vgl. Brand/Jochum 2000: 20–25). Die Kommission wird 1983 von den Vereinten Nationen als ein unabhängiges Gremium initiiert.27 Ihr gehören Mitglieder aus 22 Ländern aller Kontinente an. Geleitet wird sie von der späteren norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland. Nach drei Jahren gemeinsamer Arbeit legt die Kommission 1987 der UNO-Generalversammlung ihren Bericht vor. Ihr Verständnis von Nachhaltigkeit definiert sie wie folgt: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (Weltkommission 1987: 46).

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      Der Anlass für ihre Arbeit besteht in der Gefährdung der Umwelt: „eine gemeinsame Besorgnis um den Planeten und die verflochtenen ökologischen und wirtschaftlichen Bedrohungen“ (Vorwort Brundtland in Weltkommission 1987: XXII f.). Zur Verdeutlichung zählen sie die Umweltkatastrophen auf, die sich allein während der drei Jahre ihrer Arbeit ereigneten: darunter sind die Dürre in Afrika, das Bhopal-Unglück in Indien und Tschernobyl (vgl. Weltkommission 1987: 5). „Diese Herausforderungen überschreiten die Grenzen nationaler Hoheit, begrenzter Strategien von wirtschaftlichem Gewinn und