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Nachhaltigkeit interdisziplinär


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Diesen wolle er durch Vorschläge für eine „pflegliche[ ] Holtz-Cultur“ überwinden – und das komme dann auch einer „florierende[n] Commercila“ zugute. Auf welche Weise er den Holzmangel bekämpfen möchte, nimmt er im Kern hier schon vorweg: Es gehe darum, die Brachflächen und abgeholzten Felder wieder aufzuforsten.9 Der geographische Bereich, auf den er sich bezieht, sind die „Churfürstl. Sächsischen Landen“. Zeitlich hat er seine Gegenwart, aber auch die Zukunft – „so wohl voritzo / als künfftighin“ – im Blick, denn die Maßnahmen seien auch „denen Nachkommen zum Besten“.

      Anhand der fünf Kernaspekte lässt sich von Carlowitz’ Darstellung folgendermaßen strukturieren: Den Anlass zur Niederschrift seiner Vorschläge bildet für von Carlowitz der Holzmangel.10 Dieser habe dazu geführt, dass bereits viele Bergwerke in Europa und weltweit nicht mehr ausgelastet seien und folglich auch nicht mehr auf ihre Kosten kämen (vgl. von Carlowitz 2013: 99) – letztlich handelt es sich also um eine ökonomische Begründung. Als Ursache für den Holzmangel identifiziert er den Umstand, dass viele Wälder abgeholzt und zu landwirtschaftlichen Flächen oder Gärten und Teichen umfunktioniert worden seien (vgl. von Carlowitz 2013: 98).

      Die entscheidende Ressource ist das Holz. Dessen Zentralität begründet von Carlowitz allgemein und insbesondere in Bezug auf den Bergbau (2013: 98):

      daß man ohne dasselbe [das Holz] / nebenst dem lieben Brodt / weder zu Saltze noch Schmaltze zugelangen / noch zu kochen / zu brauen / ja nicht in Trocknen zu wohnen / noch weniger den Leib den harten Winter durch / vor Frost und Kälte gesund und bey Kräfften lebendig zu erhalten / vermag / zugeschweigen daß ohne dessen Bey-Hülffe auch bey dem Edlen Bergbau zu denen untersten Schätzen der Erden in keinerley Wege zukommen / und also weder Silber noch Gold / oder andere Metalle und Mineralien / worinnen doch der nervus rerum gerendarum [Hauptbeweggrund] bey dem gemeinen Wesen bestehet / fündig zu machen / zu schmeltzen / zu münzen / noch sonsten zu Nutze zu bringen.

      Dem drohenden Mangel will von Carlowitz durch Vorausberechnung der Holzbestände begegnen. In diesem Zusammenhang schreibt er immer wieder davon, dass man im Grunde die nächsten 100 Jahre im Blick haben müsse (vgl. etwa von Carlowitz 2013: 210). Letztlich geht es um eine Nullsummenrechnung, dass nur so viel Holz verbraucht werden kann, wie auch nachwächst. Um den Bedarf an Holz und die Bestände berechnen zu können, braucht er eine Bezugseinheit. Als solche fungiert bei ihm das Land Sachsen bzw. die darin zur Verfügung stehenden Waldflächen.11

      Um den Bestand zu konservieren, müssten weitere Flächen aufgeforstet werden. Hierzu braucht es ein genaues Wissen über die Aufzucht neuer Bäume, das Wachstum verschiedener Arten usf., kurz: die Forstwissenschaft, die er etablieren und deren Wissen er unter den Menschen verbreiten möchte.12 Das bedeutet auch, dass der Wald hier nicht als natürliches Ökosystem für sich geschützt werden soll. Vielmehr ist es ein Plädoyer für einen auf forstwissenschaftlichem Wissen beruhenden menschlichen Eingriff, der den Wald dann auch in eine forstwirtschaftliche Ressource wandelt (vgl. Kaufmann 2004: 174 f.).

      Hans Carl von Carlowitz ist Leiter des sächsischen Oberbergamts und besetzt somit die Stelle, an der alle Informationen zusammengeführt sowie die wichtigen forstwirtschaftlichen Entscheidungen getroffen werden.13 Wenn also jemand über das Wissen verfügt, das er hier zugleich einfordert und verbreiten möchte, dann er selbst. Somit stehen als Akteure14 er und seine Institution des Oberbergamts im Zentrum des beschriebenen Geschehens mit dem Anspruch, auf dieses einen erheblichen Einfluss ausüben zu können.

      Wenn man das Verständnis von Nachhaltigkeit, wie es hier formuliert ist, zusammenfasst, dann wird ein Bezug zu einer Einheit hergestellt – das ist hier das Land Sachsen. Innerhalb dieser Einheit geht es um Holz als endliche und lebenswichtige Ressource, die eine hohe ökonomische Relevanz aufweist. Diese Ressource wird nicht nur in der Gegenwart gebraucht, sondern auch in der Zukunft. Sie ist zwar endlich, aber sie wächst nach. Davon ausgehend wird eine einfache Rechnung aufgestellt: Man darf nur so viel Holz verbrauchen, wie in der gleichen Zeit nachwächst.15 Allgemein formuliert motiviert eine bestimmte Zukunftsvorstellung ein entsprechendes Handeln in der Gegenwart. In der konkreten Umsetzung dieses Handelns bedarf es dazu eines bestimmten Wissens. Denn man muss in der Lage sein zu kalkulieren, in welcher Zeit wie viel Holz der unterschiedlichen Baumarten nachwächst; zudem kann man das Wachstum gezielt fördern und unterstützen. Dieses forstwissenschaftliche Wissen – so wird hier angenommen – ist erforderlich, um überhaupt die Nachhaltigkeit über einen betreffenden Zeitraum berechnen zu können.

      Das, was hier Anfang des 18. Jahrhunderts als ein neues Wissen und Konzept im Hinblick auf die Beforstung des Waldes entwickelt wurde, findet sich als Metapher oder als eine Bedeutungsschicht in vielen Definitionen und Umschreibungen von Nachhaltigkeit bis in die Gegenwart.

      Die Grenzen des Wachstums

      Der zweite hier analysierte Grundlagentext wurde 250 Jahre später geschrieben: Die Grenzen des Wachstums von 1972.16 Das Buch geht auf die Initiative und finanzielle Unterstützung des Club of Rome zurück, der 1968 in Rom von Personen aus Wissenschaft und Politik gegründet wurde.17 Es wurde von einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfasst, die sowohl auf dem Cover als auch im Klappentext als „Mitarbeiter der berühmtesten westlichen Denkfabrik, des Massachusetts Institute of Technology (MIT)“18 vorgestellt werden.

      In beiden Paratexten des Buchumschlags wird bereits das Ergebnis zusammengefasst:

      Das Fazit ist eindeutig: Unser Bevölkerungs- und Produktionswachstum ist ein Wachstum zum Tode. Der ‚teuflische Regelkreis‘ – die Menschheitszunahme als Ursache und Folge der Ausplünderung unseres Lebensraums – kann nur durch radikale Änderung unserer Denkgewohnheiten, Verhaltensweisen und Gesellschaftsstrukturen durchbrochen werden.

      Man müsse weiterhin auf Technik und Wissenschaft setzen, aber nicht mit dem Ziel, das Bruttosozialprodukt zu erhöhen. Vielmehr habe das Meadows-Team den „Zustand eines stabilisierten Gleichgewichts“ (Klappentext von Meadows et al. 1980) errechnet, den man noch erreichen könne.

      An dieser Stelle setze ich nun wieder die fünf Kernaspekte ein, um das Verständnis von Nachhaltigkeit, wie es hier formuliert ist, zu konturieren und vergleichbar zu machen. Die Forschenden des MIT sind Systemtheoretiker und gehen von einem dynamischen Systemverständnis aus. Ihr Ziel ist es, ein Weltmodell aufzustellen, mit dem sich die globale Entwicklung berechnen lässt. Dazu stellen sie die aus ihrer Sicht zentralen Grundgrößen auf: „Bevölkerung, Kapital, Nahrungsmittel, Rohstoffvorräte und Umweltverschmutzung“ (Meadows et al. 1980: 76). Hier handelt es sich nicht nur um Ressourcen im engeren Sinn, sondern um andere Faktoren, die aus ihrer Sicht entscheidend die weltweite Entwicklung bestimmen.

      Das Forscherteam betrachtet diese Grundgrößen als voneinander abhängige Variablen. Im Sinne des dynamischen Systemkonzepts werden sie als wechselwirkende Teile verstanden. Um solche Wechselwirkungen berechnen und hochrechnen zu können, braucht es auch hier eine Bezugseinheit: Das ist „die Menschheit“ (Meadows et al. 1980: 12), „die Erde“ (Meadows et al. 1980: 13) oder das Weltsystem, für das es dann entsprechend ein „Weltmodell“ (Meadows et al. 1980: 15) gibt. Außerdem wird jede Grundgröße für sich noch einmal als Regelkreis beschrieben mit Faktoren, die eine Zunahme begünstigen, und solchen, die zur Abnahme der Größe beitragen. Dieses Weltmodell übernehmen sie von Jay Forrester und dessen kybernetischem Ansatz der Systems Dynamics (Seefried 2015: 60, 267 f.). Mit den Grundgrößen, ihren Regelkreisen und den Daten, die dazu vorliegen, lassen sich Computerberechnungen anstellen und das Verhalten der Variablen zueinander testen.19 Der zeitliche Rahmen dazu wechselt, mal geht es um den „Zeitraum zwischen 1900 und 2100“ (Meadows et al. 1980: 79), mal bis zum Jahr 2000 oder auch deutlich länger.

      Die Computersimulationen führen zu eindeutigen Ergebnissen, welche die Forscher als Anlass zu deren Publikation schildern: „Wir kamen dabei zu Erkenntnissen, wie sie sich schon vielen weiterblickenden Menschen aufdrängten: daß die kurzen Verdoppelungszeiten im System der Menschheit uns erstaunlich rasch an die Grenzen des Wachstums heranführen werden“ (Meadows et al. 1980: 75). Die Entwicklung vollziehe sich nicht nur exponentiell, sondern „super-exponentiell“ (Meadows et