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Nachhaltigkeit interdisziplinär


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Maßstab der Bedrohungen.28 „Die zu bewältigenden Probleme sind sowohl miteinander verflochten als auch Teil eines größeren Ganzen“ (Weltkommission 1987: 11).

      Es gibt noch einen weiteren Anlass und Einheitsbezug, der in den ersten Sätzen des Berichts formuliert wird:

      Mitte des 20. Jahrhunderts gewahrten die Menschen zum ersten Mal den Anblick, den ihr Planet aus dem All bietet. Vielleicht werden künftige Historiker einmal zu der Einsicht gelangen, daß dieser Anblick unser Bewußtsein grundlegender veränderte, als es selbst der – das menschliche Denken zutiefst erschütternden – Kopernikanischen Revolution des 16. Jahrhunderts durch das Verbannen der Erde aus dem Mittelpunkt der Welt gelungen war. Aus dem All erscheint die Erde als kleine, zerbrechliche Kugel, geprägt nicht von menschlichem Wirken, sondern von Wolken, Ozeanen, Wäldern und Kontinenten. Die Unfähigkeit der Menschen, ihr Wirken diesen Gegebenheiten unterzuordnen, hat grundlegende Auswirkungen auf globale Wirkungszusammenhänge zur Folge. Viele dieser Auswirkungen gehen Hand in Hand mit lebensbedrohenden Gefahren. Dieser neuen, unentrinnbaren Wirklichkeit gilt es ins Auge zu sehen, und sie müssen wir in den Griff bekommen. (Weltkommission 1987: 1)

      Hier wird der Anblick des Planeten – nicht mehr unbedingt der Welt oder der Erde – aus dem All geschildert. Die Erzählperspektive, die dabei eingenommen wird, entspricht dem Blick aus dem Weltraum. Aus großer räumlicher Distanz wird die ‚kleine, zerbrechliche Kugel‘ beschrieben. Auch zeitlich handelt es sich um die Fern-Perspektive zukünftiger Historiker, die auf diese Zeit zurückblicken bzw. die Geschichte der letzten Jahrhunderte überblicken.29

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      Der Blick aus dem All, der am Anfang des Zitats aufgerufen wird, bezieht sich auf eine Aufnahme, die der Astronaut Harrison Schmitt am 7. Dezember 1972 im All beim Flug mit der Apollo-17-Kapsel gemacht hatte (vgl. Abb. 4).30 Sie wurde „blue marble“, also ‚blaue Murmel‘, und dann später ‚der Blaue Planet‘ betitelt (vgl. Heise 2008: 22–28; Schneider 2018: 335–379). Sie zeigt im Original den Südpol oben und ist „zur besseren Orientierung“ meist um 180° gedreht. Dieser fotografischen Aufnahme geht das Bild „earthrise“ vom 24. Dezember 1968 voraus (Apollo 8), das William Anders aufgenommen hatte (vgl. Abb. 5).31 Es wurde im Original mit der Mondfläche in der Vertikalen fotografiert, wird aber meist um 90° gedreht. Beide Fotos haben zunächst einmal dokumentarischen Charakter. Aber schon der Umstand, dass sie anders gezeigt als fotografiert werden, verdeutlicht, dass sie mehr darstellen als bloß fotografische Aufnahmen – sie haben, so könnte man vorsichtig formulieren, eine Orientierungsfunktion, man verortet sich selbst, das eigene Dasein auf der Erde, über diese Bilder, weswegen ihre Ausrichtung auch so wichtig ist.32

      Das Bild earthrise wurde, kurz nachdem es gemacht worden war, im Rahmen einer Live-Fernsehsendung noch am Weihnachtsabend 1968 gezeigt und die drei Astronauten wurden zugeschaltet. Sie begrüßten die Zuschauer und anschließend kommentierte William Anders live aus dem All:

      Wir nähern uns nun dem lunaren Sonnenaufgang. Und für alle Menschen unten auf der Erde hat die Besatzung der Apollo 8 eine Botschaft, die wir euch senden möchten: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe. Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser, und Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht. […] Und von der Besatzung der Apollo 8: wir schließen mit einem Gute Nacht, Viel Glück, fröhliche Weihnachten und Gott segne euch alle – euch alle auf der guten Erde.33

      Wenn man sich die Begleitumstände dieses Bildes anschaut, dann ist vor allem klar, dass die Apollo-Mission eine Reaktion auf den Sputnik-Schock von 1957 darstellte und den Kontext also noch der Weltraum-Wettlauf mit der Sowjetunion bildete (1969 fand die erste bemannte Mondlandung statt). Es ging also um politisches Prestige und die Konkurrenz in hochtechnologischen Entwicklungen.

      Die Bedingungen, unter denen das Foto entstanden ist, stehen in deutlichem Kontrast zu der Wirkung, die ihm zugesprochen wird. Steward Brand, der das Vorgängerbild34 auf das Cover seines „Whole Earth Catalog” nimmt, kommentiert den Effekt des Bildes folgendermaßen: „Bucky [Buckminster Fuller] led me to this notion. He said people still think the earth is flat because they act as if its resources are infinite. But that photograph showed otherwise […]. This is all we’ve got and we’ve got to make it work. There’s no backup.“ Das nennt Frank White später den „Overview-Effekt“.35

      Weil man die Erde als ganze sehen kann, wird zugleich deren Begrenzung deutlich – dass sie keine unendliche Fläche darstellt. Das ähnelt der Endlichkeits-Einsicht, wie sie schon von Carlowitz formuliert hatte. Hatte dieser die begrenzten Holzvorräte des Landes Sachsen thematisiert, wird hier der Blick auf die größtmögliche Bezugseinheit gelenkt: den Planeten Erde. Bei Meadows et al. spielte das Motiv der Begrenzung der Ressourcen ebenfalls eine wichtige Rolle: Die Grenzen des Wachstums formuliert die zentrale Erkenntnis bereits im Titel.36 Auch darin werden globale Zusammenhänge thematisiert (die fotografischen Aufnahmen der Erde existierten zu dieser Zeit bereits, es wird auf sie aber nicht direkt Bezug genommen). Allerdings macht es für die Darstellung der Einheit, auf die sich das Nachhaltigkeitsverständnis bezieht, einen Unterschied, ob sie aus sich wechselseitig bedingenden Variablen innerhalb eines Weltsystems dargestellt wird oder als von außen als ganzer erfassbarer Planet Erde. Im ersten Fall werden vor allem die Wechselwirkungen, die wechselseitige Abhängigkeit der einzelnen Systemelemente voneinander thematisiert; in der zweiten Darstellung wird die Einheit, aber vor allem auch die Begrenzung der ‚einen, kleinen Erde‘ im All sichtbar.

      Wie der Anfang des Buches bereits zeigt, wird mit diesem Blick aus dem All eine quasi göttliche Perspektive eingenommen – die ihren Widerhall auch im Rezitieren der biblischen Schöpfungsgeschichte durch die Astronauten findet. Aber die Schöpfung wird dadurch eine menschliche Aufgabe. „Mit dem Leitbild ist eine Gestaltungsaufgabe in einer Komplexität verbunden, die einmalig in der Menschheitsgeschichte ist: Die Menschheit bzw. Weltgesellschaft ‚als Ganzes‘ wird zum Objekt von bewusster Gestaltung“ (Grunwald/Kopfmüller 2012: 15). Stewart Brand schreibt in seinem Whole Earth Catalogue gleich zu Anfang „We are as gods“ (1968: 2). Im Weiteren führt das Erringen der gottähnlichen Außenperspektive zum „Verlust des Außen“37. Mit der planetarischen Positionierung und der Entgrenzung der Referenz auf die größtmögliche Einheit der Erde geht zugleich der geschilderte Eindruck der Begrenzung einher. Man fühlt sich zur Begrenzung des eigenen Wirkens aufgefordert und beansprucht zugleich die Gestaltung des Ganzen. Auch die Haltung zu Technik, Fortschritt und Wissenschaft ist ambivalent, weil sie einerseits zu der Zerstörung beigetragen hätten, andererseits lägen die hochtechnologischen Bedingungen der Raumfahrt dieser Ansicht der Erde und der damit einhergehenden Einsicht zugrunde (vgl. Heise 2008: 23 f.).

      Das Bild der blue marble dominiert noch heute die Visualisierungen von Nachhaltigkeit, was man schnell sehen kann, wenn man Nachhaltigkeit in der Bildersuche bei Google eingibt. Meist findet man Darstellungen des Blauen Planeten – oft noch mit zwei Händen, die ihn schützen oder halten.

      Die Analysen der drei Grundlagentexte der Nachhaltigkeitsdebatte haben gezeigt, dass sich anhand der fünf Kernaspekte (Anlass, Ressource, Bezugseinheit, Wissen und Akteure) das jeweilige Verständnis von Nachhaltigkeit klarer konturieren lässt und die unterschiedlichen Wissensformationen dadurch vergleichbar werden. Ein Vergleich kann die genannten Anlässe und die Weise, wie mit ihnen ein bestimmtes Handeln plausibilisiert wird, nebeneinanderstellen. Interessant wäre auch, wie sich die Bezugseinheit, mit der die Erhaltung der Ressourcen berechnet