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Nachhaltigkeit interdisziplinär


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wovor sie sich fürchten. Kurz: Nachhaltigkeitsvorstellungen bilden einen wichtigen Teil des sozialen Imaginären – zumindest westlicher Gesellschaften (vgl. Kagan, im Erscheinen). Die Vagheit und Offenheit des Verständnisses scheint dabei eine bereichsübergreifende Kommunikation erst zu ermöglichen.3 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Nachhaltigkeit für fast alle einen positiven Referenzpunkt darstellt, der hinsichtlich seiner Bedeutung aber nicht festgelegt ist.

      Wie konnte Nachhaltigkeit diese prominente gesellschaftliche Stellung erlangen, die man mit Ernesto Laclau als „empty signifier“ (Laclau 2002: 69), als ‚leeren Signifikanten‘ bezeichnen könnte?4 Wo ist das Konzept der Nachhaltigkeit zuerst aufgetaucht? In welche anderen Bereiche wurde es dann übertragen? Seit wann ist es zu einem „absoluten Begriff” (Schüttpelz 2007: 25) aufgestiegen, der nicht mehr nur einem spezifischen Bereich zugeordnet werden kann, sondern in fast allen gesellschaftlichen Teilbereichen eine Referenz darstellt?

      Diese weitreichende diskursgeschichtliche Rekonstruktion kann hier nicht geleistet werden. Stattdessen konzentriere ich mich im Folgenden auf die unterschiedlichen Verständnisse von Nachhaltigkeit. Ein wesentlicher Aspekt wird dabei sein, wie Nachhaltigkeit als wissenschaftlicher Gegenstand behandelt worden ist. Denn im Fall des Nachhaltigkeitsdiskurses gingen entscheidende Impulse von wissenschaftlichen Darstellungen aus, die in der Folge massenmedial aufgegriffen und öffentlich diskutiert wurden. Drei Texte, die für die Nachhaltigkeitsdebatte prägend waren und immer noch als richtungsweisend gelten, stehen im Zentrum meiner Analyse: Das 1713 erschienene Buch Sylvicultura oeconomica von Hans Carl von Carlowitz (2013); die von Donella H. sowie Dennis L. Meadows und ihrem Team 1972 publizierte Schrift The Limits to Growth (dt.: Die Grenzen des Wachstums), die auch als Bericht des Club of Rome bekannt geworden ist (Meadows et al. 1980); und schließlich der sogenannte Brundtland-Report, also der Text, den eine unabhängige UNO-Kommission 1987 unter dem Titel Our Common Future (dt.: Unsere gemeinsame Zukunft) vorstellte (Weltkommission 1987).

      In der Analyse habe ich fünf Kernaspekte herausgearbeitet, die in allen drei Texten eine wesentliche Rolle spielen. Das gilt zunächst für diese drei Schriften; die Motive und Fragen sind jedoch so grundlegend, dass sie mir geeignet erscheinen, um generell bei der vergleichenden Analyse von Nachhaltigkeitsdiskursen eingesetzt zu werden.5 Insofern handelt es sich um idealtypische Konstruktionen, um eine Heuristik, die aus den historisch-konkreten Formen abgeleitet ist. Entsprechend muss man sie anpassen, wenn andere Quellen mit einbezogen werden. Die idealtypische Heuristik ermöglicht es aber, sich in den diversen und oftmals diffusen Auffassungen dessen, was Nachhaltigkeit bedeutet, zu orientieren, Vergleichsanalysen anzufertigen und innerhalb eines Nachhaltigkeitsdiskurses dessen inhärente Konsequenzen durchzuspielen. Wie die Beispielanalysen im Folgenden zeigen werden, beschränke ich mich dabei nicht auf Begriffe oder Ideen. Vielmehr beziehe ich mit ein, in welchen Metaphern, Diagrammen und technischen Kontexten das Wissen über Nachhaltigkeit formuliert, dargestellt und dadurch eben auch formiert wird.6

      Die fünf Kriterien oder Kernaspekte sind: erstens, der Anlass, welcher im Text als Grund oder Motivation für die Darstellung angegeben wird; zweitens, die Ressource, die erhalten werden soll; drittens, die Bezugseinheit, auf die sich die Berechnung des zu Erhaltenden bezieht; viertens, das Wissen, welches man benötigt, um entsprechende Berechnungen anstellen zu können; und fünftens, die Akteure und ihre Positionierung, also wer in welcher Weise aktiv oder passiv beteiligt ist, in welchem institutionellen Setting etc. und wie sich die Autorin oder der Autor bzw. deren jeweilige Institution selbst in Bezug auf das beschriebene Problem positioniert.

      Sylvicultura oeconomica

      Das Buch Sylvicultura oeconomica ist im Kontext dieser Analyse deswegen interessant, weil viele davon ausgehen, dass hier zum ersten Mal das Konzept der Nachhaltigkeit formuliert wird – etwa Ulrich Grober (2010) in seiner Rekonstruktion des Nachhaltigkeitsdiskurses. Das Wort ‚nachhalten‘ war zwar zuvor bereits gebräuchlich (vgl. Kaden 2012), aber bei von Carlowitz sei zudem ein grundlegendes Verständnis von Nachhaltigkeit entwickelt.7 Der Satz, der als Beleg dafür eine erstaunliche Prominenz erhalten hat, aber meist nur gekürzt und ohne weiteren Kontext wiedergegeben wird, ist folgender:

      Wird derhalben die gröste Kunst / Wissenschafft / Fleiß / und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unent berliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse [Wesen] nicht bleiben mag. (von Carlowitz 2013: 216)

      Hier taucht der Ausdruck „nachhaltende Nutzung“ [Hervorh. T. S.] auf und charakterisiert die Weise, in der der Wald bewirtschaftet werden sollte. Damit ist im Kern ein Grundsatz formuliert, welcher den Nachhaltigkeitsdiskurs der letzten 30 Jahre geprägt und dessen Aussage nicht an Plausibilität verloren hat: Im Wald sollte man nicht mehr Holz schlagen, als nachwächst. Als Ausgangspunkt für die Analyse des Nachhaltigkeitsdiskurses lohnt es sich also, genauer zu untersuchen, durch welche wesentlichen Elemente sich von Carlowitz’ Verständnis von Nachhaltigkeit auszeichnet. Allerdings sei in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass es sich dabei um ein Spezifikum des deutschsprachigen Diskurses handelt.8

      Gleich zu Anfang, noch in der Widmung für den Kurfürsten von Sachsen, Friedrich August I., formuliert von Carlowitz seine Beweggründe für das Verfassen dieses umfangreichen Werkes (2013: 94): Es gehe ihm darum,

      den Handel und Wandel zuerheben / und dadurch sattsame Nahrung und Unterhalt für sie [„die armen Unterthanen“] zu conserviren / worunter der Berg-Bau bey Ew. Königl. Maj. Weltberufenen Sächsischen Ertz-Gebürge / als ein großes Momentum, zum Besten des gemeinen Wesens / bevorab zu rechnen / dadurch viele herrliche Städte / Flecken und Dörffer eingebauet / viel tausend Menschen ernehret / große Summen Geldes in Deroselben und Dero benachbarten Landen zum rouliren bracht / und vermittelst derer Metallen und Mineralien auch daraus gefertigten Manufacturen / das Commercium bey der Kauffmannschafft ins Land gezogen / je mehr und mehr verstärcket / darinnen erhalten / und folglich Ew. Königl. Maj. hohes Interesse immer möglichst befördert wird.

      Der „Handel und Wandel“ soll angeregt werden, um die Menschen der Region zu ernähren. Dabei stellt der Bergbau ein „großes Momentum“, also einen entscheidenden Aspekt, „zum Besten des gemeinen Wesens“ dar. Was hier ebenfalls auftaucht, ist die Strategie „zu conserviren“ und „bevorab zu rechnen“, also Berechnungen anzustellen, die künftige Entwicklungen vorhersagen und dadurch Nahrung und Unterhalt sichern können. Insgesamt handelt es sich um einen Vorschlag, der – im Sinne des „Commercium“ – auf wirtschaftliche Erfolge abzielt, um auf diese Weise wiederum dem Gemeinwohl, auch in Zukunft, zu dienen.

      Im anschließenden Satz wird noch einmal die wesentliche Rolle betont, welche die Bergwerke spielen. Es ist tatsächlich ein Satz; in dem auch der Zusammenhang mit dem Wald bzw. dem Holz hergestellt wird:

      In dieser Betrachtung nun / und sonderlich wie die Bergwercke / als das edle Kleinod und unschätzbare heilige Nahrungs-Mittel / bey Ew. Königl. Maj. Churfl. Sächß. Landen / wegen anscheinenden Holtz-Mangel künfftig nicht in Abfall kommen / und dadurch die florierende Commercia gehemmet werden möchten / […] wie das Holtzwesen in Ew. Königl. Maj. Churfürstl. Sächsischen Landen etzlicher maßen zu unterhalten / und der befürchtende Holtz-Mangel durch den Anflug und Wiederwachs des jungen Holtzes / bey und auf denen großen Blösen / und Stock-Räumen / derer in viel tausend Ackern bestehend abgetriebener und abgehöltzter Wälder / denen Nachkommen zum Besten / nach und nach wiederzuersetzen / und dadurch den lieben Bergwerck / (welches in Ew. Königl. Majest. Landen / durch Gottes Seegen unerschöpfflich / aber ohne sattsames Holtz / nicht geführet werden mag) so wohl voritzo / als künfftighin zu Vermehr- und Erweiterung zu statten zu kommen / zumahl weil doch Grund und Boden gnugsam hierzu vorhanden / und bey dessen pfleglicher Holtz-Cultur solches hinfüro nicht ermangeln kan. (von Carlowitz 2013: 94 f.)

      Die Bergwerke werden hier als „Kleinod“ und „unschätzbare heilige Nahrungs-Mittel“ beschrieben. Sie seien