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Nachhaltigkeit interdisziplinär


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die Population tierischer Schaderreger in Schach halten und ein aktives Bodenleben wesentlich zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit beiträgt. Dank des Wissens über diese ökosystemischen Dienstleistungen haben nachhaltige Produktionsverfahren wieder einen hohen Stellenwert in der Landwirtschaft erhalten. Das Kapitel stellt exemplarisch nachhaltige Verfahren im oberrheinischen Weinbau vor, die sich in der Praxis bereits bewährt haben.

      Mit Entscheidungsfragen rund um die Gestaltung von Kulturlandschaften befasst sich auf einer anderen Ebene auch die Raum- und Stadtplanung. Eine nachhaltige Raumentwicklung ist verknüpft mit einem Ausgleich sozialer und wirtschaftlicher Ansprüche an die Nutzung des begrenzten Raums im Einklang mit seinen ökologischen Funktionen. Christian Lamker beleuchtet die auf Ebene von Städten und Gemeinden stattfindende Diskussion um eine nachhaltige bauliche und infrastrukturelle Gestaltung von Städten und Stadtquartieren sowie die auf regionaler bis nationaler Ebene ausgetragene Debatte um Fragen der Daseinsvorsorge, deren Ziel letztlich gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilräumen Deutschlands sind. Neue Aktualität gewinnen derzeit Diskussionen um nachhaltiges Flächenmanagement und Wohnraumversorgung im Zusammenhang mit der Integration der Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen auf nationaler Ebene. In Anbetracht der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (2002, Neuauflage 2016), die eine Reduzierung der Neuinanspruchnahme von Siedlungs- und Verkehrsflächen fordert, ist die angestrebte nachhaltige Flächenentwicklung – so zeigt Lamker am Fallbeispiel deutschen Flächenverbrauchs und -managements – ein komplexes, kontroverses und konfliktreiches Thema. Lamker empfiehlt, die Nachhaltigkeitsdebatte kontinuierlich fortzusetzen, konstruktiv mit anderen Diskursen zu verbinden und auf diesem Fundament kreative Ansätze zur Reduktion der Flächenneuinanspruchnahme zu entwickeln und zu erproben.

      Auch die Humangeographie hat sich schon früh theoretisch und empirisch mit Nachhaltigkeitskonzepten befasst. Gegenstand einer humangeographischen Nachhaltigkeitsforschung ist die räumliche Differenzierung von nachhaltigen und nicht nachhaltigen Entwicklungen auf unterschiedlichen räumlichen und administrativen Ebenen. Hartmut Fünfgeld und Samuel Mössner stellen Ansätze aus unterschiedlichen Teildisziplinen und Forschungsfeldern der Humangeographie vor: Während die Stadtgeographie sich mit der Implementierung und Mobilisierung von Green-City- resp. Eco-City-Politiken beschäftigt, werden aus Sicht einer Geographie von Gesellschaft und Umwelt die Adaption und Resilienz gegenüber Klimawandelfolgen untersucht. Wirtschaftsgeographische Ansätze fokussieren Prozesse der Transition und Green Economies; die Politische Geographie hingegen widmet sich Manifestationen von sozialer Ungerechtigkeit und der Konstruktion von Machtverhältnissen durch Nachhaltigkeitsinitiativen und -politiken. Diese Vielfalt von Ansätzen und Gegenständen demonstriert die Berührungs- und Anknüpfungspunkte zwischen Humangeographie und anderen Disziplinen, bevor in zwei Fallstudien die Nachhaltigkeitsstrategien von Münster und Melbourne, zweier vielgepriesener Vorzeigestädte, diskutiert werden.

      Mit urbaner Nachhaltigkeit beschäftigt sich auch Philippe Hamman in einem Beitrag aus der Perspektive der (Stadt-)Soziologie, der bei seinen Fallbeispielen verschiedene Aspekte der Stadt Strasbourg – von der Ökomobilität über Energieversorgung und -verbrauch bis zum ‚Ökoviertel‘ – in den Blick nimmt und dabei verschiedene Konzepte und Praktiken in Relation zueinander setzt. Zunächst führt er jedoch differenziert in die soziologischen Nachhaltigkeitsdiskurse ein, schwerpunktmäßig in diejenigen aus dem frankophonen Raum. Im Abgleich mit den im Zuge der Globalisierung immer dominanteren englischen Begrifflichkeiten ebenso wie mit den deutschsprachigen (vermeintlichen) Äquivalenten treten neben sprach- und kulturbedingten Unterschieden auch konzeptuelle Differenzen zutage. Hammans Beitrag identifiziert die drei wichtigsten Dialektiken, die in der Forschung Beachtung gefunden haben: zwischen global und lokal, zwischen kurz- und langfristig sowie zwischen Grundsätzen und Anwendung. Vor diesem Hintergrund evaluiert Hamman den Wert der ‚Nachhaltigkeit‘ als Paradigma, reagiert aufzunehmende Kritik am Konzept der ‚nachhaltigen Entwicklung‘ und diskutiert die je nach Interpretation konkurrierenden oder verwandten Konzepte von Resilienz und Transition. Hierbei werden sämtliche Dimensionen des Nachhaltigkeitsbegriffs bedacht: weltanschauliche, analytische, diskursiv-narrative, utopische, politische, praktische und wissensgenerierende.

      Praktische und wissensgenerierende Aspekte vereint auch das Kapitel von Rebekka Volk, das sich Konzepten von Nachhaltigkeit in der Betriebswirtschaft widmet. Es geht dabei auf ein weiteres Anliegen dieses Kompendiums ein: das Aufzeigen von Möglichkeiten potenziell nachhaltigen Konsums in ihrer Komplexität, Vielschichtigkeit und auch Widersprüchlichkeit. Im Unterschied zu populärwissenschaftlicher Ratgeberliteratur möchte dieses Kompendium zeigen, dass dem Wunsch nach einem nachhaltigeren Leben auf Seiten der Konsumentinnen und Konsumenten oft ein Informationsdefizit im Weg steht und dass die Bewertung von nachhaltigem Konsumverhalten nur auf Basis wissenschaftlicher Studien und Erkenntnisse möglich ist, nicht aber aufgrund intuitiver Einschätzungen. Zu vielschichtig sind die diversen Aspekte und Komponenten, die zu berücksichtigen sind. Rebekka Volk beleuchtet die Problematik hinsichtlich der Messbarkeit von Nachhaltigkeit, der Definition von Indikatoren sowie ihrer Gewichtung und diverser Zielkonflikte zwischen unterschiedlichen Aspekten von Nachhaltigkeit. Dabei setzt sie sich mit verschiedenen aktuellen Handlungsfeldern in betriebswirtschaftlichen Wertschöpfungsketten auseinander. Sie diskutiert Effizienz-, Suffizienz- und Konsistenzstrategien, Technologiewechsel, die Kreislaufführung von Produkten bzw. Rohstoffen und die Einführung von transparenten Umweltmanagementsystemen anhand von zwei Fallstudien zu nachhaltigem Produktdesign (Automobilindustrie und Gebäudesanierung im Zeichen der Energiewende). Volk konstatiert eine Reihe von Defiziten, Hemmnissen und Interessenskonflikten bei der praktischen Umsetzung von Nachhaltigkeit im betriebswirtschaftlichen Kontext und plädiert für Systemänderungen, etwa durch disruptive Technologien, politische Entscheidungen und Instrumente (wie etwa den europäischen CO2-Emissionszertifikatehandel), neue Geschäftsmodelle (beispielsweise Sharing-Konzepte) und gesteigerte Produktverantwortung von Herstellern.

      Der Komplexität und den Herausforderungen von nachhaltigem Konsum widmet sich ganz zentral auch das Kapitel von Rainer Grießhammer, Corinna Fischer, Dietlinde Quack und Franziska Wolff, die Nachhaltigkeit aus dem Blickwinkel der Produkt- und Konsumforschung betrachten. Auch dieser Beitrag setzt sich mit der Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten auseinander, einem Bereich, in dem Rainer Grießhammer und die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Öko-Instituts als Pioniere gelten. Das Kapitel referiert die Geschichte des nachhaltigen Konsums in einer Zusammenschau mit der Entwicklung der Ökobewegung und erläutert Analysewerkzeuge der Nachhaltigkeitsbewertung. Dabei stellt es Konzepte wie Ökobilanz, Lebenszykluskostenrechnung, Sozialbilanz und Produktnachhaltigkeitsanalyse vor. Es differenziert zwischen ökologischem und nachhaltigem Konsum, für dessen Bewertung zusätzlich zur Umweltbelastung auch soziale und volkswirtschaftliche Aspekte in Betracht gezogen werden. In beiden Bereichen wird der derzeitige Entwicklungsstand trotz einer Vielzahl an internationalen Abkommen und Deklarationen zur Förderung von Nachhaltigkeit als ungenügend eingestuft. Grießhammer, Fischer, Quack und Wolff besprechen Hemmnisse für nachhaltigen Konsum und stellen anhand einer Fallstudie zum Fahrradverkehr eine Transformationsmatrix mit sechs Schwerpunkten vor, die als Basis einer Strategie zum Erreichen von nachhaltigem Konsum dienen kann. Grießhammer und seine Ko-Autorinnen verstehen den Weg dorthin als komplexen Transformationsprozess.

      Diese Sichtweise bekräftigen auch Isabel Jaisli und Emilia Schmitt, die in ihrem Kapitel zur Ernährungsgeographie zeigen, welche tiefgreifenden Veränderungen vonnöten wären, um das Ernährungssystem nachhaltig zu machen, und wie komplex die Bewertung von Nachhaltigkeit in diesem Kontext ist. Jaisli und Schmitt plädieren daher für einen holistischen Ansatz, der – ganz im Sinne dieses Kompendiums – verschiedenste Aspekte mit einbezieht, die nach der Expertise unterschiedlicher Disziplinen verlangen. Eine holistische Betrachtung des Ernährungssystems legt den Fokus demnach nicht nur auf naturwissenschaftlich-technische Aspekte der Nahrungsmittelproduktion, sondern berücksichtigt auch Erkenntnisse aus den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Mithilfe von Fallstudien zu lokaler Ernährung, biologischer Produktion, fairem Handel und Fleischkonsum gelingt es Jaisli und Schmitt, Konflikte zwischen diversen Dimensionen von Nachhaltigkeit herauszuarbeiten und zu zeigen, dass neben Politik und Wirtschaft auch die Konsumentinnen und Konsumenten selbst gefordert sind, sich den vielschichtigen Herausforderungen auf dem Weg zu einem nachhaltigen Ernährungssystem zu stellen und ihren Beitrag zu leisten.

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