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Nachhaltigkeit interdisziplinär


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über die drei analysierten Jahre erhöht haben (ein Ausreißer ist die TAZ, deren Anteil im Jahr 2007 zwischenzeitlich abfiel). Im Jahr 2013 lag der Anteil der integrativen Bedeutung zwischen 10 und 20% – ein im Vergleich zu dem Anteil der alltagssprachlichen Bedeutung, der zwischen 36 und 60% liegt, relativ kleiner Anteil. Des Weiteren variiert der Anstieg des Anteils unter den verschiedenen Zeitungen zwischen den drei untersuchten Jahrgängen zwischen Faktor 1.2 und Faktor 2.0 (einzige Ausnahme: Der SPIEGEL hat einen Erhöhungsfaktor von 5.2).

      Die Ergebnisse der empirischen Studie zeigen, dass sich die Qualität der Begriffsverwendungen geändert hat. Die Studie deutete eine Tendenz in den post-2000er Jahren an, derzufolge eindimensionale und integrative Begriffsverwendungen an Bedeutung gewinnen. Parallel dazu nimmt die Verwendung von alltagssprachlichen Bedeutungen ab. Wir beobachten somit offensichtlich eine ‚semantische Aufwertung‘ der Terminologie von Nachhaltigkeit, welche sich von einem nicht-spezifischen und ersetzbaren Modewort weg bewegt hin zu einer anspruchsvolleren und ausgearbeiteten Reflektion von Modellen einer nachhaltigen Entwicklung.

      Was bedeuten diese Ergebnisse vor dem Hintergrund der Ziele, die Nachhaltigkeitskommunikation wie zuvor beschrieben zugrunde liegen? Wie hängt das, was in den Medien an Bedeutungen kommuniziert wird, mit gesellschaftlicher Veränderung zusammen? In den Kommunikationswissenschaften wird davon ausgegangen, dass die Medien „einen nicht unerheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung“ (von Gross 2008: 282) haben. Jedoch ist dieser Einfluss nicht direkt und unvermittelt: Die Medien geben „nicht vor, was Menschen denken, sondern worüber nachgedacht wird“ (ebd.). Wenn nun also in den Medien zum Beispiel besonders viel über den Klimawandel berichtet wird, heißt das noch nicht, dass alle Menschen davon ausgehen, dass es den Klimawandel gibt und dass er vom Menschen verursacht wurde. Aber zumindest steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Klimawandel in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Gibt es keine oder nur sehr wenig Berichterstattung, so ist der Klimawandel in der Öffentlichkeit wahrscheinlich auch kein beachtetes Thema. Die Themen, die in den Medien behandelt werden, bestimmen also maßgeblich die Themen, die in der Gesellschaft diskutiert werden. Zu unterscheiden sind somit Medienagenda und Publikumsagenda. Beide sind wechselseitig aufeinander bezogen und stets durch Selektion vermittelt – die mediale Realität spiegelt die gesellschaftliche Realität eben nicht unmittelbar wider, sondern stellt einen Ausschnitt aus den verschiedenen gesellschaftlichen Realitäten dar, genauso wie die Medienagenda selbst, wie zuvor dargestellt, nicht unmittelbar das bestimmt, was gedacht wird.

      Der von der Studie festgestellte Zuwachs an Nachhaltigkeitskommunikation im engeren Sinne, sowohl was Umfang als auch was Qualität betrifft, legt vor diesem Hintergrund nahe, dass die Idee der Nachhaltigkeit auch gesellschaftlich intensiver und mit veränderten Bedeutungszuschreibungen diskutiert wird. In der Tat deuten aktuelle Studien darauf hin, dass die Bekanntheit des Nachhaltigkeitsbegriffs in der deutschen Bevölkerung über die Jahre zugenommen hat (Scholl et al. 2016). Zugleich legen die Befunde über die noch immer recht geringen Anteile von expliziter Nachhaltigkeitskommunikation sowie die ungebrochene Dominanz alltagssprachlicher Begriffsverwendungen nahe: Vom Anspruch der Nachhaltigkeitskommunikation, die Idee der Nachhaltigkeit als übergreifende Perspektive für Entwicklungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu verstehen und Bezüge zwischen diesen Bereichen herzustellen, um so ein Problembewusstsein zu fördern und Veränderungen anzustoßen, ist die Auseinandersetzung mit dem Nachhaltigkeitsbegriff in den Medien noch ein gutes Stück entfernt.

      Nachhaltigkeitskommunikation in dem hier zugrunde gelegten Verständnis stellt eine notwendige Bedingung für eine nachhaltige Entwicklung dar: Ohne eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den kontroversen (!) Fragen, die sich in der Suche nach, Verständigung über und Gestaltung einer lebenswerten und lebensfähigen Zukunft stellen, werden entsprechende Veränderungsprozesse nur schwerlich erfolgreich sein. Nachhaltigkeitskommunikation muss dabei sowohl Kommunikation von, über und für Nachhaltigkeit sein – sie muss verstehen helfen, Verständigung stiften und ausgerichtet sein auf eine bestimmte normative Perspektive – Bedürfnisbefriedigung für alle, heute und in Zukunft, im Rahmen planetarischer Grenzen.

      Den Abschluss sollen drei Vorschläge bilden, die als Lösungsansätze für drei problematische Entwicklungen verstanden werden können: Reintegration, Repolitisierung und Reessenzialisierung (siehe Marwege/Fischer 2016).

      1.Die Ausdehnung der Nachhaltigkeitskommunikation über verschiedene gesellschaftliche Teilbereiche (z. B. Marketing, Bildung, Medien) in immer kleinteiligere Kommunikationszusammenhänge ist – so wünschenswert sie in der skizzierten Zielsetzung der Nachhaltigkeitskommunikation auch sein mag, eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Idee der Nachhaltigkeit anzuregen – mit neuen Problemen behaftet: Mit der Spezialisierung der Diskurse entstehen neue Sprachen und Begriffe, die zwar kontextsensitiv sind, aber neue Verständigungsprobleme und Exklusionstendenzen bergen. Eine große Herausforderung liegt darin, die Verständigung über die engen Diskursgrenzen hinweg anzustreben und den Diskurs über eine nachhaltige Entwicklung wieder auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu reintegrieren.

      2.Nachhaltigkeit ist insbesondere im Konsumsektor zu einem wichtigen Produktmerkmal geworden. Mehrfach wurde in den vergangenen Jahren in den Nachhaltigkeitswissenschaften vor einer weitreichenden Privatisierung von Nachhaltigkeitsthemen gewarnt, insbesondere unter dem Begriff des nachhaltigen Konsums. Wenn zum Beispiel über das Wohl des Klimasystems und damit einhergehend soziale Stabilität weltweit vor allem durch die Hand von Verbraucherinnen und Verbrauchern entschieden werden soll – siehe zum Beispiel die Kritik von Armin Grunwald (2010) an der „Privatisierung der Nachhaltigkeit“ –, dann ist sehr wahrscheinlich Überforderung die Folge. Eine große Herausforderung liegt darin, die Nachhaltigkeitskommunikation durch das Aufgreifen politischer Kontroversen und bürgerschaftlicher Dimensionen eines Engagements für Nachhaltigkeit wieder zu repolitisieren. Statt lediglich an das Konsumverhalten der Menschen zu appellieren, könnte Nachhaltigkeitskommunikation demokratische Aushandlungen und öffentliche Debatten anstoßen: Wie wollen wir als Gesellschaft den Wechsel in eine klimaschonende Energieversorgung organisieren (Stichwort „Energiewende“)? Was sind Minimalstandards, auf die Menschen in Deutschland einen Anspruch haben sollten (Stichwort „Grundsicherung“)? Welche Rechte und Pflichten hat die ältere gegenüber der jüngeren Generation (Stichwort „Rentenkrise“)?

      3.Die Idee der Nachhaltigkeit war immer Anspruch und Einladung zugleich. Sie fordert, anderen Menschen heute und in Zukunft ein gutes Leben zu ermöglichen, ohne dabei unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören. Durch die Unbestimmtheit dessen, was dies genau bedeutet, erfordert die Idee der Nachhaltigkeit immer Aushandlung und Verständigung und damit Kommunikation. Eine große Herausforderung liegt somit darin, nicht aus den Augen zu verlieren, worum es eigentlich bei der „Großen Transformation“ der Gesellschaft für eine lebenswerte Zukunft geht, und Kommunikation zu diesen Fragen zu stiften: Dabei muss es weder notwendigerweise um den Begriff der Nachhaltigkeit selbst (Nachhaltigkeitskommunikation im engeren Sinne) noch ausschließlich um die Initiierung neuer Debatten gehen. Eine Herausforderung für die Nachhaltigkeitskommunikation (im weiteren Sinne) besteht darin, gesellschaftliche Diskurse zur Energiewende, Grundsicherung oder zur Rentenkrise nicht unverbunden nebeneinander zu führen, sondern sie auf die Idee der Nachhaltigkeit und die grundsätzlichen Fragen der Gerechtigkeit, die sie aufwirft, zurückzubeziehen und sie damit zu „re-essenzialisieren“.

      Die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen formulieren ambitionierte Ziele für den Zeitraum bis 2030. Um die gesetzten Ziele zu erreichen und die Fähigkeit zur demokratischen Selbststeuerung zu fördern, braucht es eine wirksame Nachhaltigkeitskommunikation, die in der Lage ist, die Idee der Nachhaltigkeit mit Diskussionen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu verknüpfen und Verständigungsprozesse darüber zu stiften, in welche Richtung aufgrund welcher Werte unsere Gesellschaft sich entwickeln soll.

      Anmerkung

      Der Beitrag synthetisiert Teile aus Einzelveröffentlichungen des Autors (Fischer/Haucke 2016; Fischer et al. 2016; Fischer 2017; Marwege/Fischer 2016).