Группа авторов

Nachhaltigkeit interdisziplinär


Скачать книгу

für eine nachhaltige Entwicklung, in: NNA-Berichte, 12, 1999, 45–53.

      Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hauptgutachten 2011 (Welt im Wandel). Berlin 2011. https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/hauptgutachten/hg2011/pdf/wbgu_jg2011.pdf, Zugriff: 31.03.2019.

      1Basierend auf Humphreys (1996: 81 f.).

      2Erstes Quartal 2015, basierend auf IVW (2015).

       Roderich von Detten

      In als instabil und risikoreich erlebten Zeiten wächst das Bedürfnis nach Sicherheit und Verlässlichkeit. Werden Komplexität und Zukunftsunsicherheit im globalen Maßstab in den verschiedensten räumlichen und zeitlichen Kontexten unter (massen)medialen Bedingungen in zumeist krisenhaften Erzählungen oft als quasi ‚naturgegeben‘ wahrgenommen, so wächst die Sehnsucht nach Gewissheit, Stabilität, Maß und Gleichgewicht, und auch nach Kontrolle ins Unermessliche. Dass also die Vorstellung von „Nachhaltigkeit“ zu einem Leitbild der zweiten Moderne (vgl. Beck 1996) avancieren konnte, mag kaum verwundern.

      Wenn mit dem verbreiteten, oft auch inflationären Gebrauch des Nachhaltigkeitsbegriffs die Mehrdeutigkeit und die Vagheit beklagt werden (vgl. z. B. Brand/Görg 2002: 26 ff.; Grunwald 2004: 327 f.),1 ihm eine „begrenzte Leitbildfähigkeit“ (Brand/Görg 2002: 27 ff. bzw. 74 ff.) attestiert wird und die Nachhaltigkeit ihre Prägnanz und ihr kritisches Potenzial zu verlieren droht, so wird gerne nach dem Original gesucht. Genau an dieser Stelle kommen die Forstwirtschaft bzw. die Forstwissenschaften ins Spiel. Nicht überraschend ist es vor allem der forstliche Fachbereich selbst, der diese Karte allzu bereitwillig spielt und dabei gerne den Bogen von der zum Teil des forstwissenschaftlichen Gründungsmythos gewordenen Nachhaltigkeit nach Carlowitz (1713) zum aktuellen, Forstwirtschaft und Forstwissenschaft verbindenden Leitbegriff spannt und gar zum „ehernen“, also zeitlos gültigen Prinzip hinter dem Ziel einer globalen nachhaltigen Entwicklung erhebt, für das die deutsche Forstwirtschaft Urheber, Pate und Hüter zugleich zu sein beansprucht. In der medialen alltäglichen Wahrnehmung und durchaus auch in Expertendiskursen ist dieses Narrativ nach wie vor weit verbreitet und der Förster ist zum symbolischen Hüter der Langfristigkeit par excellence geworden. Vielleicht wird gerade deshalb im Forstbereich immer wieder das Ziel verfolgt, dem Leitbegriff eine orientierende Funktion zurückzugeben. Dabei geht es meist nicht allein darum, in engen, kontextbezogenen Definitionen eine korrekte Bedeutung festzuschreiben, sondern die Deutungshoheit darüber zu klären.

      Der vorliegende Beitrag versucht mit dem Blick auf die beiden Ebenen des Forstfachbereichs – forstliche Praxis und Forstwissenschaften – eine kritische Bestandsaufnahme des Konzepts der Nachhaltigkeit und lotet dabei aus, inwieweit der Gebrauch des Begriffs und seine Funktionen im forstlichen Fachdiskurs paradigmatisch für den allgemeinen Umgang mit dem Konzept stehen. Viele Beobachtungen sind dabei allgemeiner Art – und lassen sich auch für andere Begriffe machen, die sich im Problembereich des langfristigen Umgangs mit natürlichen Ressourcen an der Seite der Nachhaltigkeit etabliert haben. Zum einen wird damit die Ebene der Waldwirtschaft – also die praktische Bewirtschaftung von Waldökosystemen – bedacht, zum andern ist damit stets die für die praktische Waldbewirtschaftung unumgängliche langfristige Forstplanung angesprochen. Zunächst wird der forstliche Kontext beleuchtet, in dem Begriff und Konzept der Nachhaltigkeit wirksam werden konnten, bevor Verwendungsweisen des Nachhaltigkeitskonzeptes aufgezeigt werden. Zum Schluss wird Kritik an der Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffs aufgegriffen und erörtert, was das Beispiel eines forstfachlichen Umgangs mit der Nachhaltigkeit für den Nachhaltigkeitsdiskurs insgesamt lehren kann.

      Nachhaltigkeitsanspruch und forstliche Entscheidungsprobleme

      Dass im Jahre 2013 das 300-jährige Erscheinen der Sylvicultura oeconomica von Hans Carl von Carlowitz in Deutschland im Rahmen eines großangelegten bundesweiten Aktionsprogramms in einer bis dato unvergleichlichen Weise gefeiert wurde (vgl. DFWR 2013), ist in mindestens zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Dabei wird deutlich, in welchem Maße der Nachhaltigkeitsbegriff im 21. Jahrhundert erstens zum Gründungs-narrativ der Marke „Forstwirtschaft aus deutschen Landen“ gehört und zweitens als symbolische Klammer über eine mindestens 300-jährige Geschichte herhalten muss (Slogan: „Wir sind nachhaltig – und das seit 300 Jahren“), welche die unterschiedlichsten Ziele, Strategien, Bewirtschaftungskonzepte und mithin alle erfolgreichen und auch weniger erfolgreichen Wege der Waldbewirtschaftung umgreift. Beide Tatsachen verweisen auf eine zentrale Funktion der Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffs in den Forstwissenschaften und in der Forstwirtschaft: Er ist zunächst Platzhalter für eine unüberschaubare Fülle an diversen, oft widersprüchlichen Wahrnehmungen, Bewertungen, Strategien und Handlungen, wenn es um den langfristigen Umgang mit Wäldern geht. Dabei wird er nach innen zum einigenden Band eines ganzen Fachbereichs und hier im Rahmen des Feierjahres gleichzeitig zum „Original“ erklärt, das als Reaktion auf die inhaltliche Ausweitung und den inflationären Gebrauch eben auch der Abgrenzung nach außen dient.

      Die forstliche Nachhaltigkeit ist nicht allein mit Blick auf ihre identitätsstiftende Bedeutung zu verstehen, sondern muss vor dem Hintergrund der Entscheidungsprobleme bzw. Erkenntnisprobleme gesehen werden, die sich in Forstwirtschaft bzw. Forstwissenschaften stellen. Dass die Bewirtschaftung von Wäldern durch eine spezifische Komplexität charakterisiert werden kann, ist vielfach beschrieben worden und hat in erster Linie mit der Langfristigkeit forstlicher Entscheidungen zu tun: zentrale Entscheidungen wie die Wahl von Baumarten oder Baumartenzusammensetzungen oder der sog. „Umtriebszeit“ (des Nutzungsalters von Baumbeständen) sowie die Entscheidung für die geeigneten waldbaulichen Strategien (Ernteverfahren, Verfahren der Durchforstung oder der sog. „Verjüngung“ von Wäldern) sind eng an natürliche Gesetzmäßigkeiten und durch die Umwelt gegebene Voraussetzungen geknüpft. Das langsame Wachstum von Bäumen, die in unseren Breiten (und abhängig von natürlichen Voraussetzungen wie menschlichen Zielsetzungen) frühestens im Alter von 60 Jahren, zumeist aber deutlich später (nicht selten nach bis zu 150 Jahren) geerntet werden, bedingt eine Weitsicht, die kaum durch das Wissen über die natürlichen Wachstumsbedingungen in diesem in der Zukunft liegenden Zeitraum gedeckt ist – ganz abgesehen vom Wandel der Eigentümerzielsetzungen und den Veränderungen im gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen oder technologischen Kontext, die sich im Laufe dieser Dekaden ergeben.

      Die Komplexität, die sich mit Blick auf die Wälder der Zukunft als Resultat des Zusammenspiels von natürlichen und sozialen Faktoren ergibt, ist groß – und je weiter der forstliche Entscheider in die Zukunft blickt, umso unschärfer das Bild und umso lauter das Rauschen. Forstwirtschaft ist der Versuch, Wälder langfristig zielgerichtet zu steuern – unter Bedingungen, die eine präzise Langfriststeuerung unmöglich machen. Wenn generell gilt, dass bei komplexen Entscheidungsproblemen die Voraussetzungen dafür fehlen, optimale Entscheidungen zu definieren, so fehlen mit Blick auf die Langfristigkeit der Forstwirtschaft zudem die Voraussetzungen für streng rationales Handeln, wo beim Zusammenspiel von natürlichen und sozialen Faktoren neben im engeren Sinne sachliche auch politische und moralische sowie affektive, d. h. emotionale Entscheidungskriterien treten.

      Die oben genannten zentralen Entscheidungen bei der Bewirtschaftung von Wäldern sind dabei niemals solche, die sich auf eine bestimmte Funktion von Wäldern (also z. B. die Holzproduktion oder ihre Bedeutung für den Naturschutz, die Wasserqualität etc.) bezieht: Vielmehr betrifft jede Nutzungsentscheidung zugleich Schutz- oder Erholungsfunktionen von Wäldern und umgekehrt. Jede Entscheidung zur Nutzung eines Baumes etwa ist zugleich die Entscheidung darüber, welche Wuchsbedingungen nach seiner Entnahme fortan herrschen, und