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Nachhaltigkeit interdisziplinär


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ist da die positive Vorstellung eines nachhaltigen Umgangs mit dem Wald, die auf Beruhigung, Stetigkeit, Gleichgewicht und Balance und die Versöhnung von Gegensätzen (Substanz und Produktivität, Erhalt und Wachstum, Ökonomie und Ökologie und Soziales, Gegenwart und Zukunft etc.) sowie auf den Erhalt der Fülle und die Bewahrung von Potenzialität gerichtet ist. Sie wird v. a. dann aktualisiert, wenn der Problematik der langfristigen Bewirtschaftung von Waldökosystemen unter Bedingungen von Komplexität, Unsicherheit, Risiko, Ambiguität, Kontingenz und Nutzungskonflikten mit Planungen und optimistischen Zukunftskonzepten begegnet werden muss. Die Rhetorik der Nachhaltigkeit wirkt kompensatorisch: Sie verlagert gegenwärtige Zielsetzungs- und Entscheidungsprobleme in die Zukunft,12 sie verdeckt Unsicherheit und Nicht-Wissen und ermöglicht einen Ebenenwechsel von einem sachlichen hin zu einem moralischen Diskurs und harmonisiert Ziel- und Interessenkonflikte im Rahmen einer universalen Zustimmungsfähigkeit.

      Kritik an Nachhaltigkeitsverwendungen und -diskursen

      Im forstlichen Fachbereich wurde viel Kritik an der Nachhaltigkeitsrhetorik geübt: an der Verwendung der Nachhaltigkeit als universal verwendbare Projektionsfläche, deren Gebrauch von schlechtem Gewissen entlastet, an dem meist fehlenden Bezug zu konkreten Interessen und Sachzwängen, zu konkreten sozialen Beziehungen und politischen Entscheidungsprozessen. Eine inhaltlich-konzeptionelle bzw. erkenntnistheoretisch fundierte Kritik ist weitaus seltener anzutreffen, ergibt sich aus dem bisher Gesagten allerdings zum einen aus der Vorstellung der Balance zwischen Gesellschaft und Umwelt, welche mit der Theorie komplexer und dynamischer Systeme nicht in Einklang zu bringen ist (moderne Gesellschaften als entropische/ungeordnete Systeme). Zum anderen – so wurde bereits deutlich – bleibt der Widerspruch zwischen dem Anspruch auf Langfristigkeit der Bewirtschaftung von Wäldern und der Tatsache der irreduziblen Unsicherheit im Umgang mit Komplexität und Dynamik sozio-ökologischer Systeme mit nicht-modellierbaren Interdependenzen bestehen. Eine weitere Ebene der inhaltlichen Kritik betrifft den Steuerungsoptimismus, der mit dem Gebrauch des Nachhaltigkeitsbegriffs zumeist verbunden ist. Dem wird entgegengehalten, dass Nachhaltigkeit in Bezug auf das Ziel einer langfristigen Handlungsstrategie als ein nur in begrenzter Weise gerichteter Prozess des Suchens und Lernens verstanden werden kann (Grunwald/Kopfmüller 2006: 12). Seltener wird mit Blick auf die Forstwirtschaft bzw. forstliche Nachhaltigkeit eine andernorts13 laut gewordene Kritik der Nachhaltigkeit als Ideologie geübt, die vom Leerformelvorwurf ausgeht.

      Versucht man, aus dem Befund der Polyvalenz und Wandelbarkeit der forstlichen Nachhaltigkeit als im Kern ethisches Postulat der Gerechtigkeit, Langfristigkeit und Ressourcenschonung, aus einer Betrachtung der Verwendungsweisen und Funktionen des Nachhaltigkeitsbegriffs in forstlichen Debatten sowie aus der sich damit verbundenen Kritik ein Fazit zu ziehen, so hat man es mit einem widersprüchlichen, gleichermaßen problematischen wie wirkmächtigen Begriff zu tun. Was sich verbietet, ist die naive, auf die selbsterklärende Form und den Konsens aller Beteiligten vertrauende Verwendung oder Lesart des Begriffs. Es besteht stattdessen die Notwendigkeit, von Nachhaltigkeiten auszugehen und für jeden Kontext zu ermitteln, welche Bedeutung und welche Funktion der Nachhaltigkeit beigemessen wird. Nachhaltigkeit ist stets, so lehrt die Geschichte und Gegenwart ihres Gebrauchs, ein Indikator für tieferliegende Denkmuster und Grundannahmen und damit auch ein Indikator (und potenzieller Katalysator) dafür, dass sich grundsätzliche Fragen nach Gerechtigkeit, Macht, Freiheit oder dem Umgang mit Unsicherheit stellen. Dass eine konzeptionelle und rhetorische Entgrenzung des Begriffs zu seiner Entleerung führen muss, macht eine Re- oder Dekonstruktion umso wichtiger. Die Strategie, Komplexität, Zukunftsungewissheit und soziale Undurchschaubarkeit mit Hilfe einer kompensierenden Nachhaltigkeitsrhetorik auf die normative Ebene zu verlagern, in die Zukunft zu verschieben oder in harmonische Utopien zu überführen, mag verbreitet sein: Gerade die auf Langfristigkeit ausgerichtete Forstwirtschaft ist aber ein paradigmatisches Beispiel dafür, dass Nachhaltigkeit ein (gesellschaftlich bzw. politisch auszuhandelnder) Gegenwartsbegriff bleibt und nicht als Zukunftsstrategie im engeren Sinne bedeutsam ist: Er spiegelt die Vorstellungen von einer gegenwärtigen Zukunft und klärt daher zuallererst über die eigenen Wahrnehmungen, Bewertungen und das vorhandene Wissen auf, das sich allerdings erst künftig als wertvoll oder zu begrenzt erweisen wird.

      Welche Zukunft aber hat der Nachhaltigkeitsbegriff selbst? Wo mit dem Begriff, wie gesehen, Utopien und langfristiger Gestaltungs- und Planungsoptimismus transportiert werden, werden angesichts einer für die letzte Dekade zu verzeichnenden wachsenden Sensibilität für Unsicherheit, Risiko und Kontingenz in unserer Risikogesellschaft alternative Konzepte wichtig. Auch wenn hierzu gerade im Forstbereich noch keine gesicherten Studien vorliegen, so markiert die wachsende Konjunktur von Konzepten wie Robustheit, Elastizität oder v. a. Resilienz einen Übergang vom Nachhaltigkeitsdenken und seinem Fokus auf Langfriststrategien, dauerhafte Verfahren und Lösungen hin zu stärker reaktiven Regelungen eines permanenten Ausnahmezustands. Mit der Vorstellung der sog. „Klimaplastizität“ von Wäldern (d. h. der Vorstellung, man könne Wälder begründen, die sich dem unvorhersehbaren Klimawandel selbstständig und dynamisch anpassen können) hat die Debatte um den Klimawandel dafür gesorgt, dass ein solcher Paradigmenwechsel auch in der Forstwirtschaft spekuliert werden darf.

      Zukunft will in Gestalt der Wälder von morgen, die bereits heute anzulegen sind (vgl. das o. g. Beispiel des Ziels, „klimastabile Wälder“ für morgen zu begründen), permanent entworfen und gestaltet werden. Dass es vor diesem Hintergrund zu kurz gegriffen wäre, Nachhaltigkeit allein als ein „Kind der Krise“ (s. o.) zu verstehen, zeigt ein abschließender Blick in die Geschichte der praktischen Waldwirtschaft. Nachhaltigkeit steht hier als Leitbild eines „reflektierten Umgangs mit Nichtwissen“ und „Handlungsanleitung unter dem Vorrang der schlechten Prognose“ (Karafyllis 2002: 273): Die die Waldwirtschaft regelnden Forst- oder Waldgesetze bzw. die damit verbundenen Regelordnungen (z. B. das Verbot von Kahlschlägen, strenge Auflagen beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oder auch die Verpflichtung zu einer aufwändigen Planung der Waldwirtschaft im Zehn-Jahres-Turnus) legen Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern vielerlei Schranken auf. Bei genauerer Betrachtung kreist diese „Sozialpflichtigkeit“ des Eigentums stets um die Frage, wie ein wie immer geartetes Nutzenpotenzial des Waldes gerade angesichts vielfältiger Risiken und Ungewissheiten und eines großen Bereiches an Nichtwissen zu erhalten ist. Diese explizit nachhaltigkeitsorientierten Regelordnungen sind in ihrem Kern Ausdruck von Bemühungen, angesichts von lokalen Besonderheiten, zeitlichen Schwankungen und der Erfahrungen stetigen Wandels Wälder zunächst zu erhalten und gegenüber neuen Bedingungen anpassungsfähig zu gestalten.14

      In Waldwirtschaft und Forstplanung zeigt sich in exemplarischer Weise der Widerspruch zwischen Langfriststrategien und irreduzibler Unsicherheit. Der forstliche Anspruch, Wälder nachhaltig, d. h. vor allem langfristig zielgerecht steuern zu können, ist also mit Vorsicht zu betrachten. Geschichte und Gegenwart der Waldbewirtschaftung zeigen, dass Nachhaltigkeit im Sinne des fortwährenden Erhalts vor allem bedeutet, dass mit dem Unvorhergesehenen gerechnet werden muss. Forstliche Nachhaltigkeit in diesem Sinne ist die über Jahrhunderte erworbene Fähigkeit, sich darauf so gut es geht einzustellen – durch Flexibilität, die Streuung von Risiken, durch Vielfalt und das Vertrauen in die Widerstandkraft und Regenerationskraft der Natur – und nicht zuletzt durch eine Rhetorik der Nachhaltigkeit, die den Wald in den guten Händen der Forstwirtschaft weiß.

      Zur Einführung empfohlene Literatur

      Detten, R. v.: Einer für alles? Zur Karriere und zum Missbrauch des Nachhaltigkeitsbegriffs, in: Sächsische Carlowitz-Gesellschaft (Hg.): Die Erfindung der Nachhaltigkeit. Leben, Werk und Wirkung des Hans Carl von Carlowitz. München 2013, 111–126.

      Höltermann, A./Oesten, G.: Forstliche Nachhaltigkeit, in: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hg.): Der deutsche Wald, 1/2001, 39–45.

      Karafyllis, N. C.: „Nur soviel einschlagen,