5: Zentrale methodische Zugänge zum Fall
Dabei sind drei Aufgaben methodisch zu gestalten:
1. Es geht um die systematische Sammlung und Verarbeitung verfügbarer Daten und Fakten sowie eigener Wahrnehmungen, z. B. aus Gesprächen oder Hausbesuchen. Hinzu kommen Wahrnehmungen und Einschätzungen Dritter. Sorgfältig beobachten, erfragen, ordnen, gegenüberstellen und nach Zusammenhängen suchen – dies sind hier wesentliche Aufgaben. Hauptproblem ist dabei, „die Spreu vom Weizen zu trennen“, also das Bedeutsame vom Nebensächlichen zu unterscheiden und daraus erste eigene Hypothesen zu erarbeiten, wie etwas zusammenhängen kann.
2. Zu ergänzen und zu konfrontieren sind solche meist professionellen Faktensammlungen, Einschätzungen und Deutungen mit den Erfahrungen und Deutungen der Menschen, um die es geht. Es gilt dabei vor allem, die Perspektive zu wechseln und andere Sichtweisen „zur Sprache zu bringen“. Bedeutsam ist, dass die gewählten Gesprächsformen mit Kindern und Eltern Raum für Erzählungen eröffnen und Menschen nicht das Gefühl vermitteln, lediglich zur Informationssammlung abgefragt zu werden. Nur durch echtes Zuhören und Nachfragen, Anregen und Deutungen anbieten können Eigen-Sinn und die Funktion biografischer Strategien und Muster der Lebensbewältigung gemeinsam rekonstruiert und in der Sprache der AdressatInnen dokumentiert werden.
3. Als Drittes muss die kritische Selbstreflexion des Hilfesystems hinzukommen sowie die Reflexion der meist unverstandenen Verquickung von Hilfe- und Lebensgeschichte in einem Fall – gut umsetzbar in Form einer Fallchronologie (Kap. 3.2.2). Dies öffnet den Blick auf die Themen und Konflikte im Hilfesystem, die oftmals durch die familiäre Geschichte, den Fall und seine Dynamik angeregt und verstärkt werden. Dieser selbstkritische Blick schützt einerseits AdressatInnen vor den Stellvertreter-Konflikten der Fachkräfte und eröffnet dem Hilfesystem andererseits diagnostische Zugänge über das Entschlüsseln von Übertragungen, Gegenübertragungen und Spiegelungen sowie von eigenen Handlungsroutinen und Selektionsmechanismen.
Kombination verschiedener Ansätze
Genauer betrachtet zeigt sich in diesen Zugängen eine Integration von Grundgedanken aus (auch erkenntnistheoretisch) unterschiedlichen konzeptionellen Ansätzen psychosozialer Diagnostik (Kap. 6). Für Fallverstehen und sozialpädagogische Diagnostik in der Kinder- und Jugendhilfe braucht es zum einen eine systematische, kriteriengeleitete Wahrnehmung und Dokumentation von Fakten und Beobachtungen und deren fachliche Bewertung, die auf aktuellem, forschungsbasierten Wissen aus den relevanten (Bezugs-)Disziplinen beruht. Dieser Aspekt erinnert an eher kategorial orientierte Konzepte, die Fallwissen mit „anerkanntem Allgemeinen“ in Beziehung setzen, zuordnen und Schlüsse daraus ziehen. Zum anderen ist auch und gerade die Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe immer ein ko-produktives Geschehen (von Spiegel 2018) und somit auf die Selbstdeutungen ihrer AdressatInnen und ihre Mitarbeit angewiesen. Dieser Zugang weist eine deutliche Nähe zu narrativ-biografischen Ansätzen auf. Und schließlich werden selbstreflexive und psychodynamische Ansätze bedeutsam, wenn Prozessualität und Institutionsgebundenheit sowie Beziehungsbedeutungen stärker ins Blickfeld rücken. Konzeptionelle Ansätze, die über lange Jahr eher kontrovers diskutiert wurden, sind in das hier entfalteten Konzept als bedeutsame Bezüge und methodische Elemente eingeflossen, wohl wissend, dass sie unterschiedlichen Denktraditionen folgen, die nicht ohne Weiteres kompatibel sind bzw. durchaus in Spannung zueinander stehen, die ausbalanciert werden muss.
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