Johannes Rüegg-Stürm

Das St. Galler Management-Modell


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komplex vernetzten Prozessen, elaborierter Fachexpertise sowie anspruchsvollen räumlichen und technologischen Infrastrukturen. Zudem ist an einer bestimmten Wertschöpfung oftmals eine Vielzahl von Akteuren beteiligt. Diese Akteure können den Wert einer Wertschöpfung in ihrem Gesamtkontext sehr unterschiedlich wahrnehmen und bewerten.

      Wie vielfältig sich heutige Wertschöpfung zeigt, illustrieren wir anhand von drei Beispielen:

      • Denken wir beispielsweise an eine junge Biotech-Unternehmung: Die grundlegende Wertschöpfung liegt vielleicht in der Entwicklung eines neuen Medikaments für Herz-Kreislauf-Störungen. Dafür zentral sind wissenschaftliche Erkenntnisse zu Wirkmechanismen im menschlichen Körper, neue Verfahren für die Forschung & Entwicklung (z.B. aus der Systembiologie) und neue Technologien (z.B. digitale Simulationsmodelle). Diese werden teilweise selbst, teilweise in Partnerschaften mit anderen Start-ups und mit etablierten Konzernen entwickelt und teilweise auch von diesen übernommen. Zugleich gilt es, die in relevanten Wissensgebieten besten Mitarbeitenden zu gewinnen und die nötigen finanziellen Mittel in mehreren Finanzierungsrunden sicherzustellen. Diese [28] Komplexität zu strukturieren, die richtigen Prioritäten zu setzen und nachhaltige Partnerschaftsbeziehungen mit unterschiedlichen Stakeholdern zu etablieren, erfordert eine wirksame Management-Praxis.

      • Oder denken wir an ein Orchester: Die zentrale Wertschöpfung liegt vielleicht in der Durchführung von überzeugenden Konzerten und von erfolgreichen Tourneen oder in speziellen Tondokumenten. Durch gesellschaftliche Veränderungen und die Digitalisierung verändert sich der Kontext der Wertschöpfung grundlegend: Die Konzerte müssen neue Zielgruppen erreichen (z.B. die jüngeren Generationen), bei Tourneen steigt der Wettbewerb mit anderen Orchestern (und dieser Wettbewerb ist oft global), die Verbreitung von Tondokumenten unterliegt durch Streaming, YouTube usw. neuen technischen Bedingungen und veränderten ökonomischen Spielregeln mit komplett neuen Geschäftsmodellen. Zugleich sollen die traditionellen Konzertangebote weitergeführt und die Musik für die Gegenwart neu interpretiert werden. Diese Veränderungen und die damit verbundenen Unsicherheiten müssen durch eine wirksame Management-Praxis sorgfältig adressiert werden.

      • Oder denken wir an ein Krankenhaus. Dessen zentrale Wertschöpfung liegt in der Behandlung und Heilung von Patientinnen und Patienten. Im Rahmen des medizinisch-technischen Fortschritts nimmt die Spezialisierung von Ärztinnen, Ärzten, Pflegefachpersonen, Therapiefachleuten usw. fortlaufend zu. Gleichzeitig wächst die technologische Unterstützung im Bereich der Diagnose, Behandlung und der Handhabung von Patientendaten. Die Krankengeschichte ist neu als elektronisches Patientendossier zu führen. Über das Internet können sich Patientinnen und Patienten vielfältig über ihre Krankheiten informieren. Dies verändert die Beziehung zwischen Health Professionals und Patientinnen von einem patronalen in ein partnerschaftliches Verhältnis. Dazu kommt, dass das Wachstum an neuen Behandlungsmöglichkeiten mit entsprechendem Ressourcenbedarf substantiell grösser ist als das Wachstum an Finanzmitteln, die über Steuergelder, Krankenkassenprämien und Selbstzahlungen der Patientinnen und Patienten in den Gesundheitssektor fliessen.

      Dies führt dazu, dass nicht nur die Behandlungsentscheidungen komplexer werden, sondern auch alle Entscheidungen, die mit der Gestaltung des Behandlungsangebots sowie der Weiterentwicklung und effizienten Nutzung von räumlichen und technischen Infrastrukturen, medizinischen Geräten, IT-Systemen etc. verbunden sind. Für diese Herausforderung reicht medizinisches oder pflegerisches Know-how längst nicht mehr aus. Gefordert ist eine wirksame Management-Praxis, welche die sich [29] ändernden Behandlungsmöglichkeiten, die damit verbundenen Erwartungen von Patientinnen und Patienten sowie die Ambitionen und Ansprüche unterschiedlicher Professionen für die Weiterentwicklung einer innovativen patientenzentrierten Wertschöpfung zu integrieren vermag.

      Nach diesen drei Beispielen zur Wertschöpfung wird im nachstehenden Kapitel 2 der zentrale Bezugspunkt von Management, nämlich organisationale Wertschöpfung, vertieft erläutert. In Kapitel 3, der Einführung ins SGMM, wird gezeigt, wozu ein Management-Modell dient und wie es zum SGMM gekommen ist.

      2.1 Wertschöpfung als Ergebnis und als Prozess

      Management hat keinen Selbstzweck, sondern bezieht sich immer auf organisationale Wertschöpfung. Mit dem Begriff Wertschöpfung werden zwei unterschiedliche, aber eng verbundene Sachverhalte bezeichnet:

      • Wertschöpfung bezieht sich einerseits auf ein Wertschöpfungsergebnis, d.h. auf Produkte, Dienstleistungen oder ganz allgemein Wirkungen, aus denen die Wertschöpfungsadressaten, d.h. beispielsweise Kundinnen, Patienten oder ein Publikum, einen spezifischen Nutzen ziehen können.

      • Wertschöpfung bezieht sich andererseits auf den Wertschöpfungsprozess, d.h. auf alle Aktivitäten, die zum Wertschöpfungsergebnis führen und beispielsweise mit der Eingangslogistik, Produktion, Ausgangslogistik, dem Marketing, Vertrieb und Kundendienst zu tun haben. Ein Wertschöpfungsprozess kann stark vereinfacht und schematisiert als Wertkette (Value Chain) dargestellt werden (siehe Abbildung 3).

      Wenn im SGMM Wertschöpfung thematisiert wird, schwingen stets beide Aspekte von Wertschöpfung mit, weil sich das Ergebnis nie ohne den Prozess verstehen und gestalten lässt. [30]

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      2.2 Wertschöpfung als organisationale Leistung

      Wenn Wertschöpfung in arbeitsteiliger Zusammenarbeit in einer Organisation oder in einem Netzwerk von Organisationen erbracht wird, sprechen wir von organisationaler Wertschöpfung. Genau dies, organisationale Wertschöpfung, bildet den zentralen Bezugspunkt von Management.

      Dabei bezieht sich organisationale Wertschöpfung nicht nur auf das, was privatwirtschaftliche Unternehmungen für Kundinnen und Kunden erbringen. Zusätzlich lassen sich je nach organisationaler Wertschöpfung und Umweltkontext weitere Typen von Organisationen unterscheiden (→ EF, 2.5), z.B. Non-Profit-Organisationen (wie eine Einkaufsgenossenschaft), Non-Governmental-Organisationen (wie das IKRK), staatliche Organisationen (wie die Verwaltung, Schulen, Eisenbahn, Post, Polizei oder Armee). Solche Organisationstypen treten oft auch in Mischformen auf.

      Organisationale Wertschöpfung ist heutzutage in den meisten Fällen durch vier grundlegende Merkmale geprägt: erstens durch koordinierte Arbeitsteiligkeit, zweitens durch Spezialisierung, drittens durch räumliche und zeitliche Verteiltheit sowie viertens durch eine Institutionalisierung von verlässlicher Kooperation. [31]

      

      Alle vier Merkmale von organisationaler Wertschöpfung sind eng miteinander vernetzt.

      • Arbeitsteiligkeit bedeutet vom Wertschöpfungsergebnis her betrachtet, dass ein Endprodukt wie ein Auto in Module aufgeteilt wird, die spezifische Teilfunktionen für die Gesamtwertschöpfung erbringen. In ähnlicher Form kann eine Versicherungsleistung in spezifische Einzelaufgaben und modularisierte Aufgabenbündel aufgespalten werden.

      Vom Wertschöpfungsprozess her betrachtet bedeutet Arbeitsteiligkeit, dass die Gesamtwertschöpfung, d.h. die Aktivitäten, die erforderlich sind, um ein Produkt oder eine Dienstleistung herzustellen, aufgeteilt werden, und zwar nicht nur auf unterschiedliche Personen, sondern auch auf unterschiedliche Teilprozesse oder Organisationen, die in Wertschöpfungsketten miteinander kooperieren (siehe Abbildung 4).

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      • Die Arbeitsteiligkeit,