von Hypothesen über unterschiedliche morphologische Anpassungen im Verdauungsapparat von Laub- und Grasäsern und damit verbundenen Verdauungsleistungen (die sogenannte ruminant diversification hypothesis). Wie weit solche Unterschiede mit der Gras- oder Laubpräferenz zusammenhängen oder vor allem mit Körpergröße und taxonomischer Zugehörigkeit zu tun haben, wird jedoch immer noch diskutiert (Karasov & Martínez del Río 2007; Clauss et al. 2008, 2010).
Abb. 2.26 Mit etwa 5 kg Körpermasse gehören die Dikdiks (hier ein männliches Damara-Dikdik, Madoqua kirkii) aus den ariden Gebieten Afrikas zu den kleinsten Antilopen. Sie leben streng territorial und monogam. Ihre schmale vorspringende Schnauze erlaubt ihnen als Laubäser, auch kleinste Blätter zu selektieren.
2.6 Effizienz der Assimilation
Dass die verschiedenen Nahrungsbestandteile sehr unterschiedliche Gehalte an Energie aufweisen, zeigte bereits Tabelle 2.1. Bei der Betrachtung der Verdauungsmechanismen der Herbivoren wurde aber auch klar, dass die in der Nahrung vorhandene Energiemenge nicht gänzlich genutzt werden kann und dass die Effizienz der Nutzung von der Tierart beziehungsweise von ihrem Verdauungssystem abhängt. Die nicht zur Assimilation nutzbare Energie (apparent digestible energy) geht über den Kot wieder verloren (Abb. 2.27). Aus Formel 2.1 (Kap. 2.1) errechnet sich damit der verdauliche Energieanteil DE, welcher die Verdaulichkeit (digestibility, assimilation efficiency) der Nahrung beschreibt:
Protein ist für alle Wirbeltiere gut verdaulich, im Mittel zu etwa 92 %. Ähnliches gilt für Lipide. Carnivoren erreichen bei guter Fleischnahrung deshalb oft eine Verdaulichkeit von 80–85 %; bei Arthropodennahrung liegen die Werte aufgrund des Chitinanteils tiefer. Mit über 98 % sind auch Zellinhalte (nicht strukturelle Kohlenhydrate) von Pflanzen fast vollständig verdaulich (Robbins 1993). Nektarfresser kommen so auf 95 % und mehr Verdaulichkeit, Samenfresser auf 70–80 %. Kommerzielles Samen- und Körnerfutter für Nagetiere ist sogar so zusammengestellt, dass im Maximum fast 90 % Verdaulichkeit erreicht wird. Bei grünem Pflanzenmaterial liegt die Verdaulichkeit jedoch wesentlich tiefer und hängt zunächst vom Anteil an Lignin, Cutin und Silizium in den Zellwänden, dann aber auch vom Verdauungssystem und der Retentionszeit ab. Diese Aspekte sind in den vorausgehenden Kapiteln bereits intensiv zur Sprache gekommen. Sehr häufig liegt die Verdaulichkeit der Zellwände (das heißt der Gesamtfaser) zwischen 30 % und 60 % und bei qualitativ guter Pflanzennahrung insgesamt bei 60–70 %. Riesenpandas (Ailuropoda melanoleuca) erreichen bei ihrer faserreichen Bambusnahrung lediglich eine Verdaulichkeit von 12 %, weil sie als Bären nur den Hemizellulosenanteil verdauen können (Robbins 1993). Wie stark die Unterschiede in der Verdaulichkeit zwischen Herbivoren ausfallen können, lässt sich an deren Kot ablesen (Abb. 2.27).
Die Effizienz, mit der assimiliert wird, ist in mehrfacher Hinsicht von ökologischer Bedeutung. Drei Aspekte sind nach Karasov & Martínez del Río (2007) besonders wichtig:
1. Niedrige Effizienz bringt Fitnesseinbußen bei schlechterer Energieversorgung oder bei höherem zeitlichem Aufwand für die Nahrungssuche (Kap. 3).
2. Die Effizienz der Verdauung hat Implikationen für den Material- und Energiefluss zu anderen trophischen Stufen in einem Ökosystem.
3. Viele Tier-Pflanzen-Interaktionen, zum Beispiel bei der Blütenbestäubung oder der Verbreitung von Samen durch Tiere (Zoochorie), hängen oft von bestimmten Verdauungsleistungen ab.
Abb. 2.27 Kot des Weißbartgnus, links, des Savannenelefanten, Mitte, und des Schneehasen (Lepus timidus), rechts. Pflanzenfresser produzieren aufgrund der geringeren Verdaulichkeit ihrer Nahrung wesentlich mehr Kot als Carnivore. Als Wiederkäuer verdauen die Gnus die Nahrung allerdings besser als große Dickdarmfermentierer wie Elefanten oder Pferde, deren Kot meist viele sichtbare Stängel enthält. Der Faserkot des koprophagen Schneehasen besteht aus runden, sehr dicht gepressten Bällchen.
2.7 Energiebalance und Kondition
Obwohl die wichtigen Tätigkeiten, wie Reproduktion, Wanderungen oder bei den Vögeln auch die Mauser, dem Jahresgang der Verfügbarkeit von Energie gut angepasst sind, übersteigt der Energiebedarf oftmals das nutzbare Angebot. Nahrungsmangel ist nichts Seltenes, und viele Tiere können routinemäßig längere Perioden des Fastens ertragen, ohne die Körpertemperatur absenken zu müssen (McCue 2010). Die dabei benötigte Energie wird über den Katabolismus von Körpergewebe freigestellt. Im Verlauf des Fastens bis hin zum Verhungern können drei metabolische Phasen unterschieden werden (Wang et al. 2006): In den ersten Stunden bis Tagen des Nahrungsentzugs kann Leberglykogen mobilisiert werden, in einer zweiten Phase werden hauptsächlich die Fettvorräte abgebaut, wobei ein Minimum an Proteinabbau erfolgt. Vögel können in dieser Phase noch stärker die Proteinvorräte schonen als Säugetiere (Jenni-Eiermann & Jenni 2012). In der dritten Phase wird zunehmend auf Protein zurückgegriffen. Da Protein fast gänzlich strukturelle Aufgaben im Körper erfüllt und es deshalb unter normalen Umständen in viel geringerem Maß als Fett veratmet wird, markiert diese Phase einen fortgeschrittenen Zustand des Verhungerns, denn wichtige Organe und Muskeln werden angegriffen. Erst wenn hungernde Vögel die Brustmuskulatur so weit abgebaut haben, dass sie flugunfähig werden oder wenn andere Organe irreversibel geschädigt sind, sterben sie. Gelegentlich kommt es so zu Massensterben von überwinternden Entenvögeln (Suter & van Eerden 1992).
Energiespeicherung und Kondition
Die normale Energiespeicherung bei Wirbeltieren geschieht also in Form von Fett; bei Fischen spielen auch Glykogen und Proteine eine bedeutende Rolle. Fett besitzt die höchste Energiedichte der verfügbaren Speichermedien (Tab. 2.1) und kann auch schnell wieder katabolisiert werden. Dazu nehmen viele Tiere zu gewissen Zeiten mehr Nahrung auf, als momentan nötig ist (Hyperphagie). Die Assimilationsrate kann bei manchen Vögeln zur Zugzeit mehr als das 10-fache Äquivalent des BMR erreichen (Kvist & Lindström 2003; Klaassen M. et al. 2010). Der Rückgriff auf die Fettreserven erfolgt zu Zeiten ungenügender Energieversorgung (Winter oder Trockenzeiten, Übernachtung) oder wenn ungewöhnlich energieintensive Tätigkeiten verrichtet werden, vor allem im Zusammenhang mit der Fortpflanzung (Kap. 4) oder mit Wanderungen (Kap. 6). Sing- und Watvögel, die nonstop weite Strecken ziehen, verbrennen während der Phase 2 gleichzeitig zu etwa 95 % Fett und zu 5 % Protein (Jenni & Jenni-Eiermann 1998). Das Protein wird unter anderem aus der Massenreduktion des Verdauungstrakts bezogen, was funktionell als Massenersparnis für den Zug erklärt worden ist. Allerdings sind die Abnahmeraten bei fastenden Vögeln organ- und gewebespezifisch und unabhängig von einer Zugleistung (Bauchinger & McWilliams 2010), doch verändern sich die Raten des Proteinabbaus verschiedener Organe in Phase 3 (Jenni-Eiermann & Jenni 2012). Andererseits liefert das Katabolisieren von Protein 5-mal mehr Wasser als Fett, sodass dem Proteinabbau während des Ziehens auch eine Funktion bei der Aufrechterhaltung des Wasserhaushalts im Körper zukommt (Gerson & Guglielmo 2011). Jedenfalls sind die Zugvögel bei Bedarf in der Lage, etwa während des Rastens, sowohl Fettreserven als auch die reduzierten Organe schnell wieder aufzubauen (Karasov & Pinshow 1998; Bicudo et al. 2010). Die Energiespeicherung über Fett kann übrigens nicht unlimitiert erfolgen, da mit ihr auch Kosten verbunden sind, nicht nur im Sinne einer energetischen Verteuerung der Fortbewegung, sondern auch über höheres Prädationsrisiko bei reduzierter Manövrierfähigkeit (Kap. 3.7; s. auch Brodin & Clark 2007). Bei guter Nahrungsversorgung