Werner Suter

Ökologie der Wirbeltiere


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Verteilung nahrungssuchender Blauaugenscharben (Phalacrocorax atriceps) (schwarze Punkte) auf dem Meer vor ihrer Brutkolonie (weißer Kreis mit rotem Punkt) an der Küste Argentiniens. Der Farbengradient illustriert die benötigte massenspezifische Energie (J kg-1 s-1), die am entsprechenden Ort pro Sekunde Aufenthalt am Meeresboden aufgewendet werden muss. Tiefen von 10–30 m erlauben den effizientesten Energieeinsatz. Mit zunehmender Tiefe muss zwar weniger Energie zur Kompensation des Auftriebs eingesetzt werden, doch sinkt die zeitbezogene Energieeffizienz schnell, weil die Tauchdauern ansteigen und exponentiell dazu die anschließend benötigten Erholungszeiten (Wilson R. P. et al. 2012) (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von The Royal Society, © The Royal Society).

      Der Suchaufwand ist nicht nur eine Frage der benötigten Zeit, sondern auch der dabei verbrauchten Energie. Suchenergie wird allerdings selten gemessen und spielt in den experimentellen Versuchsanordnungen meist keine Rolle. Unter Freilandbedingungen kann die Heterogenität der Landschaft jedoch den Energieverbrauch bei der Nahrungssuche stark beeinflussen, denn je nach Terrain benötigt die Fortbewegung unterschiedlich viel Energie. Meeresvögel, die ihre Beute tauchend finden, begrenzen ihren Aktivitätsradius auf Zonen, die mit geringstem Energieaufwand befischbar sind (Abb. 3.2). Auch die eigentlichen Tauchgänge werden energetisch so optimiert, um eine maximale Aufenthaltsdauer in den nahrungsreichsten Tiefen zu erreichen (Hanuise et al. 2013). Tauchgänge in tiefere Zonen umfassen deshalb auch längere Aufenthaltsdauern in der befischten Zone, um den Zeitaufwand für Hin- und Rückweg zu kompensiren. Bei Blauwalen (Balaenoptera musculus) zeigte sich, dass die Kompensation nicht hundertprozentig ist, da auch noch längere Erholungsdauern an der Oberfläche anfallen. In weniger tiefem Wasser stand deshalb relativ mehr Zeit zum Jagen zur Verfügung und die Rate der Nahrungsaufnahme war höher, sodass die Wale häufiger nachts jagten, wenn sich das Zooplankton näher an den Wosseroberfläche aufhielt (Deniol–Valcroze et al. 2011).

      Wenn das Tier Nahrung gefunden hat, (stellt sich ihm grundsätzlich die Frage: Soll ich diese Nahrung aufnehmen oder sie zugunsten einer ergiebigeren Alternative übergehen? Bei optimierter Nahrungswahl ist zu erwarten, dass das Tier fähig ist, die Beutestücke bezüglich ihrer Nahrungseffizienz zu bewerten und so Entscheidungen zu fällen. Ein einfaches Modell mit zewi Alternativen einem größeren und einem kleineren Nahrungsstück, ist ln Box 3.1 formal dargestellt. Es macht drei Voraussagen:

      Zwei verschieden große Nahrungsbrocken 1 (groß) und 2 (klein) enthalten unterschiedlich viel nutzbare Energie, E1 und E2, verlangen entsprechend Zeit für das Handling, h1 und h2. Die Nahrungseffiezienz (oder Profitabilität) ist als E/h definiert (siehe weiter oben in diesem Kapitel). Wenn die größere Nahrung profitabler ist, ergibt sich:

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      Wie soll ein nahrungssuchendes Tier nun zwischen den unterschiedlichen Nahrungsbrocker auslesen, wenn es seine Rate der Energieaufnahme maximieren will?

      (a) Trifft es auf die profitablere Nahrung 1, so sollte es diese immer fressen, unabhängig von der Häufigkeit der Nahrung 2.

      (b)Nahrung 2 sollte es hingegen nur fressen, wenn der Gewinn größerist, als wenn es Nahrung 2 über gehen würde und weitere Suchzeit S1 für Nahrung 1 in Kauf nehmen würde.

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      Durch Umformung zeigt sich, dass das Tier Nahrung 2 nur fressen sollte, wenn:

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      Die Wahl der weniger profitablen Nahrung 2 hängt also von der Häufigkeit der profitableren Nahrung 1 ab. Das Modell geht auf Charnov (l976a) und Krebs J.R. et al. (1977) zurück. Die Darstellung hier folgt Davies N. B. et al. (2012); eine gute Zusammenfassung findet man auch bei Giraldeau (2008a).

      1. Das Tier sollte entweder nur die profitablere Nahrung 1 fressen (sich spezialisieren) oder beide, Nahrung 1 und Nahrung 2, annehmen (sich generalistisch verhalten).

      2. Die Entscheidung, sich zu spezialisieren, hängt nur von S1 ab, der Suchzeit für die profitablere Nahrung, und nicht von jener für die weniger profitable.

      3. Der Wechsel von der Spezialisierung auf Nahrung 1 hin zum generalistischen Fressen beider Nahrungstypen sollte abrupt sein und dann vollzogen werden, wenn die Suchzeit für die profitablere Beute (S1) so ansteigt, dass Formel B3.1.3 erfüllt ist. Das Tier sollte also eine «Alles-oder-nichts-Reaktion» zeigen, das heißt, die weniger profitable Nahrung entweder immer oder nie akzeptieren.

      Die ersten beiden Voraussagen sind intuitiv sofort einleuchtend: Wenn eine profitable Nahrung problemlos verfügbar ist, ergibt es keinen Sinn, sich mit weniger ergiebiger Beute abzugeben, egal wie häufig sie ist. Zahlreiche Studien haben auch gezeigt, dass viele Tiere gemäß den ersten beiden Erwartungen handeln, jedoch der «Alles-oder-nichts-Regel» nicht (konsequent) folgen. Ein klassisches Beispiel ist ein Experiment mit Kohlmeisen (Parus major), denen auf einem Förderband große und kleine Mehlwürmer präsentiert wurden, wobei die Antreffhäufigkeit bei den großen Mehlwürmern variierte (Krebs J. R. et al. 1977). Die Meisen waren in der Lage, die Würmer gemäß ihrer Profitabilität zu selektieren, und folgten auch bei der Wahl von großen und kleinen Mehlwürmern den Erwartungen. Hingegen wichen sie vom optimalen «Alles-oder-nichts-Verhalten» ab, bei dem sie unterhalb einer gewissen Antreffhäufigkeit von großen Mehlwürmern auch alle kleinen Individuen hätten aufnehmen müssen, oberhalb hingegen keine der kleinen. Stattdessen nahmen sie kleine Mehlwürmer manchmal an, manchmal nicht (Abb. 3.3). Auch bei späteren, verfeinerten Varianten des Versuchs akzeptierten Kohlmeisen häufiger als erwartet die weniger profitable Beute (Berec et al. 2003).

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      Abb. 3.3 Der Versuchsapparat im Kohlmeisen-Experiment von Krebs J. R. et al. (1977). Die Meise sitzt im Käfig und kann die vorbeifahrenden Mehlwürmer vom Förderband wegpicken. Das Band ist oben bis auf ein offenes Fenster abgedeckt, wodurch die Meise die Mehlwürmer nur 0,5 s lang sieht und sich schnell entscheiden muss. Nimmt sie einen Mehlwurm auf, so verpasst sie während der Zeit, in der sie frisst, weitere und allenfalls profitablere Mehlwürmer (Abbildung neu gezeichnet nach Davies N. B. et al. 2012).

      Je nach Beuteart spielt nicht die Suchzeit, sondern der Aufwand für das Handling die größere Rolle. Dass Tiere diesen Aufwand ebenfalls in die Entscheidungen bei der Nahrungswahl einbeziehen können, haben Feldstudien an der Sundkrähe (Corvus caurinus) eindrücklich gezeigt (Zach 1979). Sundkrähen ernähren sich an der Küste gern von Stachelschnecken (Nucella), doch müssen sie zuerst die Schale aufbrechen können. Sie lassen die Schnecken deshalb mehrfach aus gewisser Höhe auf felsigen Untergrund fallen. Je größer die Fallhöhe ist, desto eher bricht die Schale auf, bei größeren Schnecken schneller als bei kleineren. Die größeren Individuen versprechen zudem einen höheren Energiegewinn. Deshalb ist zu erwarten, dass Schnecken nur von einer gewissen Größe an profitabel sind; für kleinere wird der Aufwand für die wiederholten Flüge zu hoch. Dazu müssen die Krähen auch einen Kompromiss zwischen Abwurfhöhe und Zahl der benötigten Abwürfe finden (Abb. 3.4).

      Natürlich darf man nicht davon ausgehen, dass ein nahrungssuchendes Tier stets wie ein Computer agiert und jede Entscheidung auf eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse abstützt. Aus diesem Grund ist die Theorie der optimierten Nahrungssuche zu Beginn auch von einigen Wissenschaftlern pauschal abgelehnt worden. Mittlerweile liegt eine größere Zahl von Studien vor, welche die Voraussagen an Daten aus dem Feld oder dem Labor maßen. Stephens D. W. & Krebs (1986) kamen zum Schluss, dass 71 % der bis dahin veröffentlichten 60 Arbeiten Unterstützung zugunsten der Theorie lieferten und nur 13 % den Voraussagen widersprachen. Allerdings testeten 64 % der Arbeiten nur qualitative Voraussagen. Die bereits erwähnte Metaanalyse aller 134 Studien bis 1995 durch Sih & Christensen (2001) fand, dass die Ergebnisse sich zwischen