dann innerhalb der Fläche wenig wählerisch sind. Bei Prädatoren kommt dazu, dass das nutzbare Angebot vom Verhalten der Beutetiere mitbestimmt wird und sich dann schlecht ermitteln lässt, was die Bestimmung der Selektivität erschwert. Die genannten Einteilungen sind deshalb mit Vorsicht anzuwenden und vor allem beim direkten Vergleich verschiedener Arten aus derselben Verwandtschaft oder derselben Gilde (Arten mit ähnlichem Nahrungserwerb respektive ähnlicher Nische; Kap. 8.5) sinnvoll. In diesem Fall können sie allerdings zu interessanten weiterführenden Fragen Anlass geben (Abb. 3.1).
Abb. 3.1 Die Wiesenweihe (Circus pygargus; Bild) jagt im Offenland in generalistischer Weise kleine Säuger und Vögel, die ähnliche Steppenweihe C. macrourus hingegen ist eine spezialisierte Wühlmausjägerin. Bei hoher Wühlmausdichte hat die Steppenweihe einen relativ höheren Jagderfolg als bei niedriger Dichte und ist erfolgreicher als die Wiesenweihe, während die Erfolgsrate bei der Wiesenweihe unabhängig von der Beutedichte konstant bleibt und bei niedriger Wühlmausdichte höher ist als bei der Steppenweihe (Terraube et al. 2011).
3.3 Optimierte Nahrungssuche und Nahrungswahl
Nahrungswahl und allfällige Spezialisierung haben sich im Rahmen der evolutiven Vorgaben zum Körperbau zu bewegen. Das bedeutet, dass die morphologischen Anpassungen einer Art die Möglichkeiten der Nahrungswahl beschränken. Die erwähnte Variation beim Grad der individuellen Spezialisierung zeigt aber auch, dass innerhalb des vorgegebenen Rahmens Raum für verhaltensbiologische Flexibilität besteht, den ein Individuum mehr oder weniger erfolgreich nutzen kann (Bell W. J. 1991). Die Theorie rund um die optimierte Nahrungssuche (optimal foraging, oft auch synonym mit optimierter Nahrungswahl, optimal diet, gebraucht) befasst sich mit diesem Spielraum und versucht letztlich, die realisierte Nahrungszusammensetzung aufgrund einer Kosten-Nutzen-Modellierung vorauszusagen (Emlen 1966; MacArthur & Pianka 1966; Schoener 1971; Stephens D. W. & Krebs 1986). Die erfolgreichste Strategie der Nahrungssuche ist jene, welche den größten Energiegewinn pro Zeiteinheit bringt, denn die Energie kann in die Erhöhung der Überlebenschancen und in größere Nachkommenschaft, also die Steigerung der Fitness investiert werden. Falls eine Strategie zu deutlich erhöhter Fitness führt, wird sie durch die natürliche Selektion favorisiert werden. Wir betrachten eine solche Strategie demnach als Adaptation. Die in diesem und in Kapitel 3.4 dargestellten Optimierungsmodelle beziehen sich auf Individuen, die allein Nahrung suchen; die Erklärung von Verhaltensweisen bei der gruppenweisen Nahrungssuche (Kap. 3.6) erfordert andere Ansätze.
Welches sind nun die Elemente der Kosten-Nutzen-Rechnung? Der nutzbaren Energie aus der Nahrung steht die verbrauchte Energie für den gesamten Ablauf vom Suchen bis zum Verdauen der Nahrung entgegen. Der resultierende Nettogewinn muss dann in Relation zum Zeitaufwand gesetzt werden. Daraus ergibt sich:
Es gilt also, den Nettogewinn an Energie zu maximieren und den Zeitaufwand zu minimieren. Nettogewinn, Zeitaufwand oder andere Elemente solcher Optimierungsmodelle (die sich nicht auf Energie beschränken müssen) werden als currency bezeichnet. Diesen stehen die constraints entgegen, also etwa physiologische oder verhaltensbiologische Grenzen, die dem Tier gesetzt sind (Davies N. B. et al. 2012). Aus den Modellen lassen sich überprüfbare Hypothesen herleiten und im Experiment oder in empirischen Feldstudien testen. Viele der Befunde stimmen mit den Erwartungen nur teilweise überein. Unterstützung kommt vor allem von Studien an Arten, die immobile Beute jagen, während die Theorie für Jäger mobiler Beute oft keine ausreichend genauen Voraussagen macht (Sih & Christensen 2001). Dies mag damit zusammenhängen, dass das Verhalten der Beute die Nahrungswahl der Prädatoren modifizieren kann, während die Wahl bei unbeweglicher Beute weitgehend vom Nutzer allein abhängt. Viele Feldstudien und die meisten experimentellen Untersuchungen fanden unter Bedingungen der Nutzerautonomie statt und maßen die Nahrungseffizienz (profitability):
Diese ergibt sich als Verhältnis E/h zwischen dem Energiegehalt E der Nahrung und der Zeit h, die für ihre Gewinnung (handling) nötig ist. Die Gewinnung beginnt also mit dem Entdecken der Nahrung und umfasst den Zeitbedarf für Fang, Bearbeitung und Aufnahme; je nach dem nötigen Aufwand kann auch die Zeit für die Verdauung mitberücksichtigt werden. Die Nahrungseffizienz ist wesentlich einfacher zu erheben als die Nettoenergie-Aufnahmerate, da sie den Suchaufwand ausklammert und auch den Aufwand der Behandlung der Nahrung nur über die Zeit «abrechnet».
Suche
Der Zeitbedarf zum Auffinden der Nahrung wird von der Häufigkeit, Sichtbarkeit und Verteilung der Nahrung im Raum bestimmt und kann über die Suchzeit oder die Antreffhäufigkeit (encounter rate) gemessen werden. Je nach Nahrungsart unterscheidet sich die Antreffhäufigkeit enorm; für Herbivoren ist sie aufgrund der Häufigkeit der Nahrung meist von untergeordneter Bedeutung. Immerhin hat man beobachtet, dass die Geschwindigkeit, mit der sich selektiv grasende Säugetiere bei der Nahrungssuche bewegen, asymptotisch mit zunehmender Distanz zwischen den einzelnen nutzbaren Pflanzen ansteigt (Shipley et al. 1996). Herbivoren, aber auch Insekten- und Fischfresser finden ihre Nahrung zudem oft geklumpt an bestimmten Stellen vor, wo sie zur Nahrungsaufnahme bleiben, bis die Ausbeute unter eine bestimmte Grenze fällt (s. auch Kap. 3.4).
Für Prädatoren mobiler oder auch kryptischer Beute hingegen ist die Suchzeit oft eine wichtige Größe. Die Suchstrategien sind darauf angelegt, die Antreffhäufigkeit zu optimieren, was stetige Lernprozesse voraussetzt (Bell W. J. 1991; Adams-Hunt & Jacobs 2007). Dabei können, je nach Ausdehnung und Ausstattung des bejagten Gebiets, auch Kombinationen verschiedener Strategien zur Anwendung kommen. Südliche See-Elefanten (Mirounga leonina), eine große Robbenart der Subantarktis, schwimmen schnell und direkt zu ihnen bekannten Zentren hoher Nahrungsdichte, nehmen während der Reise aber bereits kleine und häufige, jedoch zufällig im Raum verteilte Beutetiere auf. In den Zentren wechseln sie zu langsamem Suchen auf gewundenen Suchpfaden (area-restricted search) und bleiben lange an Stellen hoher Dichte von weniger kleinen Beutetieren (Thums et al. 2011). Die Berechenbarkeit (predictability) des Vorkommens von Beute ist aber gerade für marine Prädatoren oft gering (Weimerskirch 2007). Studien an Mittelmeermöwen (Larus michahellis) haben gezeigt, dass anthropogen erhöhte Berechenbarkeit, in diesem Fall die Verfügbarkeit von Fischabfällen rund um die Fangschiffe, die räumliche Verteilung und Tagesaktivität der Möwen stark beeinflusst (Cama et al. 2012). Umgekehrt müssen Prädatoren größerer Beutetiere vermeiden, für ihre Beutetiere selbst so berechenbar zu werden, dass diese sich auf ihr Jagdverhalten einstellen können. Löwen (Panthera leo) wechseln nach erfolgreicher Jagd in weiter entfernte Teile ihres ausgedehnten Streifgebiets (Valeix et al. 2011). Ähnliche Verhaltensmuster (rotational territory use) sind auch von anderen größeren Prädatoren wie etwa dem Wolf (Canis lupus) bekannt (Demma & Mech 2009).
Handelt es sich bei der Nahrung um regungslose, kryptisch gefärbte Beute, so stellt sich das Problem, die Erkennung solcher Nahrung zu optimieren. Viele Tiere können offenbar lernen, sich auf bestimmte Stimuli zu konzentrieren und damit ein Suchbild (search image) für eine bestimmte Nahrung zu entwickeln. Als Stimuli dienen Merkmale, welche die Beutestücke von ihrem Untergrund abheben (Reid & Shettleworth 1992). Das Suchbild ist allerdings ein vereinfachtes Konzept der komplizierten perzeptiven und kognitiven Abläufe beim Finden kryptisch gefärbter Beute (Shettleworth et al. 1993). Experimentell ließ sich aber zeigen, dass Blauhäher (Cyanocitta cristata) weniger erfolgreich waren, wenn sie ihre Aufmerksamkeit gleichzeitig auf zwei Typen kryptischer Nahrung richten mussten, als wenn nur einer vorhanden war (Dukas & Kamil 2001). In solchen Fällen ist es von Vorteil, sich auf den häufigsten Typ zu konzentrieren (Bond 2007). Damit steigt dessen Aufnahmerate, während jene von selteneren Typen sinkt (Ishii & Shimada 2010).