Empirismus einerseits, der in der Annahme einer objektiven Realität universelle Erklärungen anstrebt, und Relativismus andererseits, der unter Ablehnung einer objektiven Realität das Verstehen subjektiver Einzelgeschehnisse verfolgt (Lovering 1989; Thrift 1990). Dabei sind eher verschiedene Varianten als eine einheitliche realistische Position identifizierbar (Häkli 1994). Zwar halten kritische Realisten an der Annahme einer unabhängig vom Individuum existierenden Wirklichkeit sowie an dem Ziel der Erklärung von allgemeinen Mechanismen fest. Aber sie verbinden den Nachweis dieser Wirklichkeit nicht mehr mit der Universalität der Phänomene.
Das konventionelle Kausalitätsverständnis der Raumwirtschaftslehre gründet auf dem Regularitätsprinzip, das auf Hume (1758) zurückgeht. Demnach gilt als Ursache dasjenige Ereignis, dessen Eintreten immer bzw. ausnahmslos mit dem Eintreten eines anderen Ereignisses zusammenhängt. Die Regelmäßigkeit wird zum assoziativen Prinzip des kausalen Wirkungszusammenhangs. Diese Erklärung ist eine Universalerklärung, da an jedem Ort zu jeder Zeit eine Ursache ihre Wirkung erzeugt.
Demgegenüber begründet der kritische Realismus durch das Prinzip der Kontingenz eine kontextuelle Kausalerklärung. Hierbei treten zwei Arten von Relationen in das Zentrum der wissenschaftlichen Erklärung (Sayer 1985): Notwendige Beziehungen treten auf, wenn zwei Ereignisse unabhängig von spezifischen Bedingungen stets verknüpft sind. Allerdings sind allgemeine, kontextinvariante Beziehungen von Ereignissen, also allgemeingültige Gesetze, im Bereich gesellschaftlicher Phänomene kaum zu identifizieren. Demgegenüber liegen kontingente Beziehungen vor, wenn sie zwei Ereignisse nur unter spezifischen Bedingungen verknüpfen. Das Prinzip der Kontingenz bedeutet, dass das Eintreten eines Ereignisses nicht immer das Eintreten eines anderen Ereignisses impliziert, sodass identische Ausgangsbedingungen nicht zwangsläufig zu demselben Ergebnis führen und Entwicklungen nicht unbedingt bekannten Mustern folgen müssen. Damit besteht die erkenntnistheoretische Möglichkeit, Handlungsziele und Handlungsfolgen als kontextuell zu erklären und zugleich zukünftige Ereignisse als offen zu betrachten. Dies bedeutet aber nicht, dass sich die in einer Fallstudie gewonnene kontextuelle Erkenntnis in ihrem konkreten Zusammenhang erschöpft. Vielmehr ist es möglich, auf dem Weg der Dekontextualisierung verallgemeinerbare Bedingungen und Prinzipien eines Kontexts zu identifizieren und diese gegebenenfalls auf andere Kontexte anzuwenden. Die wissenschaftlich interessante Erkenntnis besteht dabei in der Aufdeckung transkontextueller, mehr oder minder notwendiger Relationen.
(5) Forschungsziel. In der Konzeption des Raums als räumliche Perspektive und des Handelns als relationales Agieren in konkreten, kontextspezifischen Strukturen sozialer Beziehungen sowie der erkenntnistheoretischen Aufwertung von Kontext durch das Prinzip der Kontingenz findet eine relationale Wirtschaftsgeographie ihr programmatisches, methodologisches Design. Letztlich geht es dabei nicht um die Formulierung von Raumgesetzen, sondern um die sachtheoretische Aufklärung sozioökonomischen Handelns, der sozialen Beziehungen und der Handlungsfolgen in räumlicher Perspektive.
2.3.4Grundkonzepte einer relationalen Wirtschaftsgeographie
Nur wenige der Fragen, die in der Wirtschaftsgeographie formuliert werden, unterschreiten das Aggregationsniveau des Unternehmens oder Betriebs. Daher liegt der Fokus der Analyse selten auf der mikrosozialen Handlungsebene, d. h. der einzelnen Person. Nichtsdestotrotz gründen erklärungsfähige Untersuchungen des organisatorischen Wandels innerhalb und zwischen Unternehmen in einem grundlegenden Verständnis von ökonomischem Handeln, dem wir in der Darlegung unserer Argumente Rechnung zu tragen versuchen. Der Perspektivenwechsel von der Raumwirtschaftslehre zu einer relationalen Wirtschaftsgeographie findet seinen Ausgangspunkt in dem bereits dargelegten relationalen Verständnis des Handelns.
Das relationale Grundverständnis bringt drei grundlegende Konsequenzen mit sich (→ Abb. 2.7):
Abb. 2.7 Relationale Perspektive und Analysedimensionen (Ionen) der Wirtschaftsgeographie
(1) Kontextualität. In struktureller Perspektive wird Handeln aufgrund des Einflusses raumzeitlich gegebener Strukturen von Beziehungen zu kontextspezifischem Handeln, das diesen Strukturen angepasst ist. Dieses situierte Handeln ist daher nicht mehr durch universelle Kategorien oder Gesetze zu erklären.
(2) Pfadabhängigkeit. Die Kontextspezifität ökonomischen Handelns überträgt sich in historischer Perspektive in eine Dynamik pfadabhängiger Entwicklung, da jeweils spezifische Handlungszusammenhänge auch spezifische Entwicklungen nach sich ziehen. Situierte Entscheidungen und Interaktionen in der Vergangenheit bedingen spezifische Handlungskontexte in der Gegenwart und richten somit Handlungsziele und -möglichkeiten entlang eines historischen Entwicklungspfads aus.
(3) Kontingenz. Aufgrund seiner Kontextabhängigkeit unterliegt ökonomisches Handeln nicht allgemeinen Gesetzen. Daher kann die spezifische Geschichte eines Entwicklungspfads nicht determinierend für die Zukunft sein. Vielmehr ermöglichen konkrete Handlungskontexte stets Abweichungen von bestehenden und den Wandel hin zu neuen Entwicklungspfaden (Bathelt und Glückler 2000).
Dabei rücken Unternehmensziele und Beziehungen zwischen Unternehmen in den Mittelpunkt der Betrachtung und die Forschung bedient sich ökonomischer und sozialer Theorien, um den Gegenstandsbereich ökonomischen Handelns und ökonomischer Beziehungen aus räumlicher Perspektive zu untersuchen. Eine kontextuelle, pfadabhängige und kontingente Grundperspektive steht im Gegensatz zu theoretischen Programmen, deren Konzepte auf universellen Gesetzen, linearen Entwicklungen und geschlossenen Systemen basieren (Bathelt und Glückler 2017).
Ausgehend von dieser Neupositionierung schlagen wir einen alternativen Bezugsrahmen für die Wirtschaftsgeographie vor, der konzeptionell auf einer Grundperspektive relationalen Handelns gründet und unter Berücksichtigung der Konsequenzen von Kontextualität, Pfadabhängigkeit und Kontingenz entwickelt wird. Vier zentrale Analysedimensionen, nämlich Interaktion und Institution (Teil III dieses Buchs), Organisation (Teil IV), Evolution (Teil V) und Innovation (Teil VI) strukturieren hierbei die Konzeption. Der entscheidende Zugang der Rahmenkonzeption besteht darin, dass die hinter den vier Dimensionen stehenden wirtschaftlichen und sozialen Prozesse aus einer spezifisch räumlichen Perspektive analysiert und bewertet werden. Dies ermöglicht es, in einem disziplinübergreifenden Forschungsansatz ökonomische und sozialwissenschaftliche Ansätze zu integrieren und eigenständige Fragestellungen aus räumlicher Perspektive zu verfolgen.
Im Folgenden werden für die einzelnen Analysedimensionen (Ionen) wichtige Ansatzpunkte wirtschaftsgeographischen Arbeitens aufgezeigt und die wechselseitigen Bezüge der verschiedenen Dimensionen durch die Anwendung der räumlichen Perspektive verdeutlicht (→ Abb. 2.7). Das abgebildete Schema dient als Heuristik zur Systematisierung der relationalen Perspektive im Hinblick auf wichtige Theoriegegenstände der Wirtschaftsgeographie.
(1) Interaktion und Institution. Interaktionen und Lernprozesse bilden den Kern der reflexiven Ökonomie, in der Handeln systematisch überprüft wird, um daraus Möglichkeiten zur Verbesserung zukünftigen Handelns abzuleiten. Lundvall und Johnson (1994) sprechen in diesem Zusammenhang von einer learning economy, die als organisierte Form des Markts durch umfassende Netzwerkbeziehungen geprägt ist. Mit der Erkenntnis, dass Produktions- und Innovationsprozesse arbeitsteilig organisiert sind und dass arbeitsteilige Organisationsformen mit wachsender technologischer Komplexität und zunehmender Differenzierung der Gesellschaft an Bedeutung gewinnen, ist der Prozess des learning by interacting (Lundvall 1988; Gertler 1992; 1993) zunehmend in den Mittelpunkt des wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Interesses gerückt. Learning by interacting bezeichnet einen Lernprozess, bei dem systematische Kommunikations- und Anpassungsprozesse zwischen den in einer Wertschöpfungskette verbundenen Unternehmen zu einer schrittweisen Verbesserung von Produkt- und Prozesstechnologien sowie von Organisationsformen führen. Die Analyse von Lernprozessen und reflexiven Verhaltensweisen ist dabei an eine evolutionäre Perspektive gekoppelt. Voraussetzung für Interaktionsprozesse ist die Existenz und Akzeptanz von Institutionen. Institutionelle und soziale Arrangements in Bezug auf die verwendeten Technologien und Ressourcen bzw. Produktionsfaktoren ermöglichen es den beteiligten Unternehmen und Akteuren, in bestimmten Projekten zusammenzuarbeiten. Ein entsprechender institutioneller Kontext basiert